Nach bald anderthalb Jahren Virusängsten, Jo-Jo-Lockdowns und dauernd neuen Beschränkungen scheint zumindest eines ganz gut zu klappen: die Impfkampagne. Knapp 60 Prozent der Deutschen haben inzwischen mindestens eine Impfdosis bekommen; 43 Prozent sind schon durchgeimpft. Für viele ist die eigene Impfung ein Grund zum Feiern. Manche müssen dabei aber feststellen: Nicht alle ihrer Freund:innen lassen sich so bereitwillig und enthusiastisch piksen, haben Angst vor möglichen Nebenwirkungen oder Langzeitfolgen oder misstrauen der Medizinbranche.
Diese Skepsis ist zugegebenermaßen nicht ganz unberechtigt: Allein das Hin und Her rund um die extrem seltenen Fälle von Hirnvenenthrombosen im Zusammenhang mit dem AstraZeneca-Impfstoff, von der größtenteils Frauen unter 60 Jahren betroffen waren, hat dem Vertrauen in die Impfung einen ordentlichen Knacks verpasst. Zwar hat die EU seitdem bekräftigt, dass die schützende Wirkung der Impfung gegen jegliche (geringe) Risiken überwiege – aber öffentliche Debatten wie diese können natürlich unsere Wahrnehmung beeinflussen.
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Auch schädliche Fehlinformationen haben manche Leute in ihrer Entscheidung gegen die Spritze bekräftigt. Irreführende Behauptungen oder schlichte Lügen hört man im Zusammenhang mit Corona-Impfstoffen sowohl on- als auch offline. Expert:innen zufolge besteht keine plausible Chance, dass sich die Impfung auf die Fruchtbarkeit auswirken könnte; trotzdem lese und höre ich gegenteilige Behauptungen schon seit Beginn der Impfkampagne. Solche Falschaussagen entstehen meist auf kleinen Websites und Verschwörungstheorie-Kanälen, bevor sie zu Mainstream-Plattformen wie Instagram, Twitter und Co. und private Messaging-Apps rüberschwappen. Gleichzeitig verbreiten sie sich auch via Mund-zu-Mund-Propaganda, auf Postern, Flyern oder Graffiti. Natürlich ist dabei nicht allen klar, dass das Fehlinformationen sind – Fakt ist aber, dass diese Gruselgeschichten manche Leute davon abhalten können, sich impfen zu lassen. Vor allem, wenn die daran Glaubenden keine Argumente dagegen hören wollen.
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Wenn wir auf das Thema zu sprechen kommen, weiß ich manchmal gar nicht, was ich noch sagen soll. Sie glaubt, es gäbe keine Fakten, die ihr widersprechen könnten
Jamie
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Davon kann die 35-jährige Jamie* ein Lied singen. Ihre 32-jährige ehemalige Mitbewohnerin weigert sich strikt gegen die Impfung. Das hat die vorher enge, dreijährige Freundschaft zwischen den beiden stark in Mitleidenschaft gezogen. „Jede:r hat andere Überzeugungen, und wir respektieren einander. Es ist also nicht so, als wäre unsere Freundschaft deswegen jetzt vorbei“, erklärt Jamie. „Wenn wir aber auf das Thema zu sprechen kommen, weiß ich manchmal gar nicht, was ich noch sagen soll. Sie glaubt, es gäbe keine Fakten, die ihr widersprechen könnten.“
Während Jamies Freundin zwar ihr Kind gegen andere Krankheiten hat impfen lassen, steht sie der Corona-Impfung aber skeptisch gegenüber, seit sie online von Verschwörungstheorien gelesen und Ähnliches von anderen Freund:innen gehört hat. „Sie glauben zwar alle an COVID, sind aber der Meinung, das ginge alles zu weit“, meint Jamie. Nach einigen Streits vermeidet sie das Thema jetzt. „Ansonsten fühle ich mich nur wütend, machtlos und frustriert. Das Thema ist jetzt tabu.“
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Es kann schwierig sein, mit unserem direkten Umfeld über das Thema Impfung zu sprechen, meint auch Dr. Sophia Komninou, Dozentin für öffentliche Gesundheit an der walisischen Swansea University. „Du wurdest dabei nicht um Rat gefragt, und es ist nicht leicht, einzusehen, dass ihr unterschiedliche Werte habt.“ Gleichzeitig ist es aber auch so wichtig, das Vertrauen in die Impfung aufzubauen. Wie solltest du das also am besten ansprechen?
Der erste Schritt: Finde heraus, warum die andere Person so zögert, rät Dr. Komninou. Einige Menschen sind skeptisch, was die Wissenschaft rund um den Impfstoff angeht, und wissen zum Beispiel nicht, wie so ein Stoff zugelassen wird. Andere misstrauen vielleicht prinzipiell der Regierung oder öffentlichen Behörden. Auch Kontakt zu Fehlinformationen und Verschwörungstheorien können diese Sorgen auslösen.
Laut Mick West, Autor von Escaping the Rabbit Hole: How to Debunk Conspiracy Theories Using Facts, Logic, and Respect, einem Guide zum Umgang mit Verschwörungstheoretiker:innen, gibt es dabei auch ein Misstrauens-Spektrum: Manche stehen der Impfung vielleicht nur ein bisschen zögerlich gegenüber, während andere strikte Impfgegner:innen sind und vielleicht auch an Verschwörungstheorien glauben – wie die zum Beispiel, dass die Impfung Mikrochips enthalte. „Wenn du weißt, wo dein Gegenüber auf diesem Spektrum liegt, kannst du daraus ableiten, wie du das Gespräch führen solltest.“
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Versuche, dein Gegenüber dazu zu bewegen, sich andere Quellen zumindest mal anzuhören, während du gleichzeitig respektierst, dass er:sie ihnen misstraut.
Mick west
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So oder so gilt für dieses Gespräch aber: Achte darauf, offen zu kommunizieren, betont West. „Erst, wenn du einen effektiven Dialog aufgebaut hast, kannst du in die Tiefe gehen.“ Das machst du zum Beispiel, indem du dein Gegenüber nach seinen:ihren konkreten Sorgen fragst und eine alternative Perspektive anbietest – insbesondere, wenn sich die Person bloß auf sehr wenige Informationsquellen bezieht, rät West. „Versuche, dein Gegenüber dazu zu bewegen, sich andere Quellen zumindest mal anzuhören, während du gleichzeitig respektierst, dass er:sie ihnen misstraut. Es kann schon helfen, andere einfach nur mit Informationen zu konfrontieren.“
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Dabei solltest du am besten auf leicht verständliche Informationen setzen, die die Vorteile der Impfung und deren überwältigenden öffentlichen Rückhalt betonen, empfiehlt West. „Von Forscher:innen bis hin zu Promis: Zeige der Person, dass es deutlich mehr Menschen gibt, die die Impfstoffe befürworten, als Impfgegner:innen.“
Tritt dabei aber nicht gleich zu forsch auf, sagt er. „Eine sachte Herangehensweise funktioniert hier gut.“ Ein großes No-Go dabei: dich über die Überzeugungen der anderen Person lustig zu machen. Das kann schlimmstenfalls dafür sorgen, dass sie sich noch tiefer in Verschwörungstheorien stürzt. „Spott oder Kritik wirken hier nicht positiv. Wenn du also etwas sagst wie ‚Das ist dumm‘ oder ‚Du weißt ja gar nicht, wovon du redest‘, wird sich dein Gegenüber vermutlich wehren wollen“, erklärt West. Dasselbe gilt übrigens auch online. „Behandle dein Gegenüber wie jemanden, der:die ernsthaft lernwillig ist, und gib ihm:ihr das Gefühl, dass du selbst ja auch noch dazulernst.“
Das Ganze kann ein langsamer Prozess sein; darauf solltest du dich einstellen. „Wenn ihr respektvoll miteinander sprecht und du deinem Gegenüber neue Informationen präsentierst, hilft das schon – auch, wenn es vielleicht nicht so wirkt“, meint West. „Du kannst niemanden an den Haaren aus einer solchen Überzeugung rauszerren; die Person muss das schon selbst schaffen. Bleib dran und lass ihr Zeit.“
Am Ende helfen vor allem Empathie und gegenseitiger Respekt. „In solchen Gesprächen mit Freund:innen und Verwandten ist es unheimlich wichtig, das Gefühl zu vermitteln, dass solche Sorgen und Skepsis völlig normal sind“, sagt Dr. Komninou. „Offene Gespräche zu führen und die Meinungen anderer zu respektieren, kann sehr viel ausrichten.“ Bedenke dabei aber auch, dass dich das vermutlich viel Zeit und Energie kosten wird. „Tu, was du kannst. Du kannst nicht mit einem Gespräch die Welt verändern – wenn du aber eine Person zum Nachdenken bringen kannst, ist es das wert, und das ist dann eventuell schon ein geimpfter Mensch mehr.“
* Name wurde von der Redaktion geändert.
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