Snezhana von Büdingen lernte Sofie, das Motiv ihres neuen Fotoprojekts Meeting Sofie, im Herbst 2017 kennen.
Schon vorher hatte sie Kinder mit Down-Syndrom zusammen mit ihren Müttern in ihrem Kölner Fotostudio vor die Kamera geholt. Die ruhigen Bilder vor einem schlichten Hintergrund verliehen schon damals einem ganz bestimmten Gefühl Ausdruck: der Liebe zwischen Mutter und Kind.
Auch Sofie hat das Down-Syndrom – und ihre Mutter wollte unbedingt mit ihr an von Büdingens Projekt teilnehmen. Die beiden würden es aber nicht nach Köln schaffen. Stattdessen luden sie Snezhana also auf ihren Gutshof aus dem 16. Jahrhundert in Eilenstedt in Sachsen-Anhalt ein. Die sagte gern zu und machte sich im Oktober desselben Jahres auf den Weg nach Ostdeutschland.
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Als sie auf dem alten Bauernanwesen ankam, war sie hin und weg, erzählt Snezhana: „Der Garten wirkte märchenhaft; an den Wänden drinnen hingen alte, stimmungsvolle Gemälde, und das lichtdurchflutete Haus sah aus wie verzaubert. Und dann war da natürlich noch Sofie – so friedlich, harmonisch. Es fühlte sich an, als seien wir völlig von der modernen Welt abgeschottet, wie in einer anderen Dimension, zu einer anderen Zeit.“ Von Sofie, ihrem Charakter und ihren Ansichten, fühlte sie sich sofort fasziniert; da war direkt eine Verbindung zwischen der Fotografin und der Teenagerin, die in einer kleinen, verträumten Blase zu existieren schien. „Das war von Anfang an was ganz Besonderes“, erzählt von Büdingen. „Und nachdem ich ein bisschen Zeit mit ihr und ihrer Familie verbracht hatte, wusste ich, dass ich eine ganze Bilderreihe rund um Sofie und ihr Leben gestalten wollte.“
So entstand aus dem Besuch direkt eine kleine Chronik des Lebens einer Teenagerin inmitten der märchenhaften Natur ihres Zuhauses. Das Haus selbst ist mehrere Jahrhunderte alt, und Sofies Eltern sammeln Antiquitäten. Es ist diese verträumte Atmosphäre, die einen entscheidenden Teil von Sofie selbst ausmacht, meint von Büdingen: Nachdem sie sich in Sofies Welt fallen ließ und die junge Frau über Jahre hinweg begleitete, ergaben sich die Szenen, die Snezhana in ihren Bildern festhielt, wie von selbst. „Alles spielt dabei eine Rolle“, meint sie. „Sofies Stimmung, ihre Umgebung, was ihr tagein, tagaus passierte.“ Die Fotografin verbrachte mit Sofie viel Zeit im Schwimmbad – Sofies Lieblingsort im Sommer –, und schloss sich einem Ausflug mit Sofies damaligem Freund an. Besonders fiel von Büdingen dabei Sofies Kleidungsstil auf: „Ich mag ihre ungewöhnlichen Kombinationen“, sagt sie und lächelt. „Sehr stur, sehr typisch für Sofie.“
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Von Büdingen wurde in Russland geboren und aufgezogen und zog mit 24 Jahren nach Deutschland, wo sie seitdem lebt. Erst mit 30 fing sie an, Fotografie an der Fotoakademie Köln zu studieren. Ihre Leidenschaft für Porträts entdeckte sie aber schnell. „Meine Projekte entstehen meistens aus zufälligen Begegnungen mit Leuten“, sagt sie. „Ich finde, man sollte sich immer auf neue Personen einlassen und sich von der eigenen Neugier, dem ehrlichen Interesse an anderen treiben lassen.“ Und genau so war es auch mit Sofie, erklärt sie. „Durch die Fotografie habe ich die Möglichkeit, mehr zu sein als nur eine Beobachterin. Wir haben einander das Leben bereichert.“ Seitdem hat Sofie Snezhana auch in Köln besucht; die beiden verbindet inzwischen eine tiefe Freundschaft.
Auch Sofies Mutter Barbara taucht auf den Bildern der Fotoreihe immer wieder auf. Häufig umarmen sich die beiden dabei oder kämmen einander die Haare – und selbst, wenn sie mit sich allein beschäftigt sind, scheinen sie den Orbit der jeweils anderen nie so wirklich zu verlassen. Sofie und Barbara stehen sich unheimlich nah und waren seit Sofies Geburt keinen Tag voneinander getrennt. „Manchmal ist Sofie dickköpfig oder sauer auf Barbara. Sie macht eben gerade diese typische Rebellenphase durch“, erzählt von Büdingen. „Andererseits will sie aber auch keine Stunde ohne ihre Mutter verbringen.“ Sie meint, Barbaras größte Angst sei die davor, was nach ihrem Tod und dem von Sofies Vater mit ihrer Tochter passieren könnte. „Sofie braucht jeden Tag Hilfe – mehr als das: Sie braucht Liebe und Zuneigung. Wird sie die noch bekommen, wenn ihre Eltern mal nicht mehr da sind? Wird sie einen Partner fürs Leben finden?“ Diese Sorgen stehen natürlich auch im Zusammenhang mit Sofies Down-Syndrom, aber gleichzeitig sind sie natürlich auch die Ängste jeder Mutter um ihre junge Tochter.
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Sofie verbringt am liebsten Zeit alleine auf dem Gutshof und hat daher nicht viele Freund:innen, erzählt von Büdingen – aber Sofie gefällt es so. Zwischendurch trifft sie sich mit einer Freundin; manchmal bekommt ihr jüngerer Bruder Besuch, und dann setzt sie sich zu ihnen. Meistens ist sie dann still, genießt aber die Nähe anderer Leute. Snezhana sagt: Ja, Sofie hat das Down-Syndrom, lässt sich davon aber kaum einschränken. „Ich glaube, sie merkt gar nicht, dass sie womöglich ‚anders‘ sein könnte“, erklärt die Fotografin, und erzählt, wie sehr sie Sofie dafür bewundert, dass sie sich nie mit anderen vergleicht. „Sie macht gern Leuten Komplimente, die sie hübsch findet, ist aber auch mit sich selbst sehr zufrieden. Sie liebt es, sich zu schminken und schön zu machen.“
Zwischen 2017 und 2018 hatte Sofie ihre erste Beziehung mit einem Jungen namens Andy. Diese Jugendliebe wurde auch zu einem Fokus der Porträtreihe. Bis sie 18 war, ging Sofie im Nachbarort zur Schule. Dort lernten sich die beiden kennen. „Ihr ganzes Leben drehte sich um ihn; es war fast schon eine Art Besessenheit“, erinnert sich von Büdingen. Sie weiß noch, wie nervös und aufgeregt Sofie die ganze Woche über war, bevor sie das Wochenende mit Andy verbringen konnte, und wie geduldig sie an seiner Haltestelle auf ihn wartete. „Manchmal war sie sogar eine Stunde zu früh da, um auf Nummer sicher zu gehen. Diese Lovestory hat sie immer noch nicht ganz verdaut“, meint von Büdingen nachdenklich. Irgendwann trennte sich Andy aber von Sofie, sagt sie.
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Und welches ist das Lieblingsbild der Fotografin? Da ist sie sich mit Sofie einig: Auf dem Foto steht Sofie auf dem Hof des Anwesens, gekleidet in einen Fake-Fellmantel über einem dicken, braunen Pulli und einer gemusterten Hose. Ihre langen braunen Haare wehen im Wind, sie schaut direkt in die Kamera und raucht eine Zigarette. Als Snezhana auf den Auslöser drückt, nimmt Sofie gerade einen langen Zug. „Wir lieben das Bild, weil da so viel drinsteckt“, erklärt von Büdingen. „Das Bedürfnis nach Freiheit und Rebellion, nach Kontrolle über das eigene Leben, nach Selbstbewusstsein, nach dem Erwachsenwerden.“ Das Foto soll auch das Cover des Buches zieren, das sie im nächsten Frühjahr veröffentlichen will, sagt sie.
Die Bilderreihe ist etwas ganz Persönliches – und doch gleichzeitig so weltumfassend. Diese zärtlichen Momente, die Sehnsucht einer ersten Liebe, das kennen wir alle; und letztlich verbindet uns dieses gemeinsam erlebte Gefühl miteinander. „Jede:r kann sich noch an diese intensiven Emotionen als Teenager:in erinnern. Ich erkenne mich selbst in Sofie wieder“, meint von Büdingen, und sie hofft, dass es anderen ebenso geht, wenn sie sich durch ihren Bilderband blättern. „Genau dieser Eindruck ist es, der imaginäre Grenzen zwischen uns niederreißen kann, die wir durch Vorurteile und Ignoranz selbst gezogen haben“, sagt sie. „Denn wir Menschen brauchen unbedingt mehr Akzeptanz, mehr Integration, mehr Liebe.“
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