Ich hatte es mir nicht ausgesucht, den Silvester-Abend allein zu verbringen. Da ich gerade dabei war, mich von meiner Corona-Infektion zu erholen, saß ich allein auf meinem Sofa und beobachtete das Feuerwerk draußen. Der Lärm hallte durch mein Wohnzimmer und übertönte nicht nur die Dokumentation, die ich mir gerade ansah, sondern auch meine eigenen Gedanken. Als er verklang, zog etwas anderes meine Aufmerksamkeit auf sich: ein immer lauter werdendes Rumoren, das aus dem Schränkchen unter dem Waschbecken im Badezimmer zu kommen schien.
Ich blickte auf die Uhr. Es war genau 00:08 Uhr. Der erste Tag eines brandneuen Jahres, an das die Erwartungen aller Menschen auf der ganzen Welt so hoch waren, dass sie eigentlich nur enttäuscht werden können. 2021 mit einem Mausproblem zu beginnen, kam mir wie ein Omen vor, das ich nicht bereit war, anzuerkennen. „Nein!“, schrie ich in Richtung Badezimmerschränkchen, verbarrikadierte die Schranktür mit einem schweren Karton Druckerpapier und ging ins Bett.
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„Komm vorbei!“, wollte ich jemandem schreiben – egal, wem. Ich wollte eine andere Person um mich haben, die all das bezeugen könnte, diese Metapher für alles, was geschehen war, was geschieht, was ich noch nicht ganz verarbeiten konnte. Ich hätte andere anrufen können, aber niemand wäre gekommen. Ich habe versucht, ein paar Freund:innen eine Nachricht zu schicken. Das Ereignis mit der Maus in zwei Zeilen zu beschreiben, ließ es aber unwichtiger erscheinen, als es tatsächlich der Fall für mich war. Ich löschte die Nachricht Buchstabe für Buchstabe und legte mein Telefon beiseite – und fragte mich, was es eigentlich bedeutete, dass ich dieses Erlebnis in einer surrealen, ungewissen Nacht mit keiner Menschenseele teilen konnte.
Die Zahl der Single-Haushalte war bereits vor der Pandemie am Ansteigen. Während wir uns nun erneut in einem Lockdown befinden, schätze ich das Privileg, meine eigenen sicheren vier Wände zu haben, wovon derzeit so viele andere nur träumen können. Außerdem bin ich froh darüber, dass der mentalen Gesundheit alleinstehender und -lebender Menschen nun so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Als der erste Lockdown verhängt wurde, sagten viele Menschen vorher, dass diese Krise das Potenzial hätte, Gemeinschaften zu stärken und uns alle näher zusammenzubringen. Doch dann kam es zu neuen Infektionswellen aufgrund von neuen Stämmen des Virus, was sich auf unsere Freiheiten auswirkte. Heutzutage finden die meisten meiner Interaktionen mit anderen auf Distanz und virtuell statt, weshalb mir diese Prognosen nicht ganz zutreffend vorkommen. Es ist also keine Überraschung, dass die Pandemie eine andere Volkskrankheit verschlimmert hat: Einsamkeit. Nach dem ersten Lockdown hatte sich herausgestellt, wie weitverbreitet und ernstzunehmend dieses Problem unter Erwachsenen war, das sich mit dem Voranschreiten des Lockdowns nur noch weiter verschärft hat.
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Mit der Zeit gewöhnte ich mich an das Alleinsein. Ich lebte und arbeitete allein, konnte meine Familie und viele meiner Freund:innen nicht sehen. Am Anfang fühlte ich mich einsam. Ich weinte viel, hörte nonstop Joni Mitchell und brach regelmäßig emotional zusammen. Als ich mich im Dezember aber zum wahrscheinlich zweiten Mal mit dem Virus infizierte, fing ich an, mich mit den psychologischen Begleiterscheinungen von Isolation zu beschäftigen.
Auf sich allein gestellt zu sein, kann für Verwirrung sorgen. Ich bin noch am Leben, auf dem Weg der Besserung und habe ein Zuhause, das ich mir leisten kann. Mein COVID-19-Test, den ich vor Weihnachten machte, als ich die Menschen, die ich liebe, bereits fast ein Jahr lang nicht sehen hatte sehen können, war positiv. Das war eines der verwirrendsten Ereignisse, das ich je erlebt habe. Anstatt Erschöpfung zuzulassen, während ich im Dunkeln lag und spürte, wie mein Körper gegen die Infektion ankämpfte und überall schmerzte, war ich entschlossen, etwas Positives aus dieser Erfahrung mitzunehmen.
In solchen herausfordernden Momenten wächst man erheblich – zumindest wird das in Selbsthilfebüchern immer wieder beteuert. Also wollte ich es versuchen. Menschen, die sich aus spirituellen oder kreativen Gründen zurückziehen und Abgeschiedenheit wählen, fallen aus der Reihe. Denn Alleinsein ist mit einem gesellschaftlichen Stigma verbunden. Wir nennen Personen, die es genießen, alleine zu sein, „Einzelgänger:innen“. So behaften wir dieses Verhalten negativ und ein negativer Beigeschmack bleibt zurück.
Schriftsteller:innen, Philosoph:innen und Kreative verschließen sich vor der Welt, um Arbeit von atemberaubender Qualität produzieren und ein höheres intellektuelles Niveau erreichen zu können. In vielerlei Hinsicht können wir uns so besser auf das konzentrieren, was wir tun, wenn wir allein und nicht in Gesellschaft anderer sind – denk nur mal an unsere ehrgeizigen Pläne zu Beginn der Pandemie, Romane zu schreiben und Sprachen zu lernen. Das ist das Seltsame an Isolation. In Schulen und Gefängnissen wird sie als Strafe für schlechtes Verhalten eingesetzt. Dennoch hat sie heute in unserer Wellness-Kultur einen hohen Stellenwert.
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Durch das Coronavirus waren wir alle dazu gezwungen, zu Hause zu bleiben und unser soziales Leben auf Eis zu legen. Ich kenne aber Leute, die davor mehr Geld ausgaben, als ich je gutheißen könnte, um in irgendeinem Spa in Stille dazusitzen. Manche Bekannte reisten auch nach Südasien, um dort eine Woche lang zu meditieren, um dem vermeintlichen „Chaos“ ihres privilegierten Stadtlebens zu entkommen.
In Japan gibt es ein Phänomen namens Hikikomori. Es trifft auf Tausende junge Menschen (von denen einige depressiv sind) zu, die sich manchmal über Jahre hinweg gesellschaftlich abkapseln. Das wird im Allgemeinen als Rückzug von der Außenwelt und als eine Form von Reaktion auf Druck und Stress von außen beschrieben. Dabei handelt es sich um eine Form von freiwilliger Isolation, weil das, was draußen passiert, als emotional triggernd und beunruhigend wahrgenommen wird.
Es gibt einen Unterschied zwischen der Entscheidung, sich für kurze Zeit von der Welt zu isolieren, sich zurückzuziehen, weil man etwas durchmacht und unfreiwilligem Alleinsein – etwas, das so viele von uns gerade durchleben. Es ist nicht das Gleiche, ob man sich für Abgeschiedenheit entscheidet, weil man sich besinnen und neue Kräfte tanken will, oder man sich von der Gesellschaft absondert, weil man innerlich leidet und einem gesagt wird, dass man keine andere Wahl hat.
Als die Sonne ein paar Tage nach Silvester aufging, trank ich gerade Kaffee, schaute aus dem Fenster auf meinen Balkon und dachte darüber nach, wie es wäre, einen weiteren Lockdown allein zu Hause überstehen zu müssen. In diesem Moment lief eine Maus an meinen Füßen vorbei. Da ich schläfrig war, dachte ich, dass ich sie mir nur eingebildet hatte. Dann rannte sie zurück zum Fenster und quetschte sich zwischen zwei Blumentöpfe, in denen die Reste des Gemüses lagen, das ich während des ersten Lockdowns angebaut hatte. Trotzdem redete ich mir ein, dass ich mir das alles, wie auch das Geraschel zu Silvester, nur eingebildet hätte.
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Welche Lektion sollte ich aus dieser Erfahrung lernen? Wie hat mir dieses Erlebnis dabei geholfen, geistig zu wachsen? Ich beschloss, vorsichtshalber eine Schädlingsbekämpfungsfirma anzurufen. Jemand würde am nächsten Tag vorbeikommen und sich um mein Mausproblem kümmern.
Es ist keine Schande, sich gerade jetzt besonders einsam zu fühlen, einen erneuten Lockdown beunruhigend zu finden oder sich davor zu fürchten, weiterhin auf unbestimmte Zeit auf sich selbst gestellt sein zu müssen. Es gibt einige Dinge, die man nicht alleine machen kann, bei denen man einfach einen anderen Menschen braucht, der einem hilft, der einen berät und beruhigt. Wir müssen nicht alles alleine machen.
Wenn du psychologische Hilfe benötigst, kannst du dich an diese Kontaktstellen wenden.
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