Ständig sehe ich auf Instagram, wie andere Menschen am Wochenende Zeit mit ihren engen Freunden verbringen. Auf den Fotos lachen sie und wirken innig und froh, einander zu haben. Ich hingegen habe schon große Probleme damit, andere Leute zu fragen, ob sie überhaupt Zeit mit mir verbringen möchten. Dabei weiß ich, dass mir das gut tun würde.
Sobald ich nur daran denke, einer oder einem Bekannten eine Nachricht zu schreiben und zu fragen, ob sie oder er vielleicht einen Kaffee trinken möchte, stelle ich mir selber im zweiten Schritt die Frage, wieso die andere Person überhaupt Lust haben sollte, mich zu sehen. Oder ich stelle mir die Situation vor, in der wir einander treffen und fühle mich sofort zu hundert Prozent dafür verantwortlich, dass die oder der andere sich wohl fühlt und während des Treffens Spaß hat.
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Allein der Gedanke daran setzt mich schon so unter Druck, dass ich es häufig gar nicht erst versuche und mich von anderen Menschen zurückziehe. Das deprimiert mich. Wenn ich andere sehe, die viele Freund*innen haben, frage ich mich: „Wie schaffen die es bloß, sich auf einen Kaffee zu verabreden und einfach hinzugehen, ohne Angst zu haben, dass sie miteinander keine gute Zeit haben werden, ohne sich dafür verantwortlich zu fühlen, dass dieses Treffen total lustig wird?“ Wieso scheint es für alle anderen kein Problem zu sein, Freund*innen zu finden? Und wieso schaffe ich das nicht?
Dabei bin ich keine Eigenbrötlerin. Ich gehe zum Beispiel wahnsinnig gerne auf Partys mit richtig vielen Menschen, auf denen ich mit allen möglichen Leuten locker ins Gespräch komme. Wahrscheinlich würde niemand, der mich so von Person zu Person schwirren sieht, auf die Idee kommen, dass ich schüchtern bin. In solchen Situationen schaffe ich es sogar, für einen begrenzten Zeitraum ziemlich charmant zu sein. Bevor mein Gegenüber aber erkennen kann, dass ich in Wirklichkeit der schlechte oder langweilige Mensch bin, für den ich mich selbst halte, bin ich schon weiter zum nächsten Partygast gezogen. Das führt dazu, dass ich zwar viele Bekannte habe, aber keinen Menschen, den ich als einen engen Freund bezeichnen würde.
Es ist also ein ziemliches Dilemma. Auf der einen Seite bin ich in großen Gruppen selbstbewusst und verhalte mich so, dass mich andere vielleicht sogar um meine Lockerheit beneiden. Auf der anderen Seite bremse ich mich aus, gehe hart mit mir selbst ins Gericht und habe Angst, der Bewertung anderer Menschen ausgesetzt zu sein. Ich fürchte, nicht den Anforderungen, von denen ich glaube, dass andere sie an mich stellen, gerecht zu werden.
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Woher aber kommt das? Ich habe mit einer Psychotherapeutin darüber geredet. Sie hat mich gebeten, darüber nachzudenken, was meine Rolle innerhalb der Familie gewesen ist, als ich aufgewachsen bin. Hatte ich vielleicht einen anspruchsvollen Elternteil, der sehr viel von mir abverlangt hat? Manchmal sind die Anforderungen, denen wir ausgesetzt sind, gar nicht so offensichtlich, und gerade als Kinder machen wir alles, um unseren Eltern zu gefallen. Manchmal führt das dazu, dass wir uns in der Rolle des Aufmunterers eines deprimierten Elternteils wiederfinden – Stichwort Sonnenschein. Oder, falls wir selber ein introvertiertes oder trauriges Kind waren, gespürt haben, dass unsere Eltern enttäuscht von uns sind.
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Wieso scheint es für alle anderen kein Problem zu sein, Freund*innen zu finden? Und wieso schaffe ich das nicht?
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Frühe Beziehungen definieren, wie wir uns selbst im späteren Leben wahrnehmen. Der Therapeutin ist aufgefallen, dass ich in Bezug auf soziale Interaktionen oft das Wort „Verantwortung“ benutze. Wenn andere in meiner Gesellschaft fröhlich sind, fühle ich mich bestärkt und weniger ängstlich. Ihre Reaktion gibt mir ein Gefühl der Kontrolle. Gleichzeitig spüre ich Neid Menschen gegenüber, die sich in Gesellschaft nicht verantwortlich für die Gefühle ihres Gegenübers fühlen. Leute, die einfach so, ohne Nervosität, Ansprüche und Scham mit anderen Zeit verbringen können, machen mir sogar ein bisschen Angst.
Und was bedeutet das nun für mich? Ich muss lernen, dass es einen Mittelweg gibt zwischen einem Charmebolzen, der alle Partygäste verzaubert und einem depressiven Außenseiter, der sich nicht traut, auf andere Menschen zuzugehen.
Meine Therapeutin hat mir geraten, die Situationen, in denen ich das Gefühl habe, ausgesprochen charmant zu sein, ehrlich zu hinterfragen. Bin ich tatsächlich so liebenswert? Oder fahre ich anderen aus lauter Angst, sie könnten mein ‚wahres Ich’ sehen, konstant über den Mund? Spricht aus mir dann nicht viel mehr die Furcht vor Verletzlichkeit, die mich zu der vermeintlichen Partybombe werden lässt, die ich im inneren vielleicht gar nicht bin? Zu erkennen, dass ich nicht dann die beste Version meiner Selbst bin, wenn ich unangreifbar bin, ist der erste Schritt in die richtige Richtung.
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Doch dann beginnt erst die richtige Arbeit und ich muss mich dem wohl schwierigsten Teil meines Problems zuwenden. Wieso habe ich nämlich eigentlich das Gefühl, ein langweiliger Mensch mit einem schlechten Charakter zu sein, wenn ich ‚nur’ ich selbst bin? Fühle ich mich unwohl mit mir und habe Angst, dass andere diese Seite von mir sehen könnten, wenn sie mich besser kennenlernen? Indem ich andere auf Abstand halte, behalte ich die Kontrolle und muss mich den Problemen, die ich mit mir selbst habe, nicht stellen. Meine Therapeutin hat mir deshalb geraten, eine Person, die mir nahesteht, zu fragen, ob sie das Gefühl hat, dass ich öfter etwas Langweiliges erzähle. Das ist natürlich absolut nichts, was ich machen möchte. Die Therapeutin ist aber der Auffassung, dass die Erfahrung, mich einer Person anzuvertrauen und auf positives Feedback zu stoßen, nämlich zu hören, dass ich nicht als langweilig wahrgenommen werde, für mich einen großen Schritt nach vorne bedeuten könnte.
Der zweite Schritt wird sein, meine Gefühle und auch meine Befürchtungen nicht nur Menschen anzuvertrauen, die mir sehr nahestehen, sondern auch solchen, die ich bisher nur als Bekannte kennengelernt habe. Die Vermutung meine Therapeutin ist nämlich, dass ich nicht auf Ablehnung treffen werde, sondern vielmehr feststellen könnte, dass auch andere Menschen manchmal ähnliche Sorgen plagen wie mich. Vielleicht ist es gerade meine „dunkle“ Seite, die sie als Bereicherung wahrnehmen werden. Ich finde es sehr schwierig, mir vorzustellen, so die Zuneigung von irgendwem zu gewinnen, und es jagt mir eine Heidenangst ein, mich so verletzlich zu machen. Auf der anderen Seite möchte ich es aber versuchen.
Schlussendlich hat die Therapeutin mir geraten, Treffen mit Bekannten bewusst kurz zu halten, weil mir das den Druck nehmen soll, ein Thema finden zu müssen, wenn doch mal peinliche Stille herrschen sollte. Nicht alle Treffen müssen außerdem intensive Gespräche beinhalten. Vielmehr können Ausflüge, Museumsbesuche oder Konzertabende ein schönes gemeinsames Erlebnis darstellen, über das man später gut reden kann. Da ist das Gesprächsthema quasi schon in das Treffen mit eingebaut.
Ich werde versuche, zu reflektieren und an mir zu arbeiten. Die verschiedenen Themen werde ich mir Schritt für Schritt vornehmen. Hoffentlich wird mir das dabei helfen, anderen Menschen zu begegnen, ohne das Gefühl zu haben, ich müsste in irgendeiner Weise etwas darstellen oder ihnen gefallen. Zu lernen, dass ich so bin, wie ich bin, liebenswert und genug, ist aber sicherlich noch ein weiter Weg. Trotzdem bin ich überzeugt, dass er sich lohnen wird.