1968: Bei der Miss-America-Wahl werden BHs mit Heels und Make-up von feministischen Aktivistinnen symbolisch in einen „Freiheitsmülleimer“ geworfen.
2017: Emma Watson trägt in einer Fotostrecke keinen BH – und muss sich dafür rechtfertigen, keine „richtige“ Feministin zu sein. Für die Titelgeschichte der Vanity Fair stand die britische Schauspielerin vor Tim Walkers Kamera. Was sie im Interview erzählt, scheint zweitrangig zu sein. Es ist das Foto ohne BH, das seit dem Wochenende online diskutiert wird.
„Emma Watson: „Feminismus, Feminismus... Gender Pay Gap... warum, oh warum werde ich bloß nicht ernstgenommen... Feminismus... oh, und hier sind meine Brüste!“, twitterte Journalistin und Radiomoderatorin Julia Hartley-Brewer. Auf dem angehängten Foto ist Emmas Watsons Vanity Fair-Foto in einer Ausgabe der Sun zu sehen. Die unmissverständliche Überschrift von Showbiz-Redakteurin Nicola Fahey: Beauty & The Breasts. „DING-dong, Belle!“, ist darunter zu lesen.
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Emma Watson: "Feminism, feminism... gender wage gap... why oh why am I not taken seriously... feminism... oh, and here are my tits!" pic.twitter.com/gb7OvxzRH9
— Julia Hartley-Brewer (@JuliaHB1) March 1, 2017
Im ersten Moment ist man ratlos. Soll man sich nun zuerst die Augen oder doch die Ohren zuhalten? Reicht vielleicht einfach ein laut ausgerufenes DING-dong, ernsthaft?
Ein Bild scheint Grund genug zu sein, um von der feministischen Vorzeigeprominenten zur viel zu freizügigen Prinzessin abgestempelt zu werden. Dass sich Watson mit ihrer eigenen UN-Kampagne #HeForShe als Botschafterin für Gleichberechtigung einsetzt und einen feministischen Buchclub auf GoodReads ins Leben gerufen hat? Kann ja nicht so ernst gemeint sein, schließlich zeigt sie ihre Brüste.
Die beste Antwort auf die Vorwürfe gab Emma Watson übrigens selbst: „Ich bin verwirrt.“ Schließlich gehe es bei Feminismus doch darum, die Wahl zu haben, so die 26-Jährige gegenüber der BBC: „Feminismus ist kein Stab, mit dem du andere Frauen niederknüppeln sollst. Es geht um Freiheit, es geht um Befreiung, es geht um Gleichberechtigung. Ich habe wirklich keine Ahnung, was meine Brüste damit zu tun haben sollen.“
2014 klang das noch anders. Im Gespräch mit Bloggerin und Schauspielerin Tavi Gevinson kritisierte Watson im Wonderland Magazine die „männliche, voyeuristische Experience“, die Beyoncé in den Videos zu ihrem Visual Album vermitteln würde. Diese würde sich nicht mit der Bezeichnung Feministin, die auch Beyoncé für sich beansprucht, vereinbaren lassen.
Watson schmeckt in der aktuellen Debatte also ihre eigene, bittere Medizin. Ihr deshalb ein „Da hast du's!“ vor den Latz zu knallen, ist einfach. Zu einfach? Einer reflektierten Mitte Zwanzigjährigen darf man unterstellen, dass auch in einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne ein Gedankenprozess in Gang gesetzt wurde. Und wer weiß, vielleicht hat sie genau dieser Prozess zu dem Entschluss bewogen, dass es vollkommen okay ist, in einer Fotostrecke auch mal keinen BH zu tragen?
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Es geht um Freiheit, es geht um Befreiung, es geht um Gleichberechtigung. Ich habe wirklich keine Ahnung, was meine Brüste damit zu tun haben sollen.
Emma Watson
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Emma Watson ist keine schlechte Feministin, weil sie auf der Leinwand eine Prinzessin spielt und in einem Magazin mehr zeigt, als man in den sozialen Netzwerken für angemessen hält. Stattdessen macht sie deutlich, dass sehr wohl beides möglich ist – und schafft damit nicht nur einen eigenen Raum für sich, sondern für viele Frauen.
Dieser erinnert an die berühmten vier Wände im Titel von Virginia Woolfs Essay A Room Of One's Own. Darin beschäftigt sich Woolf mit der Frage, was nötig ist, damit Frauen Literatur schaffen. Oder, allgemeiner gesagt, Kultur. Woolf beantwortet sie praktischerweise auch im Text: „Gebt ihr ein Zimmer für sich allein und fünfhundert im Jahr, lasst sie sagen, was sie denkt, und die Hälfte weglassen von dem, was sie jetzt hineinpackt, und sie wird eines Tages ein besseres Buch schreiben. Sie wird eine Dichterin sein (...) – in hundert Jahren.“
Woolf schrieb ihr Essay zu einer Zeit, in der Frauen studieren durften. An den Colleges im Jahr 1929 waren sie dann aber mit getrennten Bereichen, ungleichen Bedingungen oder Büchermangel konfrontiert. Was ihnen zu dieser Zeit jedoch am meisten gefehlt hat? Woolf bringt es damals auf den Punkt: Vorbilder.
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Wir müssen uns nicht zwischen Prinzessin und Feministin entscheiden.
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Das bedeutet im Umkehrschluss nicht unbedingt, dass eine Beauty And The Beast-Neuverfilmung oder ein Vanity Fair-Foto automatisch Kunst ist, weil sich die Protagonistin als Feministin bezeichnet. Wohl aber, dass Emma Watson mit vielen anderen Feministinnen einen Raum schafft, der zeigt, dass es mehr als nur zwei Seiten gibt. Die Schauspielerin setzt sich über Standards hinweg und macht so sichtbar, was möglich ist.
Wir müssen uns nicht zwischen Prinzessin und Feministin entscheiden. Wir müssen auch nicht zwischen beiden Rollenbildern vermitteln – gerade weil wir sagen können, was wir denken. Und die Hälfte weglassen können, wenn wir es denn möchten. Eine Feministin darf sehr wohl eine Fotostrecke ohne BH machen und wenn eine Frau wie Watson auf diesem Gebiet Pionierarbeit leistet, wird das irgendwann kein Twitter-Aufreger mehr sein, sondern einfach nur vollkommen normal.
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