Die Arbeitsmarktreformen in Frankreich sorgen auch in Deutschland für Diskussionen: Ist ein gesetzliches E-Mail-Verbot nach Feierabend bei uns notwendig? Edith Löhle und Lia Haubner von Refinery29 haben da ganz unterschiedliche Meinungen...
Ich maile nach 18:00 Uhr, also bin ich? Gefährlich.
Ich sag nur Work-Life-Balance. Ja, der Begriff ist ausgelutscht und zieht diesen Yoga-Räucherstäbchen-Geruch mit sich. Und doch duftet für mich der Gedanke dahinter wohltuend: Mein Berufsleben und mein Privatleben sind zwei Inseln. Meine Arbeit ist quasi Malle, El Arenal ist der Schreibtisch, da dreh ich auf und geb' Gas. Die andere Insel ist ein fast schon einsamer, paradiesischer Rückzugsort: Hier komm ich runter, hier trinke ich nicht Schwesternschaft aus dem Sangria-Eimer, sondern bin bei mir. E-Mails nach Feierabend beantworten zu müssen, bedeutet für mich also: Meine Malle-Freunde kommen auf die ruhige Insel, grölen und tragen abartige T-Shirts mit Aufschriften wie „Kartoffelsalat. Dicke Titten“. Das stört mein Gleichgewicht. Und andersherum ist es ebenfalls unpassend. In El Arenal bitte ich ja auch nicht alle einen auf Schweigekloster zu machen und ruhig zu sein, nur weil ich mit mir sein will. Was ich sagen will, ist, um ein ausgeglichener Mensch zu sein, brauche ich beide Inseln und auch eine Art Rahmen. In Zeiten, in denen ich mal keine Rückzugsinsel mehr hatte, wurde ich unglücklich oder dann irgendwann krank. Es schickt sich wohl nicht, das in unserer Leistungsgesellschaft zuzugeben, doch wer nicht zur Ruhe kommt, fällt irgendwann ganz aus. Klugscheißermäßig könnte ich an dieser Stelle Studien zitieren, die besagen, dass die Generation-immer-erreichbar viel öfter an Burnout erkrankt, als die Generation-aus-dem-Büro-aus-dem-Sinn. Ein Gegenargument ist wohl, dass jeder selbst dafür verantwortlich ist, wieviel Arbeitszeit er mit in den Feierabend nimmt. Ich finde aber, dass das nicht ganz stimmt. Auch wenn ich den Druck persönlich nicht verspüre, eine Dauerleitung zu Vorgesetzten oder Geschäftspartnern haben zu müssen, kenne ich sehr viele Leute, die sich nicht trauen, ihr Handy einfach auszuschalten. Und für all die Geplagten, die Stress im Bett haben, weil sie lieber ihre Finger zum Mailen benutzen, statt die Beziehung zu streicheln. Für all die jenigen, die denken, dass das heutzutage einfach dazugehört und irgendwann einfach nicht mehr können – für all die wünsche ich mir, dass der Gesetzgeber paradiesische Ruhe im Kopf schafft. Ich wünsche mir ebenfalls ein Verbot oder noch besser eine nicht schmerzende, aber lustige Strafe für Geschäftspartner, die mir undringliche Mitteilungen oder Anfragen für 2025 per WhatsApp auf meine Insel schicken. Edith Löhle
Bin ich schon drin? Ja! Zum Glück.
Boris Beckers Frage aus der AOL-Werbung von 1999 hat meine Jugend begleitet, dicht gefolgt vom Quietschen des Modems und dem ICQ-Benachrichtgungston. Trotzdem bin ich heilfroh, dass ich mir die Frage heute nicht mehr stellen muss. Im Zeitalter des Smartphones werden Begriffe wie „ins Internet gehen“ überflüssig. Zum Glück! Ich teile meinen Alltag nicht in die Kategorien online und offline ein, weil ich ein Leben führe, in dem beides Hand in Hand geht – und genau das liebe ich. Der stetige Strom an Arbeits-E-Mails gehört dazu. In einem internationalen Unternehmen ist immer irgendwo Montagmorgen. Zeigt die Uhr in meiner Zeitzone klar und deutlich, dass ich mich im Feierabend befinde, ist es allerdings wahrscheinlicher, dass mein Smartphone gerade mit Netflix beschäftigt ist. Oder auf dem Tisch liegt, während ich mit einer Freundin auf den Mittwoch anstoße. Vielleicht mache ich davon auch ein Instagrambild. Alles kann, nichts muss. Ich glaube fest daran, dass Work-Life-Balance im Kopf und nicht im Gesetzbuch beginnt. Nun könnte man natürlich argumentieren, dass genau wie bei der Frauenquote ein bestimmter, verbindlicher Druck nötig ist, um eine Veränderung zu bewirken. Ein sinnvoller Ansatz – trotzdem glaube ich, dass ein Verbot in diesem Fall am eigentlichen Problem vorbei pauschalisiert. Statt Überregulierung wünsche ich mir mehr Verantwortung auf Arbeitgeberseite. Ein Unternehmen, das das allgemeine Wohlbefinden seiner Angestellten nicht nur auf seiner About-Seite hervorhebt, muss in der Lage sein, eine vernünftige Kommunikationskultur zu entwickeln. Dazu gehört, als Angestellte oder Angestellter nicht das Bedürfnis haben zu müssen, um 23:41 Uhr zu antworten – weil man sich sicher sein kann, dass auch keine Vorgesetzte oder kein Vorgesetzter aus derselben Zeitzone im Normalfall auf die Idee kommen würde, ihr oder sein E-Mail-Programm zu nutzen. Außerdem kann ein offener Diskurs die Chance bieten, den Büroalltag anders zu definieren. Herrscht zusätzlich zur Verpflichtung, die E-Mails auch am Abend nicht aus dem Auge zu verlieren, gleichzeitig eine entsprechende Flexibilität bei der Präsenzzeit am Tag, hat jeder gewonnen. Soll heißen? Vertrauen und Verantwortung sind langfristig sinnvoller als Verbote. Ich plädiere für weniger Angst und mehr Mut. Anstelle von allgemeinen Regulierungen wünsche ich mir einen bewussten Umgang mit einem Leben, in dem Begriffe wie digital und real nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden können. Warum also nicht ein Schulfach, das den bewussten Umgang mit der ständigen Erreichbarkeit lehrt? Das wäre Konsequenz mit Zukunftspotential.
Lia Haubner
Boris Beckers Frage aus der AOL-Werbung von 1999 hat meine Jugend begleitet, dicht gefolgt vom Quietschen des Modems und dem ICQ-Benachrichtgungston. Trotzdem bin ich heilfroh, dass ich mir die Frage heute nicht mehr stellen muss. Im Zeitalter des Smartphones werden Begriffe wie „ins Internet gehen“ überflüssig. Zum Glück! Ich teile meinen Alltag nicht in die Kategorien online und offline ein, weil ich ein Leben führe, in dem beides Hand in Hand geht – und genau das liebe ich. Der stetige Strom an Arbeits-E-Mails gehört dazu. In einem internationalen Unternehmen ist immer irgendwo Montagmorgen. Zeigt die Uhr in meiner Zeitzone klar und deutlich, dass ich mich im Feierabend befinde, ist es allerdings wahrscheinlicher, dass mein Smartphone gerade mit Netflix beschäftigt ist. Oder auf dem Tisch liegt, während ich mit einer Freundin auf den Mittwoch anstoße. Vielleicht mache ich davon auch ein Instagrambild. Alles kann, nichts muss. Ich glaube fest daran, dass Work-Life-Balance im Kopf und nicht im Gesetzbuch beginnt. Nun könnte man natürlich argumentieren, dass genau wie bei der Frauenquote ein bestimmter, verbindlicher Druck nötig ist, um eine Veränderung zu bewirken. Ein sinnvoller Ansatz – trotzdem glaube ich, dass ein Verbot in diesem Fall am eigentlichen Problem vorbei pauschalisiert. Statt Überregulierung wünsche ich mir mehr Verantwortung auf Arbeitgeberseite. Ein Unternehmen, das das allgemeine Wohlbefinden seiner Angestellten nicht nur auf seiner About-Seite hervorhebt, muss in der Lage sein, eine vernünftige Kommunikationskultur zu entwickeln. Dazu gehört, als Angestellte oder Angestellter nicht das Bedürfnis haben zu müssen, um 23:41 Uhr zu antworten – weil man sich sicher sein kann, dass auch keine Vorgesetzte oder kein Vorgesetzter aus derselben Zeitzone im Normalfall auf die Idee kommen würde, ihr oder sein E-Mail-Programm zu nutzen. Außerdem kann ein offener Diskurs die Chance bieten, den Büroalltag anders zu definieren. Herrscht zusätzlich zur Verpflichtung, die E-Mails auch am Abend nicht aus dem Auge zu verlieren, gleichzeitig eine entsprechende Flexibilität bei der Präsenzzeit am Tag, hat jeder gewonnen. Soll heißen? Vertrauen und Verantwortung sind langfristig sinnvoller als Verbote. Ich plädiere für weniger Angst und mehr Mut. Anstelle von allgemeinen Regulierungen wünsche ich mir einen bewussten Umgang mit einem Leben, in dem Begriffe wie digital und real nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden können. Warum also nicht ein Schulfach, das den bewussten Umgang mit der ständigen Erreichbarkeit lehrt? Das wäre Konsequenz mit Zukunftspotential.
Lia Haubner
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