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Von der ersten Liebe bis zum ersten Baby – eine Fotoserie übers Erwachsenwerden

Foto: Alessandra Sanguinetti
Belinda (links) und Guillermina (rechts).
Im Sommer 1999 befand sich die Magnum-Fotografin Alessandra Sanguinetti mitten in einem Projekt, in dem sie das Leben auf einem Bauernhof in der ländlichen Provinz von Buenos Aires dokumentierte. Es war heiß, das Gras war grün und die Tage waren lang. Die beiden Enkelinnen des Bauernhofbesitzers, Belinda und Guillermina, wuselten um sie herum, während sie fotografierte, und waren neugierig, woran sie arbeitete. Zunächst schenkte sie ihnen nicht allzu viel Beachtung. Als sie dann aber hie und da Ausschnitte aus ihren Gesprächen aufschnappte, die abwechselnd wehmütig und lustig waren, weckten sie das Interesse der Fotografin. Allmählich holte sie die beiden immer öfter vor die Kamera. Die Dynamik zwischen diesen Mädchen hatte etwas Magisches an sich, das Sanguinetti faszinierte. Die beiden waren damals gerade neun Jahre alt, voll wilder Begeisterung und verbrachten unzählige Stunden mit Spielen und Fantasiereisen. In jenem Sommer wurde aus dem Duo ein Trio, als Sanguinetti und die Mädchen einander näher kamen und sie sich bei Fotoshootings und Kurzfilmen austoben konnten. Fünf Jahre und Hunderte von Bildern später veröffentlichte Sanguinetti ihr erstes Buch über die zwei Mädchen. Jetzt hat sie einen zweiten Teil der Serie herausgebracht, der ihr Leben im Alter von 14 bis 24 Jahren nachzeichnet. Diese Fotos erzählen eine Geschichte übers Erwachsenwerden, die die Mädchen auf ihrer unruhigen Reise von der Jugendzeit zum Frausein begleitet.
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Foto: Alessandra Sanguinetti
Die Bilder, die Sanguinetti für dieses nächste Kapitel aufnahm und welche die Titel The Adventures of Guille and Belinda (zu Deutsch: Die Abenteuer von Guille und Belinda) und The Illusion of an Everlasting Summer (zu Deutsch: Die Illusion eines ewigen Sommers) haben, sind stark beleuchtet und träumerisch und umspannen eine Zeit voller einschneidender Veränderungen für beide jungen Frauen. Wir sehen sie beim Lachen und Spielen, wie sie ihren 16. Geburtstag feiern und sich im Gras sonnen, während sich die letzten Momente ihrer Kindheit dem Ende zuneigen. Später sind Szenen zu sehen, die ihre ersten Lieben und ersten Babys zeigen und alle chaotischen Aspekte des Lebens, die dazwischen liegen. „Es fühlte sich natürlich an, das erste Buch an der Schwelle zur Pubertät zu beenden. Auch das Ende des zweiten Buches ergab sich auf natürliche Weise“, erklärt Sanguinetti. „Beide Mädchen wurden Mütter, als sie noch sehr jung waren. Deshalb veranschaulicht diese Serie diesen Übergang und endet mit dem dritten Geburtstag von Guilles Tochter. In dieser Zeitspanne erlebten die zwei viele Veränderungen, durch die sie lernten, sich mit sich selbst wohlzufühlen und mit ihrem neuen Leben zufrieden zu sein.“
Foto: Alessandra Sanguinetti
Foto: Alessandra Sanguinetti
Foto: Alessandra Sanguinetti
Sanguinetti war 27 Jahre alt, als sie die beiden Mädchen kennen lernte, und sie war fasziniert davon, wie eng ihre Leben trotz ihrer sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten miteinander verwoben waren. Sie mochte die Art und Weise, wie Belinda die Luft mit ihrer hohen, rhythmischen Stimme erfüllte, während Guillermina leiser war und eher murmelte. Als die Mädchen ins Teenageralter kamen, schlug Sanguinetti ihnen Spiele vor oder gab ihnen Ideen für Situationen, die sie dann nach ihren eigenen Vorstellungen umsetzten. Sie gaben z. B. vor, berühmte Filmstars zu sein oder schlüpften in die Rolle von Talkshow-Moderator:innen. Eine ihrer Lieblingsaufnahmen ist „Archibaldos Beerdigung“. Darin sind die Mädchen in glänzenden schwarzen Stoff gehüllt und stehen über einer verhüllten Kiste, auf der ein Strauß Wildblumen liegt. „Eines Tages schlug ich vor, sie zu filmen, während sie so taten, als wären sie auf der Beerdigung der jeweils anderen. Sobald sie aber in Schwarz gekleidet waren, verwandelten sie die Szene in die Beerdigung eines älteren Jungen, Archibaldo, in den Guillermina zu der Zeit verknallt war“, erinnert sich Sanguinetti. Belinda, die darauf ein weißes Laken als Kopfbedeckung trägt, erscheint auf dem Bild wie eine Nonne, einen Rosenkranz um den Hals und eine Bibel in den Händen; Guillermina trägt schwarze Spitze über ihrem Haar und wischt sich ein Auge mit einem Taschentuch ab, um die trauernde Witwe zu spielen. „Ich stellte die Videokamera auf ein Stativ und filmte sie eine Stunde lang, während ich auch Fotos machte. Sie schauspielerten, weinten dramatisch, tanzten und erfanden Grabreden für Archibaldo. Ich erinnere mich, dass ich im Gras lag und mich vor Lachen krümmte, als ich ihnen dabei zusah.“
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Foto: Alessandra Sanguinetti
Archibaldo’s funeral
Foto: Alessandra Sanguinetti
Belinda und Guillermina waren damals sehr verwundbar und liebten Aufmerksamkeit, so Sanguinetti – sie waren mehr als froh darüber, zu spielen und so zu tun, als ob und ihr Leben mit mir zu teilen. In ihren späten Teenagerjahren und Anfang 20 veränderte sich jedoch die Beziehung zwischen den dreien. Der Kamera waren sich die Mädchen von da an bewusster. „Als sie älter wurden, wollten sie verständlicherweise mehr Dinge privat halten. Sie entschieden, was sie teilen wollten und was nicht“, erklärt sie. „Meine größte Herausforderung bestand darin, ihre Zeichen zu deuten, mich nicht einzumischen und diese unsichtbare Linie zu erkennen und nicht zu überschreiten.“ Während es bei den ersten Fotos hauptsächlich um Freiheit ging, sind Sanguinettis spätere Aufnahmen von Intensität geprägt. In diesen Jahren erfuhren die Mädchen, wie unangenehm eigene Unsicherheiten und das Sichvergleichen mit anderen sind. Außerdem spielte das Teilen von Geheimnissen eine größere und folgenreichere Rolle als zuvor.
Foto: Alessandra Sanguinetti
Foto: Alessandra Sanguinetti
„Die Bilder spiegeln zunehmend die Veränderungen in unserer Beziehung auf eine Weise wider, die vielleicht nur ich erkennen kann“, sagt sie. „Es gab Momente, in denen sie zurückgezogener waren und weniger teilten, Augenblicke, in denen ich es war, die distanziert war, und andere Zeiten, in denen wir uns alle wieder nahe standen.“ Wir müssen einfach akzeptieren, dass Veränderungen ein Teil des Lebens sind und uns an neue Umstände anpassen, meint sie. „Die wichtigsten Einschnitte hatten damit zu tun, was jede von uns zu diesem Zeitpunkt durchmachte und inwieweit sie bereit waren, ihr Leben zu teilen oder eher privat halten wollten“, fügt Sanguinetti hinzu und erinnert sich vor allem an die Zeit, als Belinda heiratete und ihr erstes Kind bekam. Ihr Ehemann Pablo bat Sanguinetti darum, keine Fotos von ihrem Baby Lucas zu machen. „Das traf mich ganz schön“, gibt sie zu. „Ich war so daran gewöhnt und so sehr damit beschäftigt, Belinda die ganze Zeit in ihrem Haus zu fotografieren, dass ich es versäumt hatte, auf Pablos Privatsphäre zu achten.“ Nachdem ein Jahr vergangen war, gewann sie schließlich Pablos Vertrauen; als er ihr zum ersten Mal erlaubte, seinen Sohn zu fotografieren, war sie erleichtert und aufgeregt. „Ich war so nervös, dass alle Bilder unscharf waren“, lacht sie. Wenn du deinem Motiv gerecht werden und die wahre Geschichte erzählen willst, musst du Geduld haben, denn gut Ding will Weile haben.
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Foto: Alessandra Sanguinetti
Foto: Alessandra Sanguinetti
Sanguinetti selbst ist auch Argentinierin und hat während der Arbeit an diesem Werk oft über ihre eigene Kindheit nachgedacht. Auch sie verbrachte als Kind Zeit auf dem elterlichen Bauernhof, aber sie lebte auch in der Stadt, ging auf eine Privatschule und blieb bis spät in die Nacht weg, um am nächsten Tag Schule zu schwänzen. Sie mag im selben Land wie Belinda und Guillermina aufgewachsen sein, aber ihre Erfahrungen könnten nicht unterschiedlicher sein.
Was das vielleicht Beeindruckendste an Sanguinettis Arbeit ist, ist ihr Talent, weibliche Freundschaft und Zuneigung, die sich über die Jahre hinweg entfalten, optisch festzuhalten. Diese Geschichte, die uns die Entwicklung der Bindung zwischen beiden Mädchen bzw. Frauen Monat für Monat, Jahr für Jahr zeigt, weist eine wunderbar süße und sensible Linearität auf und ist voll von sowohl subtilen als auch einschneidenden Veränderungen, die das Leben nun mal so bringt. Belinda und Guillermina gehen jetzt auf die 30 zu. Sanguinetti fotografiert sie weiterhin. Eines Tages, sagt sie, wenn die Zeit reif dafür ist, wird es ein weiteres Buch dieser Reihe geben. Heute lebt Belinda mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern auf dem Land. Ihre Familie bewirtschaftet einen fremden Bauernhof. Guillermina lebt in einer Stadt namens Dolores, die 50 km von Belinda entfernt ist. Sie hat eine zwölfjährige Tochter und ist Grundschullehrerin. Die räumliche und emotionale Distanz zwischen den beiden Frauen ist zwar größer geworden und es ist bittersüß, dass sich ihre Leben in verschiedene Richtungen entwickeln, aber als Mädchen, die zusammen aufgewachsen sind, werden sie immer verbunden bleiben.
Foto: Alessandra Sanguinetti
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