Kurz nachdem ich begonnen habe diesen Text zu schreiben, erreicht mich die Nachricht einer Freundin aus Italien: Auf den ersten Blick nur ein Kettenbrief, der mich dennoch überrascht. Er will junge Frauen von der Wichtigkeit einer rechtzeitigen Brustkrebs Früherkennung überzeugen, die bis heute nicht nur in Italien, sondern auch hierzulande noch immer keine Pflicht-, sondern eine Wahlleistung der Krankenkassen ist und aus eigener Tasche bezahlt werden muss. Was für ein Timing, denke ich, denn nur wenige Wochen zuvor berichtete eine andere Freundin aus Australien über das Projekt Keeping A Breast, das mich schließlich zu diesem Beitrag inspirierte.
Dahinter steckt Emily Steindl, eine lebenslustige Frau, die als junges Mädchen nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihre Tante und Großmutter an die heimtückische Krankheit verloren hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Trägerin des Gens ebenfalls daran erkranken wird, ist damit zehnmal höher als bei anderen Frauen. Lange leidet sie unter dem Thema, verdrängt und tut sich schwer, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Um sich ihren Ängsten und ihrer Vergangenheit zu stellen, beschließt sie ihr Schweigen zu brechen und einen Film zu drehen. Für Keeping A Breast will sie in den nächsten zwei Jahren vor allem eines: Der weiblichen Brust und ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung auf den Grund gehen. Warum ist dieses Körperteil bei Frauen mit soviel Emotionen verbunden? Und ist das wirklich überall so?
Die hübsche Australierin, die mittlerweile in Schweden lebt, wagt damit einen ersten Schritt in Hinsicht auf die Auseinandersetzung ihrer eigenen Geschichte, aber auch auf dem Weg, der Enttabuisierung und Aufklärung im Umgang mit der Krankheit. Denn Brustkrebs ist allgegenwärtig und betrifft Frauen weltweit. Das musste Emily schon sehr früh erfahren: Als sie gerade einmal fünf Jahre alt ist, wird die Krankheit bei ihrer Mutter diagnostiziert. „Mir war anfangs nicht bewusst, was das bedeutet. Erst als es ihr immer schlechter ging, fing ich an zu realisieren, dass es wirklich ernst ist. Obwohl ich schon sehr früh mit dem Thema Tod konfrontiert worden bin, habe ich mit der trotzigen Ignoranz eines Kindes daran glauben wollen, dass er mir meine Mutter nicht wegnehmen kann; dieses Mal wollte ich es nicht einsehen. Am Morgen als sie starb, wachte ich im Bett meiner Großmutter auf und wusste, dass etwas passiert und sie nicht mehr unter uns war. Dieser Tag hat mich für den Rest meines Lebens verändert.“
Seitdem ist das Thema unwiderruflich mit ihrer eigenen Familiengeschichte verknüpft. Vorsorge nimmt sie sehr ernst, ebenso wie die Möglichkeiten präventiver Maßnahmen, um sich dasselbe Schicksal zu ersparen. „In aller Ehrlichkeit, ich mag meine Brüste – sehr sogar – aber es ist eine echte Schande, dass sie das Gen tragen. Andererseits weiß ich dadurch immerhin, womit ich es zu tun habe und wo der Krebs am wahrscheinlichsten auftauchen kann. Andere Menschen finden das oft erst heraus, wenn es bereits zu spät ist. Dank der Erfahrungen meiner Familie, habe zumindest ich eine höhere Überlebenschance.“ Manchmal hätte sie sich in ihrem Leben allerdings trotzdem gewünscht, ihre eigenen Brüste weniger als medizinische Baustelle als vielmehr als Ausdruck ihrer Weiblichkeit sehen zu können. Mit dem Bewusstsein beschließt sie, dieses Bild zu revidieren und zu ergründen, wie Brüste in anderen Kulturen, Ländern und vor allem innerhalb verschiedener Generationen wahrgenommen werden. Bewusst entscheidet sie sich dafür, offen mit ihren Ängsten umzugehen. Mehr als das; sie macht sie zum zentralen Bestandteil eines internationalen Projekts.
„Es geht darum, die verschiedenen Bedeutungen und Werte von Brüsten auf der ganzen Welt zu erfahren und zu thematisieren. Wo genau mich das hinführen wird, wird sich zeigen. Bisher habe ich dieses Thema nur in Form von spontanen Interviews auf der Straße erforscht, die ich unter dem Namen YouBoob auf YouTube teile. Aber diese Erkenntnisse sind noch sehr begrenzt und kulturell nicht besonders divergent. Ich möchte zukünftig um die Welt reisen, um mehr darüber zu erfahren und um Frauen zu bestärken, sich der Krankheit und ihren Gefahren zu stellen!“ Und das tue sie wohl am besten, indem sie mit ihrer eigenen Geschichte beginnt. Für Emily ein großer Schritt, denn sie ist eher eine introvertierte Person und diese Maßnahme das genaue Gegenteil von dem, was sie normalerweise tun würde – sich in ihre Privatsphäre zurückziehen.
Was sie letztendlich dazu bewegt hat, sich aus ihrem Schneckenhaus zu wagen? „Meistens sind es andere Künstler, die ich sehr bewundere und die mich inspirieren. Meine persönlichen Ängste und Grenzen zu überwinden und mich aus meiner Komfortzone zu wagen, war zwar eine Herausforderung, aber wichtig. Angesichts meiner eigenen Endlichkeit, schien mir das die einzige logische Konsequenz, wenn ich mir und allen anderen gegenüber aufrichtig sein wollte. Brustkrebs ist ein weit verbreitetes und viel diskutiertes Thema, vor allem, wenn man bedenkt, wie viele Menschen davon betroffen sind. Ich möchte mich gerade deswegen nicht nur auf den Krebs als potenzielle Krankheit konzentrieren, sondern verstärkt auf die kulturelle Wahrnehmung von Brüsten. Der Grund: ich habe mich dazu entschieden, mich eines Tages einer präventiven Mastektomie zu unterziehen und mir die Brüste entfernen zu lassen. Wir sprechen dabei von einem sehr intensiven Eingriff für eine Frau, der viele persönliche Fragen bezüglich der eigenen Identität und Weiblichkeit aufwirft. Fragen wie, Wollte ich jemals in meinem Leben stillen?, Welche Größe meiner Brüste will ich nach der Operation?, Bin ich bereit, nie mehr Empfindungen in meinen Brüsten zu spüren, für den Rest meines Lebens?. Ich hoffe damit nicht nur für mich selbst Antworten zu finden, sondern auch für Frauen, die über einen ähnlichen Schritt nachdenken.“
Für viele Frauen wäre diese Maßnahme (Angelina Jolie hat es bereits vorgemacht) eine lebensrettende, um der Krankheit zu entgehen. Doch sie haben Angst, sich nach so einem Eingriff nicht mehr weiblich genug zu fühlen und zögern. Ein Resultat unseres Gesellschaftsbildes, in dem Brüste untrennbar mit der sexuellen Identität einer Frau verknüpft sind? Leider auch, ja! Viele Bewegungen, unabhängig von der Thematik Brustkrebs, setzen sich mit dieser Wahrnehmung auseinander und wollen eine neues Bewusstsein für die Problematik schaffen. Auch Emily ist das ein Anliegen. Dafür hat sie die Kampagne #submitthetit ins Leben gerufen, die Frauen dazu aufruft unter besagtem Hashtag ihre Brüste zu teilen – egal ob groß, klein, hängend oder vernarbt. Es geht darum mit gängigen Schönheitsidealen zu brechen und die Vielseitigkeit dieses weiblichen Geschlechtsorgans ins Bild zu bannen, auch um es zu entsexualisieren. „Es gibt natürlich legitime Gründe, warum weibliche Brüste eher sexuell aufgefasst werden, als männliche. Und ich glaube grundsätzlich nicht, dass diese Gründe unbedingt falsch oder schlecht sind. Ich denke aber, dass die Art und Weise, wie das passiert, Schuld daran ist, dass es so festgefahrene, negative Wahrnehmungen gibt, die solche Ängste nur noch mehr schüren. Das ist etwas, was ich in dem Film untersuchen möchte. Ich persönlich liebe weibliche Brüste und finde sie viel interessanter und sinnlicher als männliche. Ich liebe es, sie akzentuiert in schöner Unterwäsche zu sehen oder sie mit der richtigen Kleidung hervorzuheben. Aber es bleibt ein kompliziertes Thema und ich möchte aufzeigen, dass es verschiedene Wahrnehmungen dieses Organs gibt und wir sie – egal vor welchem Hintergrund – mehr wertschätzen müssen.“
Um das Projekt zu finanzieren, setzt Emily auf Fundraising-Kampagnen. Was sind die nächsten Schritte und wie können Außenstehende sie unterstützen? „Das Projekt steht noch ziemlich am Anfang und ist gerade erst in der Entwicklungsphase. Es hat aber schon jetzt jeder die Möglichkeit, Ideen einzubringen und auf diese Weise mitzuwirken. Ich würde dieses Jahr gerne die komplette Finanzierung sichern, aber es ist noch zu früh, um dazu verbindliche Aussagen zu machen und ich will das Projekt nicht gefährden, indem ich an der Stelle schon zu weit vorweg greife. Wer das Projekt unterstützen möchten, findet auf unserer Website alle nötigen Informationen, wie das geht. Dort gibt es auch einen Onlineshop, wo wir verschiedene Produkte verkaufen, die uns ebenfalls bei der Finanzierung helfen.“
Wer hierzulande Hilfe benötigt oder Fragen hat, findet nützliche Informationen und Anlaufstellen unter prognose-leben.de oder krebsinformationsdienst.de/tumorarten/brustkrebs/frueherkennung.php.
http://www.keepingabreastfilm.com/
https://www.facebook.com/keepingabreastfilm/?fref=ts
Fotos: Pressebilder