Es war 2014, als ich regelmäßig klassische Grippe-Symptome entwickelte. Erhöhte Temperatur, Halsschmerzen, Gliederschmerzen, Müdigkeit, angeschwollene Lymphknoten in den Achseln und der Leistengegend – all das sorgte dafür, dass ich eine oder zwei Wochen flachlag. Diese kranken Phasen überrumpelten mich oft, wenn ich gerade viel zu tun hatte. Ich schob sie also auf Stress, ein schwaches Immunsystem oder meine Blutzucker-Erkrankung Hypoglykämie (Unterzuckerung). Ab und zu erlebte ich auch einen Monat, in dem ich mildere oder gar keine Symptome hatte. Das Timing wirkte also sehr zufällig, und ich erkannte darin nie ein Muster.
Als ich schließlich einen Vollzeitjob anfing, musste ich mich allerdings jeden Monat für zwei bis vier Tage krankmelden. Wann immer ich mit den Symptomen aufwachte, hätte ich bei der Vorstellung heulen können, mich schon wieder krankmelden zu müssen, und schleppte mich deswegen oft krank ins Büro. Als ich wegen der ganzen Krankmeldungen schließlich von der Personalabteilung zu einem Gespräch gebeten wurde, konnte ich auf ihre besorgten Fragen nur mit einem verlegenen Schulterzucken antworten. 2019 entschied ich mich deswegen sogar dazu, mich selbstständig zu machen.
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All meine Symptome hatten allerdings einen Auslöser, auf den ich selbst niemals gekommen wäre: Endometriose.
Obwohl zwischen acht und 15 Prozent aller Menschen mit Gebärmutter von der Krankheit betroffen sind, dauert es nach dem Auftreten der ersten Symptome durchschnittlich 10,4 Jahre, bis Betroffene eine Diagnose bekommen. Das liegt vor allem an der Vielseitigkeit der Endometriose-Symptome, die zu Fehldiagnosen führen kann. Die geläufigsten Symptome von Endometriose sind starke Schmerzen während der Periode, Schmerzen im Unterbauch oder Rücken auch außerhalb der Periode, verstärkte Blutungen oder Zwischenblutungen, Schmerzen beim Sex oder auf der Toilette. Viele Betroffene könnten diese Liste aber noch lange weiterführen. Andere regelmäßige Symptome rund um deine Periode können das Ergebnis der zyklischen Entzündungen sein, die häufig mit der Endometriose einhergehen – und zu denen gehören womöglich auch Symptome, die du (oder auch deine Ärzt:innen) nicht mal mit deiner Gebärmutter in Verbindung bringen würdest, so wie in meinem Fall.
Als mich die Symptome im Januar 2021 schließlich sogar in meinem Master-Studium behinderten, wandte ich mich hilfesuchend an meine Hausärztin. Sie verwies mich an einen Endokrinologen, mit dem Verdacht auf ein chronisches Erschöpfungssyndrom. Das wurde dort aber sofort ausgeschlossen, und ich wurde an die Immunologie weiterverwiesen, um mich gründlich durchtesten zu lassen. Ich wurde allerdings nachdenklich, nachdem man mich nach dem Timing meiner Krankheitsphasen gefragt hatte. Die Symptome kamen immer sieben bis zehn Tage vor meiner Periode. Eine spätnächtliche Google-Session führte schließlich zu einem Durchbruch: Ich stieß auf einen Post im Endometriose-Forum der Website HealthUnlocked zur „period flu“ („Perioden-Grippe“). Ich spürte instinktiv: Das war die Antwort. Aber selbst, als alle Immunologie-Tests negativ ausfielen, weigerte sich die Ärztin, Endometriose als Erklärung in Betracht zu ziehen. Sie versicherte mir, meine Symptome passten einfach nicht dazu. (Zugegeben: Auch die Endometriose Vereinigung Deutschland e.V. führt in den oft beschriebenen Symptomen keine grippeähnlichen Beschwerden auf. Bisher gab es auch nur wenige Untersuchungen zu einem Zusammenhang zwischen Menstruation und grippeähnlichen Symptomen.) Wir einigten uns schließlich auf ein Experiment: Ich würde die Verhütungspille ohne Einnahmepause nehmen, um sämtliche Blutungen zu verhindern. Und siehe da: Wie durch Zauberhand verschwanden die monatlichen Grippe-Symptome – auch wenn die Erschöpfung blieb.
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Alles änderte sich, als ich im Oktober 2021 mit stechenden Schmerzen im rechten Unterbauch ins Krankenhaus kam. Der Verdacht: Blinddarmentzündung – die jedoch ausgeschlossen wurde, ohne dass man mir eine konkrete Alternative nennen konnte. Ich verließ das Krankenhaus also ohne Erklärung, war mir aber sicher, Endometriose zu haben. Und tatsächlich kehrten die Schmerzen danach jeden Monat pünktlich zurück. Meine Gynäkologin war dennoch skeptisch, dass eine Bauchspiegelung (Laparoskopie, die häufigste Diagnosemethode für Endometriose) etwas finden würde. Widerwillig stellte sie mir dennoch eine Überweisung für die OP aus.
Die Laparoskopie bestätigte schließlich meinen Verdacht: Ich habe Endometriose im zweiten Stadium („mäßig“). Mein Chirurg, der Endometriose-Spezialist Dr. Edmond Edi-Osagie, stimmte mir außerdem darin zu, dass die Krankheit der Auslöser meiner Grippe-Symptome war. „Früher glaubten wir, Endometriose beschränke sich ausschließlich auf den Beckenbereich“, erklärte er mir. „Weil wir jetzt aber mehr über die Krankheit wissen, ist uns klar, dass Endometriose eine systemische entzündliche Erkrankung ist, die sich meistens im Gewebe des Beckenbereichs manifestiert. Endometriose ist außerdem hormonell bedingt – vor allem durch Östrogene, die von den Eierstöcken ausgeschüttet werden. Daher manifestiert sie sich zyklisch, abhängig vom Menstruationszyklus. Die Symptome hängen also mit den Östrogenschwankungen im Zyklus zusammen. Dazu gehören wiederkehrende Unterbauchschmerzen und systemische Entzündungssymptome wie Erschöpfung, grippeähnliche Beschwerden, generelles Unwohlsein, körperliche Schmerzen und Stimmungsschwankungen.“ Ein Artikel von 2021 in The Lancet bestätigt diesen Fortschritt im medizinischen Verständnis der Krankheit.
Inzwischen habe ich mich von meiner OP erholt, habe einen völlig neuen Ausblick auf mein Leben – und hoffe, Menschen mit Gebärmutter und Ärzt:innen in aller Welt darüber aufklären zu können, dass wiederkehrende Grippe-Symptome ein Anzeichen für Endometriose sein können. Wird die „Perioden-Grippe“ als Endometriose-Symptom anerkannt, könnte das vielen Menschen die jahrelange Wartezeit auf eine Diagnose ersparen, die ich selbst durchmachen musste.
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