Als Kind war er ein Wildfang, als Teenie wuchsen ihm Brüste. Spätestens da spürte Tom (18): Er wurde zwar im weiblichen Körper geboren, aber das war nicht seiner. Er erzählt, was er seither durchgemacht hat, wie es von der Familie aufgenommen wurde – und wie es weitergeht.
«Plötzlich sind mir Brüste gewachsen. Dabei dachte ich wirklich, dass ich in den Stimmbruch komme. Aber das Gegenteil davon passierte, und bald hörte ich Kommentare wie: ‹Sitz ein wenig weiblicher, zieh dir engere Kleidung an.› Eine Zeit lang dachte ich sogar selber, das sei vielleicht die Lösung. Ich habe mir die Haare wachsen lassen und die Mädchen beobachtet, versucht ihre Körperhaltung und ihre Art zu sprechen zu imitieren. Ich dachte, vielleicht muss ich einfach weiblicher werden, damit ich ins Geschlecht reinwachse. Aber ich wurde nur unglücklicher, weil ich diese starke Dysphorie erlebte – ich konnte mich nicht mit meinem Körper identifizieren, weil er nicht zu meinem Geschlecht passte.
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Immer öfter habe ich mir Transitionsvideos auf Youtube angesehen: Von langen Haaren bis zum Vollbart. Ich war total fasziniert davon, wie der Körper dieser Transmänner sich veränderte. Gleichzeitig fragte ich mich: Warum schaue ich mir das an? Ich bin nicht transgender. Ich habe versucht aufzuhören, mir diese Videos anzuschauen, bin aber trotzdem immer wieder dort gelandet.
Für mich war klar, dass ich auf Frauen stehe. Also habe ich mich zuerst als homosexuell geoutet. Dieses Label habe ich mir selbst aufgedrückt, um mir zu sagen: Du bist nicht trans, du bist nur lesbisch. Es ist nur deine sexuelle Orientierung, die anders ist als normal.
Ich bin der Milchjugend beigetreten. Ein kleine Deutschschweizer Organisation, die Jugendlichen einen sicheren Rahmen bietet, um Gespräche über Gender und Sexualität zu führen. Gerade wenn man sich noch nicht geoutet hat, hilft es sehr, weil man anderen Fragen stellen kann, beispielsweise, wie sie selber herausgefunden haben, dass sie homosexuell sind. Es erlaubt einen offenen Austausch, der von Themen wie Asexualität bis zu Hormontherapie reicht.
Als ich das erste Mal einem Transmann persönlich begegnete, löcherte ich ihn mit Tausenden Fragen. Irgendwann hat er mich gefragt: ‹Kann es sein, dass du trans bist?› – Ich war mir nicht sicher. Er hat mir geraten, es einfach mal auszuprobieren: Mich in der Milchjugend mit einem neuen Namen und dem Er-Pronomen ansprechen zu lassen. Ich habe wirklich keine Sekunde überlegt und habe gesagt: Ich heisse Tom.
Zuerst hatte ich mich bei meiner besten Freundin geoutet. Sie hatte es schon geahnt und sofort akzeptiert. Danach erzählte ich es meinen Eltern: Dass ich jetzt Tom heisse und ein Mann bin. Meine Mutter dachte, ich wolle sie provozieren. Dass ich noch einen draufsetzen wollte, weil sie so gut reagiert hatten, als ich sagte, ich stehe auf Frauen. Mein Vater meinte: ‹Nein, das kann nicht sein. Als Kind hattest du ein Kleid an, das weiss ich noch genau.› Sie haben mir nicht geglaubt, das war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich stand da und fragte mich: Was mache ich jetzt?
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Ich habe ihnen einen Brief geschrieben, in dem ich meine Gefühle nochmals erklärte. Ich habe ihnen Broschüren gegeben und, hauptsächlich mit meiner Mutter, viel geredet. Ich merkte, dass es ihr vor allem an Wissen fehlte. Sie dachte, jeder in der LGBTQ-Community läuft zwangsweise rum wie eine Dragqueen. Es ist auch nicht einfach, wenn man plötzlich einen Sohn hat anstelle einer Tochter. Es braucht Zeit, das zu akzeptieren. Genauso wie ich Zeit brauchte, bis ich das erste Mal darüber reden konnte. Es ist für mich unglaublich schön zu sehen, wie sehr meine Eltern unterdessen Vorurteile abgebaut haben und an dieser Aufgabe gewachsen sind. Mein Vater hatte zu Beginn zwar Mühe, aber zu Weihnachten hat er mir Hemden geschenkt. Das war seine Art zu sagen: Du bist mein Sohn.
Dank der Hormontherapie ist meine Stimme tiefer geworden, ich bekomme jetzt überall Haare, meine Schultern haben sich verbreitert, meine Hüften verschmälert, und ich bekomme meine Tage nicht mehr. Ich bin schneller und rationaler geworden. Ich weine so gut wie gar nicht mehr – das liegt aber sicher auch daran, dass es mir im Allgemeinen viel besser geht. Auch meine Lust auf Sexualität hat sich gesteigert. Das war am Anfang ein bisschen gewöhnungsbedürftig, vor allem, wenn es in seltsamen Momenten über mich kommt, zum Beispiel in der Schule.
Etwas anderes hat mich jedoch sehr gefreut: Das Gewebe meiner Brüste ist bereits zurückgegangen. Bald werden sie operativ komplett entfernt werden. Ich freue mich so, das erste Mal oben ohne zu baden und nach dem Duschen in den Spiegel zu sehen. Lange Zeit duschte ich nur im Dunkeln, mit abgedeckten Spiegeln und lauter Musik. Ich versuchte, mich so gut es ging abzulenken und mich keinesfalls nackt zu betrachten. Den Anblick der Brüste konnte ich kaum ertragen.
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Keinen Penis zu haben ist für mich weniger schlimm. Nur dass ich nicht ans Pissoir kann, nervt mich. Aber dafür gibt es sogenannte Packer. Das sind künstliche Penisse für Transmänner, meistens aus Silikon und anhand biologischer Modelle nachgebaut. Es gibt verschiedene; solche, die nur packen (Volumen geben), und auch solche, mit denen du ans Pissoir gehen kannst, die sind echt raffiniert. Dann gibt es natürlich noch welche für den Sex, für die eigene Stimulation oder damit man andere penetrieren kann. Operativ einen künstlichen Penis zu schaffen, ist aber um einiges komplizierter als eine Brust-OP. Es wird beim Unterarm ein Hautlappen entnommen, wobei eine relativ grosse Narbe zurückbleibt – ich weiss noch nicht, ob ich das will. Ästhetisch gesehen ist das Ergebnis des Geschlechtsteils nicht schlecht, aber es besteht auch das Risiko, dass man danach nichts mehr spürt beim Sex. Und mal ehrlich: Man(n) kann jemanden auf so viel Arten stimulieren, warum in aller Welt sollte man nur penetrieren.
In den nächsten fünf Jahren wird sich mein Körper noch sehr wandeln. Ich durchlebe eine Pubertät. Vielleicht verspüre ich danach bereits keine Dysphorie mehr. Vielleicht sage ich aber auch, ich muss nochmals operieren. Das bleibt abzuwarten. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, und es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht die eine OP gibt. Deshalb sollte man auch nie einen Transmenschen fragen, ob er DIE OP schon hatte. Trans zu sein heisst nicht zwingend, eine operative Geschlechtsanpassung zu machen, und auch nicht alle nehmen Hormone.
Ich kann nachvollziehen, dass diese Gefühle von aussen schwierig zu verstehen sind – nicht jeder spricht gleich offen über seine Geschichte. Das muss man auch akzeptieren, denn es geht um Gefühle und Identität. Niemand möchte seine Identität abgesprochen bekommen. Ich rede darüber, um mit Wissen Vorurteile zu bekämpfen. Und weil man nie weiss, wer gerade zuhört. Vielleicht ist darunter auch jemand, der sich am Anfang des gleichen Wegs befindet und für den es wichtig ist, zu wissen: Es ist absolut okay, wie du bist.»
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