Wenn du Diabetes hast, ist dein Sexleben, wie auch alles andere, viel komplizierter. Unabhängig davon, welchen Diabetes-Typ du auch aufweisen magst, ob du dich als weiblich, männlich oder non-binär identifizierst, oder mit wem du auch schlafen möchtest, ist Sex für Leute mit Diabetes mit einer Reihe von Vorbehalten und Vorsichtsmaßnahmen verbunden, die es zu beachten gilt. Weil Gespräche über Sex aber immer noch ein Tabu sind und es immer noch ein mangelndes Verständnis für diese Krankheit gibt, wird nur selten über den Einfluss dieser Erkrankung auf das Liebesleben gesprochen.
Emma Elvin, Senior Clinical Advisor bei Diabetes UK, erklärt gegenüber R29: „Viele Menschen haben irgendwann in ihrem Leben Schwierigkeiten im Bett. Wenn du Diabetes hast, bedeutet das nicht, dass du automatisch Probleme im Schlafzimmer hast. Betroffene weisen aber ein höheres Risiko für sexuelle Funktionsstörungen auf.“
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Über Beeinträchtigungen des Sexlebens von Männern wird etwas mehr diskutiert (eine kurze Google-Suche nach den Begriffen „Diabetes“ und „Sex“ ergibt vorrangig Ergebnisse über Erektionsstörungen), aber auch bei Frauen sind die Auswirkungen deutlich spürbar, sowohl physisch als auch psychisch.
Simone*, eine 29-jährige Typ-1-Diabetikerin, erzählt R29, dass ihre Zuckerkrankheit ihr Sexualleben immens beeinflusst.
„Pilzinfektionen sind eine häufige Erscheinung bei Diabetiker:innen. Sie treten vor allem dann auf, wenn der Blutzuckerspiegel zu hoch ist, das heißt, wenn mehr Zucker im Blut, im Schweiß, im Speichel und im Urin vorhanden ist. Denn das schafft ein ideales Umfeld für Pilze.“ Nervenschäden sind ebenfalls auf einen hohen Blutzuckerspiegel zurückzuführen, die sich auch auf die Nerven und Blutgefäße im Genitalbereich auswirken und zu Scheidentrockenheit führen können. „Wenn ich ein oder zwei Tage lang einen hohen Blutzuckerspiegel hatte, passiert mir das“, sagt Simone und fügt hinzu: „In der Vergangenheit ist es zu unterschiedlichen Zeiten dazu gekommen. Als ich zum ersten Mal sexuell aktiv war, war es mir so peinlich, dass ich mir entweder Ausreden ausdenken musste, um meine:n Partner:in nicht damit konfrontieren zu müssen, oder ich hoffte einfach, er:sie würde es nicht bemerken.“
Neben vaginaler Trockenheit kann die Schädigung von Blutgefäßen und Nerven die Blutzufuhr zu den Geschlechtsorganen einschränken, was dazu führen kann, dass du weniger fühlst. Emma erklärt, dass das bedeutet, „dass du Schwierigkeiten dabei haben könntest, erregt zu werden, sowohl körperlich als auch gefühlsmäßig“. Und so, wie ein erhöhter Zuckergehalt im Urin die Wahrscheinlichkeit eines Scheidenpilzes erhöht, kann er auch zu Harnwegsinfektionen führen.
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Rebecca, eine 32-jährige Typ-1-Diabetikerin, spürt die Auswirkungen auf ihr Sexleben, wann immer sie entweder einen hohen oder einen niedrigen Blutzuckerspiegel hat.
„Während oder nach dem Sex kann es sehr einfach zu einer Hypoglykämie (Unterzuckerung) kommen, da es sich dabei um eine sportliche Betätigung handelt“, erklärt sie gegenüber R29. „Das bedeutet, dass ich aufhören und etwas gegen meine Unterzuckerung tun muss, bevor ich weitermachen kann. Es gab Zeiten [während und nach dem Sex], in denen ich extrem schwach und zittrig war und fast ohnmächtig geworden wäre. Manchmal hatte ich nicht einmal die Kraft, ein Trinkpäckchen mit einem Strohhalm zu durchstechen und brauchte Hilfe.“ Sie fügt hinzu, dass das nicht immer gut ankam. „Einmal hat mir ein:e Partner:in nicht geholfen und war schlecht gelaunt, weil wir wegen meines Diabetes mit dem Sex aufhören mussten (warum sollte ich weitermachen, wenn ich dachte, ich würde jeden Moment in Ohnmacht fallen?).“
Ein hoher Blutzuckerspiegel ist auch dann störend, wenn er nicht zu körperlichen Symptomen wie Scheidenpilzen oder einem Verlust der Libido führt. „Bei einer Hyperglykämie (hoher Blutzucker)“, sagt Rebecca, „muss ich häufig pinkeln, habe Durst und bin müde. Das kann mich im Schlafzimmer beeinträchtigen, da ich körperlich manchmal nicht in der Lage bin, intim zu sein oder Lust auf Sex habe.“
Mit Blutzuckerschwankungen umzugehen, kann an und für sich schon störend sein und bei weniger hilfsbereiten Partner:innen zu Spannungen führen.
„Wenn du keine:n verständnisvolle:n Partner:in hast, kann das eine große Herausforderung sein“, fügt Rebecca hinzu. „In den Momenten, in denen ich einen hohen oder niedrigen Blutzuckerspiegel habe, fühle ich mich verletzlich, vor allem, wenn ich ein wenig Unterstützung brauche. Es ist schwierig, jemanden zu finden, der:die einfühlsam und bereit dazu ist, mir hin und wieder unter die Arme zu greifen.“
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Diabetes bringt also einiges mit sich, wodurch keine Zeit für Sex bleibt. Selbst mit einer Insulinpumpe (ein kleines elektronisches Gerät, das dem Körper tagsüber und nachts regelmäßig das benötigte Insulin zuführt), die die Behandlung des Blutzuckerspiegels erleichtert, sind nicht gleich alle Probleme im Bett aus der Welt geschafft.
„Die Geräte, die ich jetzt mit mir trage, waren eine weitere Unsicherheit, die ich hatte“, erzählt Simone. „Ich zögerte es jahrelang hinaus, mir eine Insulinpumpe zuzulegen, denn als ich noch Single war und datete, konnte ich es nicht ertragen, den Leuten erklären zu müssen, was das ist. Je nach Pumpe hätte ich eine bekommen können, die mit Schläuchen an mir befestigt war. Das schreckte mich definitiv ab, denn ich wollte keinen Sex mit Schläuchen haben oder das Risiko eingehen, einen Moment zu ruinieren, weil ich mich damit hätte beschäftigen müssen.“
All diese Faktoren sowie die regelmäßigen Befürchtungen, die im Zusammenhang mit Sex auftauchen, unter einen Hut zu bringen, kann emotional sehr belastend sein. Deshalb ist es so wichtig, andere Menschen darüber aufzuklären, dass Diabetes eine Konstante ist – auch, wenn er die Stimmung verdirbt – und warum wir sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen ernst nehmen müssen.
Emma schließt sich dieser Meinung an: „Unsere Emotionen haben einen großen Einfluss darauf, wie interessiert wir an Sex sind. Gefühle wie Angst, Scham oder sogar Müdigkeit können eine Rolle spielen und uns sehr zu schaffen machen. Aber es lässt sich Abhilfe schaffen – sei es durch Gespräche mit Partner:innen, Freund:innen, Therapeut:innen oder medizinischen Teams.“
Falls du weiter Infos benötigst oder konkrete Fragen hast, kann die Deutsche Diabetes-Hilfe eine gute Anlaufstelle sein. Sie hilft Menschen mit Diabetes mithilfe von verlässlichen Informationen zu Risikofaktoren, Symptomen und Therapie und mit praktischen Tipps – von gesunder Ernährung bis zur Reiseplanung.
*Namen wurden von der Redaktion geändert.
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