Weihnachten habe ich mit der Familie verbracht. Ich habe mir in den letzten Jahren mühevoll angewöhnt, intuitiver zu essen – und ich würde behaupten, dass ich mein Essverhalten mittlerweile ziemlich gut unter Kontrolle habe. Ich esse gutes, sättigendes Essen und höre auf, wenn ich voll bin. Außerdem zerbreche ich mir nicht mehr den Kopf darüber, ob ich doch noch einen zweiten Keks essen soll (darf) oder nicht. Ich esse einfach, unbekümmert, ohne den ganzen Ballast.
Doch dann sitze ich mit meinem nicht einmal zweijährigen Cousin an einem Tisch und sehe mit einem Mal, was intuitives Essen wirklich bedeutet. Das Kind aß wirklich unbekümmert, frei von sämtlichen Beschränkungen. Nicht, weil er drüber war, sondern weil er Ernährungsprobleme im zarten Alter von 21 Monaten einfach nicht auf dem Radar hatte. Er hatte mich in Sachen „lässig essen“ längst überboten – nicht, dass das ein Wettbewerb war. Aber trotzdem.
Zu essen wie ein Kind wird einem immer wieder nahegelegt. Diät-, sowie Ernährungsexperten raten hierzu, einerseits um abzunehmen, andererseits um schlicht gesünder zu essen. Letzteres soll langfristig dazu führen, dass wir wieder auf unsere wahren Bedürfnisse und Instinkte hören. Intuitives Essen reicht zurück auf eine Zeit, in der das Essen noch strikt getrennt war von sämtlichen sozialen Konnotationen und Stellvertreterfunktionen. Eine Zeit, in der Essen kein Statussymbol war.
„Mehr Toast“, schnurrt mein Cousin in seinem Hochstuhl und bekommt: mehr Toast.
„Mehr Kiwi“, und schon schälte ihm jemand ein paar Scheiben grünes Saures, schnitt sie in Stückchen und legte sie ihm vor.
„Magst du noch ein paar Nudeln?“, die Antwort war ein deutlich ablehnendes Wegdrehen oder eine schnurstracks ausgestreckte Hand.
Seine fehlenden Tischmanieren kompensierte er mit seiner beeindruckenden Art, das zu essen, was er wollte, wenn er es wollte, losgelöst von dem, was alle anderen um ihn herum taten. Niemals würde ihm das Fragen nach mehr Essen unangenehm sein, im Leben würde er nicht daran denken, zu zögern. Er schaute ja auch nie auf seinen Teller, nur um in ein jämmerliches „Oh nein, ich habe viel zu viel gegessen, ich muss ab morgen fasten“. Wenn er aß, dann aß er eben. Nicht mehr, nicht weniger.
Deshalb haben sämtliche Ernährungsexperten wahrscheinlich recht mit dem ganzen Zirkus um das intuitive Essen. Jeder Mensch besitzt einen natürlichen Gewichtsbereich, in dem er oder sie sich bewegt. Und wenn wir alle so weiter essen würden, wie wir es als Kleinkinder taten, würden wir diesen Bereich womöglich niemals unter- oder überschreiten. Äußere Einflüsse, Veränderungen des Metabolismus, andere Lebensstile und weitere Faktoren führen dazu, dass sich das alles im Laufe des Lebens ändert. Das bedeutet nicht, dass das Gewicht bei jedem sofort sinken würde, würden sie sich nach der „Baby-Diät“ ernähren, denn nicht jeder ist von Natur aus schlank.
Ich bin davon überzeugt, dass jede und jeder davon prpofitieren würde, sich wieder wie ein zweijähriges Kind zu ernähren. Stell' dir nur einmal vor, wie es wäre, wenn wir all das, was uns ernährungstechnisch jemals empfohlen oder abgeraten wurde, aus unseren Köpfen löschen könnten. Wenn wir keine weitere Motivation hätten, zu essen oder damit aufzuhören, als „Hunger“ und „satt“. Wenn wir uns nie gezwungen fühlten, zwischen einem KitKat und einer Karotte zu wählen. Man würde sich womöglich kaum mehr Gedanken machen, sondern einen innigen Draht zum eigenen Körper entwickeln und einfach das essen, was man wirklich möchte und braucht.
Ohne Sorge, ohne übermäßige Ablehnung oder Präferenz lässt es sich da nicht sowieso am besten schlemmen? Genau das ist es nämlich: Wir würden wieder lernen, zu schlemmen, ohne zu gieren und ohne das Essen als Belohnung oder das Nicht-Essen als Strafe zu sehen. Der Einzige, der dann das Recht dazu hätte, uns zu alarmieren, dass wir aufhören sollten, ist der eigene Kopf, der das Signal des gesunden Magens weitergibt. Denn am Ende des Tages geht es doch nicht um dick, dünn, sportlich oder unsportlich, sondern um einen gesunden Geist in einem gesunden Körper.
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