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Diese Fotos dokumentieren das Leben von Frauen in & nach einer Sekte

Als sie gerade mal vier Jahre alt war, entkam Alba Zari zusammen mit ihrer Mutter und Großmutter dem berüchtigten christlich-fundamentalistischem Kult „Children of God“. Weil sie in die Sekte hineingeboren worden war, hatte Zari nie eine andere Umgebung gekannt. Vom Tag ihrer Flucht an begannen diese drei Generationen an Frauen jedoch gemeinsam in der Außenwelt ein neues Leben.
Nach der ersten Erleichterung, die die Freiheit mit sich brachte, stellte sich der Übergang in diese schöne, neue Welt für die drei Frauen allerdings als schwieriger heraus, als sie gedacht hatten. In den darauffolgenden Jahren schlugen sie völlig individuelle Pfade ein – und beschlossen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Tatsächlich sprachen sie nie wieder über die Sekte. Dadurch entwickelte Zari jedoch ein intergenerationelles Trauma, das wie eine Regenwolke über ihr zu hängen schien, ohne eine Möglichkeit, mit ihren Erfahrungen wirklich abzuschließen.
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Heute ist Zari 35 Jahre alt, lebt in London und ist bildende Künstlerin. Seit 2019 arbeitet sie an einer bewegenden, feministischen Fotoreihe namens The Occult, mit der sie ihre versiegelte Familiengeschichte aufzuarbeiten versucht und die Glaubenssätze darstellt, mit deren Hilfe Kulte wie die COG neue Mitglieder rekrutieren. The Occult ist ein zutiefst persönliches Projekt und dreht sich vorrangig um die Erfahrungen von Zaris geliebter Mutter, die mit 13 Jahren in die Sekte verschleppt wurde.
Foto: bereitgestellt von Alba Zari.
Aus dem Archiv der Children of God.
Zaris Familie kam allerdings schon durch ihre Großmutter Rosa in Kontakt mit den Children of God, vor etwa 40 Jahren. „Sie war Anfang 30, als sie im italienischen Triest einige Mitglieder der Sekte kennenlernte. Sie glaubte, diese könnten ihr einen Ausweg aus ihrer eigenen Unzufriedenheit bieten. Also beschloss sie, mit meiner Mutter Ivana mit ihnen zu gehen“, erzählt Zari und ergänzt, dass Sekten wie diese ihren potenziellen Rekrut:innen häufig ein neues Leben versprechen. „Sie ändern sogar die Namen ihrer Mitglieder. Es ist fast wie eine Taufe; die Person, die du davor warst, wird quasi weggewaschen.“ Der Eintritt in die Sekte ist somit eine Art Neuanfang – gleichzeitig aber auch ein sozialer und spiritueller Abgrund, aus dem es kaum ein Entkommen gibt, wenn man einmal darin abgetaucht ist.
Foto: bereitgestellt von Alba Zari.
Aus Zaris Familienarchiv, Triest 1976.
Foto: bereitgestellt von Alba Zari.
David Berg, aus dem Archiv der Children of God.
Die Children of God wurden 1968 von David Berg (der sich als Moses David bezeichnete) in Kalifornien gegründet und fußten auf einer Vielzahl bizarrer Grundsätze, zu denen unter anderem freie Liebe und weibliche Prostitution zählten. „Ehemalige Mitglieder wurden beschuldigt, Sex mit Minderjährigen angeregt und Frauen der Gruppe an Außenstehende prostituiert zu haben, um neue Mitglieder zu werben und eine ‚zweite Generation‘ zu erschaffen“, erklärt Zari. Diese Praxis wurde unter dem Begriff „Flirty Fishing“ beworben („Flirt-Angeln“). Frauen innerhalb des Kults hießen „God’s whores“ („Gottes Huren“) und sollten ihre Körper nutzen, um mehr Anhänger:innen für die Sekte zu gewinnen, indem sie dafür Sex anboten. „All das Geld, das sie als Missionarinnen sammelten, ging an die Sekte. Sie selbst durften nichts behalten. Außerdem wurden ihnen ihre Babys weggenommen. Ich kann mir nichts Schmerzhafteres vorstellen.“ Die Väter der Kinder, die unter solchen Umständen zur Welt kamen, waren daher meistens unbekannt – daher wurden die Kinder als „Jesus-Babys“ bezeichnet, als seien sie das Produkt unbefleckter Empfängnis. Zari selbst war eines dieser Babys.
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Foto: bereitgestellt von Alba Zari.
God’s Whores, Propaganda der Children of God.
Foto: bereitgestellt von Alba Zari.
Screenshot aus Recherche zu den Children of God.
Zari begann mit The Occult direkt nach dem Ende eines weiteren Projekts, The Y, in dem sie versuchte, die Identität ihres leiblichen Vaters ausfindig zu machen. „Das verlieh mir die Stärke, mich mit den Erfahrungen meiner Mutter auseinanderzusetzen und ein tieferes Verständnis für die Vergangenheit zu entwickeln“, sagt sie. Ausgehend von Bildern aus ihrem eigenen Familienarchiv sammelte sie „Fotos, Dokumente und Artikel einer Website von Ex-Mitgliedern der Sekte“. Sie war auf der Suche nach Informationen, die ihre Familie nie gekannt hatte.
Einige der Bilder, die sie in ihrem Familienarchiv fand, waren von ihrer Mutter verändert worden, die Zaris Großmutter aus einigen Gruppenfotos mit einer Schere herausgeschnitten hatte. „Mir zeigten diese Fotos ihren Wunsch, die Vergangenheit zu verändern. Sie selbst wollte sich dem Kult nie anschließen“, erzählt Zari. Indem sie diese Bilder mit dem Material verknüpfte, das sie bei ihrer Recherche gefunden hatte, „wollte ich mein persönliches Archiv mit denen anderer Mitglieder vergleichen, um ein vollständigeres Bild der Ereignisse in dieser Geschichte zu bekommen. Ich wollte zeigen, wie das Schicksal einer Familie ein Teil einer größeren Geschichte sein kann – eine, in der viele andere Leute dasselbe Trauma, denselben Missbrauch durchleben mussten.“
Foto: bereitgestellt von Alba Zari.
Aus Zaris Familienarchiv.
Während ihrer Recherche beschloss Zari, auch eigene Fotos zu machen. Also begab sie sich auf den Fußspuren ihrer Mutter eine Odyssee durch Indien, Nepal und Thailand – Orte, an denen ihre Mutter mit den COG gelebt hatte, bevor Zari geboren wurde. Im Laufe dieser Zeit begegnete Zari vielen westlichen Menschen auf spirituellen Reisen und solchen, die von neuen Mikro-Communitys träumten. Das bewegte sie Zari dazu, über die Gründe dafür nachzudenken. „Ich beobachtete, wie sie in andere Kulturen abtauchten, ohne ein tieferes Verständnis für ebenjene Kulturen“, sagt sie. Viele der Menschen, denen Zari begegnete, hatten vorher persönliche Tiefpunkte durchlitten – wie Drogensucht oder Trauer – und schienen nun nach einem Ausweg aus diesem Schmerz zu suchen. Das zeigte Zari, wie leicht sich verletzliche Menschen manipulieren lassen. Daraus gewann sie ein besseres Verständnis dafür, was ihrer Familie passiert war.
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Foto: bereitgestellt von Alba Zari.
Erwachensritual. Goa, Indien 2020.
Foto: bereitgestellt von Alba Zari.
Erwachen am Zen Beach. Koh Phangan, Thailand 2020.
Foto: bereitgestellt von Alba Zari.
Tantra. Goa, Indien 2020.
Nach 22 Jahren, während der sie in der Sekte gelebt und gearbeitet hatte, brachte Zaris Großmutter endlich die Stärke auf, mit ihrer Tochter und ihren Enkeln zu fliehen – und nie zurückzuschauen. Zari ist sich gar nicht so sicher, welche konkreten Gründe ihre Großmutter dafür hatte (und was der letztliche Auslöser für ihre Flucht war), vermutet aber, dass ihr selbst etwas gedroht hatte, vor dem ihre Großmutter sie hatte schützen wollen. Von da an lebte die Familie vier Jahre lang in Thailand, bevor sie wieder nach Triest zurückkehrten.
Seitdem ist Zari mehrmals umgezogen. Ihre Großmutter lebt mittlerweile an der portugiesischen Amalfiküste, ihre Mutter in einem psychiatrischen Krankenhaus in Triest. „Als wir die Sekte verließen, konnte sich meine Mutter einfach nicht an die Mainstream-Gesellschaft gewöhnen. Sie leidet jetzt unter Schizophrenie. Dieses Projekt ist also auch eine Möglichkeit, ihren schmerzhaften Erfahrungen einen Sinn zu geben“, sagt Zari. Man hört ihr an, wie sehr ihr das wehtut. „Sie fühlte sich immer schuldig für alles, was passiert war – wie so viele andere Frauen auch, die Missbrauch erfahren. Das hier ist meine Art, für Gerechtigkeit zu sorgen und ihr Ehre zu erweisen.“
Foto: bereitgestellt von Alba Zari.
Archiv der Children of God.
David Berg verstarb 1994, und die Children of God tragen nun einen neuen Namen: „Die Familie“ („The Family International“). Viele ehemalige Mitglieder haben sich von der Sekte gelöst, um ein freies Leben zu führen; dennoch bleibt der Kult weiterhin bestehen und ist in 75 Ländern vertreten. Zari setzt sich bis heute mit der Natur dieser Sekten auseinander, um zu erforschen, welche menschlichen Bedürfnisse manche von uns dazu treiben, uns solchen Kults anzuschließen – und was mit den Frauen passiert, sobald sie einmal drin sind. „Indem ich diese sehr persönliche Story teile, in der viel Trauma steckt, hoffe ich, missbrauchte Frauen zu erreichen. Ich will ihnen die Stärke schenken, ganz offen darüber zu sprechen, was ihnen passiert ist – ohne dabei Schuld oder Scham zu empfinden“, erzählt sie. „Denn Schuld haben hier nur diejenigen, die die Ausnutzung von Frauen normalisieren.“
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