Maria ist Ende 20 und lebt mit Endometriose. Für ihre Doktorarbeit recherchiert sie zur Geschichte der Krankheit und dazu, wie Patient:innen die Endometriose erleben. Zum Endometriosis Awareness Month 2022 hat sie mit der Redakteurin Hannah Turner über ihre Erfahrungen und ihre Hoffnungen für die Zukunft gesprochen.
Wenn ich so darauf zurückschaue, fingen meine Endometriose-Symptome ähnlich an wie bei vielen der Betroffenen, die ich kenne. Wir alle erlebten früh unsere erste Periode, machten schlimme Schmerzen durch und bekamen zu hören, das sei alles normal, eine Blutung würde eben wehtun und wir sollten uns einfach damit abfinden.
Ich hatte meine erste Periode mit neun Jahren und war von Anfang an ziemlich allein damit. Jedes Mal, wenn es wieder soweit war, warfen mich die Schmerzen völlig aus der Bahn. Als ich 14 war, ging ich wegen meiner schweren Tage zur Frauenärztin und bekam, wie scheinbar alle anderen, die Pille verschrieben. Daraufhin hatte ich nur zweimal pro Jahr meine Tage, und eine Zeit lang sah es so aus, als seien meine Probleme und Schmerzen verschwunden.
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Ein paar Jahre vergingen. Ich studierte inzwischen, und die Schmerzen kehrten allmählich zurück. Ich wusste, dass da was nicht stimmte (wie die meisten Betroffenen), aber war darauf konditioniert worden, mir selbst einzureden, das sei immer noch normal. Ich dachte, diese neuen, großflächigeren Schmerzen hätten mit meinen damaligen Menstruationsbeschwerden nichts zu tun. Während einer besonders schmerzhaften Phase ging ich in die Praxis auf dem Uni-Campus. Dort verbrachte ich mehrere Stunden – und jede:r der Ärzt:innen, die mit mir sprachen, lenkten das Gespräch ganz langsam von meinen Symptomen zu meinen Reaktionen. Sie deuteten an, meine Stimmung sei für die Schmerzen verantwortlich – nicht andersrum. Ich hatte meine Schmerzen direkt und ganz offen mitgeteilt. Mir ging es schlecht, doch sie betrachteten meine Tränen und meine Wut nur als „Probleme in meinem Kopf“. Die Existenz meiner körperlichen Schmerzen wurde komplett ignoriert. Ich verließ die Praxis mit einer Packung Antidepressiva.
Das ergibt keinen Sinn, oder? Warum bekam ich Medikamente für eine geistige Erkrankung verschrieben, obwohl ich körperliche Beschwerden hatte? Heute ist es leicht, darauf zurückzuschauen und genau zu erkennen, wie sehr man mich im Stich ließ – damals, mit 19, hatte ich aber noch gar kein Verständnis für chronische Krankheiten, Fortpflanzungsmedizin oder dafür, wie „falsch“ ein Körper manchmal funktionieren kann. Es war kaum überraschend, dass die Medikamente nichts bewirkten. Ich wurde an eine psychiatrische Praxis überwiesen.
Dort wurden meine Antidepressiva dann gegen Antipsychotika ausgetauscht. Als ich die Praxis verließ, fühlte ich mich fast schon benebelt. Ich verstand meine neuen Medikamente nicht so richtig und hatte dieser neuen Behandlung definitiv nicht informiert zustimmen können. Erst, als ich später in der Praxis anrief, um eine Frage zu stellen, wurde mir mitgeteilt, dass meine Diagnose „Bipolar-II-Störung“ lautete. Laut der Praxis sei ich zwei Wochen im Monat depressiv, und während der anderen beiden – schmerzfreien – Wochen erlebte ich ein starkes Gefühl der Erleichterung, ähnlich wie die typischen, extremen Stimmungsschwankungen einer bipolaren Störung. Die nächsten fünf Jahre versuchte ich, mit der Einsicht klarzukommen, dass ich bipolar war, die mit der Krankheit verbundenen Stigmata zu bewältigen und die Vorstellung hinzunehmen, dass mich jede Person, der ich von der Diagnose erzählte, womöglich erstmal für verrückt halten würde. Ich wurde online zur Aktivistin für die Krankheit und setzte mich gegen diese Mythen und Stereotypen ein.
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Endometriose ist eine ganzkörperliche chronische Entzündungskrankheit, bei der Gewebe („Endometrium“), das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter wächst. Die Erkrankung ist unterdiagnostiziert und wird typischerweise falsch behandelt.
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Wir reden allen Betroffenen von chronischen Schmerzen dieselbe Story ein: Weil wir die Schmerzen nicht sehen können, weil bei Tests und Scans keine körperlichen Anzeichen erkennbar sind, müsse das Ganze psychosomatisch sein. Es könne ja nur der Fantasie des:der Betroffenen entspringen. Und schließlich wird Ärzt:innen beigebracht, Probleme zu lösen und Antworten zu finden; chronische Schmerzen und chronische Krankheiten erschweren das natürlich, weil es darauf eben keine schlichte Lösung gibt – häufig gar keine Lösung. Die Realität, dass Tausende von Menschen rund um die Uhr unter Schmerzen leiden könnten, ist für viele unvorstellbar. Daher fällt es manchen – auch Ärzt:innen – leichter, zu behaupten, das Ganze sei nicht real, als zuzugeben: „Ich kann Ihnen nicht helfen.“
Einige Jahre nach meinem Abschluss tauchte bei mir ein neuer, ganz bestimmter Schmerz auf: ein Pochen im Becken, ein stechender Schmerz im linken Eierstock. Ich wandte mich hilfesuchend an eine neue Praxis, ließ Ultraschall, CAT-Scans, Darmspiegelungen über mich ergehen – doch war immer noch nichts zu sehen. Mir wurde gesagt, ich habe wohl einfach eine Verstopfung und solle mir keine Sorgen machen. Inzwischen blutete ich teilweise monatelang jeden Tag, und in der Praxis hieß es: „Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen.“ Ich fuhr wieder und wieder in die Notaufnahme und wurde wieder und wieder abgewiesen, sogar ohne Tests, ohne Untersuchung. „Körperlich gesehen stimmt alles mit ihnen“, teilte man mir mit. An diesem Zeitpunkt steckte ich selbst schon tief in meiner eigenen Recherche. Ich hatte erfahren, dass sich meine Tante in meinem Alter einer Endometriose-OP unterzogen hatte. Ich las mich durch medizinische Zeitschriften und Twitter-Threads – und ja, diagnostizierte mir selbst Endometriose, weil mir ja sonst niemand helfen wollte. Nach und nach setzte ich die antipsychotischen Medikamente ab, die mir Jahre zuvor verschrieben worden waren. Sie halfen mir nicht, und die Nebenwirkungen wurden immer unangenehmer.
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Ich bemühte mich um eine Überweisung in die gynäkologische Chirurgie. Monate später wachte ich nach einer laparoskopischen OP auf, um daraufhin zu erfahren, dass Endometrium an meiner Blase, meiner Gebärmutter, den umliegenden Bändern, dem Darm und beiden Eierstöcken wucherte. Mein Enddarm war mit meiner Gebärmutter verwachsen. Juhu – Erfolg? Ich hatte endlich Beweise für die Schmerzen in mir, doch verschwanden die Schmerzen dadurch natürlich nicht, sondern wurden sogar immer schlimmer.
Endometriose ist eine ganzkörperliche chronische Entzündungskrankheit, bei der Gewebe („Endometrium“), das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter wächst. Die Erkrankung ist unterdiagnostiziert und wird typischerweise falsch behandelt. Sie lässt sich nicht durch die Anti-Baby-Pille, eine Hysterektomie (eine chirurgische Entfernung der Gebärmutter) oder Schwangerschaft „heilen“. Die Fehlinformationen, die rund um die Krankheit kursieren, sind so weit verbreitet, dass selbst Ärzt:innen die Endometriose häufig falsch verstehen und behandeln. Mein erster Chirurg war kein Endometriose-Spezialist; er ließ Endometrium und Verwachsungen zurück und verletzte meine Nerven. All das wurde bei meiner zweiten OP entdeckt, weniger als ein Jahr darauf. Als ich nach dieser zweiten Operation aufwachte – diesmal unternommen von einem chirurgischen Team mit Endometriose-Fachkenntnis –, waren meine quälenden Schmerzen verschwunden. Ich war sofort unfassbar erleichtert.
Heute habe ich meine Endometriose unter Kontrolle (zumindest so gut, wie es geht), und die psychologischen Symptome, wegen derer ich als „geistig krank“ abgestempelt wurde, sind verpufft. Es ist völlig normal, unter körperlichen Schmerzen auch geistig zu leiden – und wiederum total erleichtert zu sein, wenn du mal einen seltenen schmerzfreien Tag erlebst. Diese Fehldarstellung von chronischen Schmerzen, kombiniert mit der medizinischen Misogynie, die bei vielen Krankheiten mitschwingt, die vorrangig Menschen mit Gebärmutter betreffen, führen zu Fehldiagnosen schwerer geistiger Erkrankungen und Unterdiagnosen von Krankheiten wie Endometriose.
Wenn ich jetzt auf meine 20er zurückschaue, kann ich meine Erfahrungen langsam zu einem großen Puzzle zusammenbasteln. Ich bin mir heute ziemlich sicher, dass die Endometriose meine Psyche ruinierte. Das hatte nichts mit einer bipolaren Störung zu tun. Ich war sechs Jahre lang damit beschäftigt, mit einer Bipolaritäts-Diagnose Frieden zu schließen – und einzusehen, dass ich mir meine Schmerzen nur einbildete. Das verbittert mich bis heute.
Weil mir nicht geglaubt wurde, bin ich bis heute ein sehr unsicherer Mensch. Beinahe jeder Kontakt, den ich in meinen 20ern mit dem Gesundheitssystem hatte, sorgte bei mir für ein medizinisches Trauma. Es wäre leicht, mir jetzt einzureden, dass alles anders gelaufen wäre, wenn ich mehr Ärztinnen aufgesucht hätte; vielleicht hätten die etwas gesehen, was die Männer nicht erkannten, und mehr Mitgefühl gehabt. Heute weiß ich aber, dass alle Ärzt:innen – unabhängig von ihrem Gender – den medizinischen Frauenhass befeuern können, durch den sich ihre Patient:innen wertlos fühlen. Die Lösung für all das ist nicht, mehr Frauen in die Medizin zu holen, oder gar mehr Endometriose-Spezialist:innen auszubilden, sondern eine komplette Umstellung des Gesundheitssystems. Patient:innen sollten als Expert:innen für ihre eigenen Körper angesehen werden. Chronischer Schmerz sollte ohne jegliche Nachfragen anerkannt werden. Und Fruchtbarkeit sollte endlich nicht mehr im Zentrum der Gesundheit aller Menschen mit Gebärmutter stehen.
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