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Die Familie und ich – Ist Blut wirklich dicker als Wasser?

Foto: Natalia Mantini
Immer wenn mir das Thema Familie über den Weg läuft, wie wichtig die Familie ist und wie sie über allem und jedem steht und einen nie im Stich lässt, könnte ich kotzen. Dieses Blut-ist-dicker-als Wasser-Getue und „Aber es ist/sind doch deine Mutter/dein Vater/deine Eltern.“ – ich kann es einfach nicht mehr hören.
Meine Familie – und damit meine ich nicht nur meine Eltern und meinen Bruder, sondern auch meine beiden Großeltern, meinen Patenonkel (der gleichzeitig der Cousin meiner Mutter ist) und auch meinen Onkel und meine Tante und meine Großtanten und Großonkel, soweit ich mich an sie erinnern kann – sind ein Haufen von wehleidigen, sich selbst bemitleidenden und nur um sich selbst kreisenden Jammerlappen.
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Wenn ich Leuten gegenüber Witze mache, dass ich glaube adoptiert worden zu sein, dann ist da mehr Wahrheit als Witz dran.

Wenn ich Leuten gegenüber Witze mache, dass ich das schwarze Schaf der Familie – im positiven Sinne – bin oder glaube, dass irgendwann mal herauskommen wird, dass ich adoptiert bin, dann ist da mehr Wahrheit als Witz dran.
Wir sind niemals geschlagen worden, mein Vater hat mich nicht sexuell belästigt, wir mussten nicht essen, was wir nicht mochten und meine Eltern waren sogar beim Thema Rauchen sehr tolerant (vor allem, weil sie selbst starke Raucher waren). Ich glaube auch wirklich, dass meine Eltern ihr Bestes gegeben haben und uns nie etwas Böses wollten – aber dann waren sie wohl einfach zu verkorkst.
Und mein Bruder… was bei ihm schief gelaufen ist, weiß ich nicht, oder warum er eine lange Drogenlaufbahn hinter sich und kaum was erreicht hat in seinem Leben und trotzdem glaubt, die Welt wartet nur auf ihn und jeder andere wäre grundsätzlich dümmer als er.

Du sollst Deinen Vater und Deine Mutter ehren

Es ist schwer, anderen zu erklären, warum man die eigenen Eltern nicht lieben und respektieren kann, obwohl sie einem doch keinen physischen Schaden zugefügt haben – und auf den ersten Blick auch keinen psychischen. Es ist schwer, anderen zu erklären, wie alleine und verlassen ich mich gefühlt habe, als ich mit 19 nach dem Abi ausgezogen bin, sich meine Eltern gleichzeitig getrennt haben und dann alles irgendwie den Bach herunterging.

Es ist schwer, anderen zu erklären, wie alleine und verlassen ich mich gefühlt habe, als ich mit 19 nach dem Abi ausgezogen bin.

Wie schwer es war, dass ich gerade mein neues, eigenes Leben begann und keine Ahnung hatte, wie die Dinge da draußen laufen, und mich zeitgleich um meine Familienmitglieder kümmern musste und selber irgendwie die Erwachsenenrolle übernahm, obwohl ich doch noch gar keiner war und vielmehr selbst Unterstützung gebraucht hätte. Bildlich gesprochen, stand ich von heute auf morgen mutterseelenalleine im Regen.
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Und dann musste ich nicht nur mein eigens Leben auf die Reihe bekommen, sondern wurde auch noch in die Abgründe der anderen Familienmitglieder mit reingezogen und versuchte zu retten, was zu retten war. Dabei vergaß ich mich selbst und begann deshalb schließlich mit 20 meine erste Therapie. Weil ich Rat und Hilfe brauchte.
Seitdem gab es diverse und unterschiedlich lange Kontaktabbrüche von mir zu meinen Eltern, mein Bruder hatte sich schon immer rar gemacht und verschwand irgendwann einfach mal für acht Jahre, um dann im Gefängnis wieder aufzutauchen (wegen Drogenbesitzes). Aber immer wieder startete ich neue Versuche mit meinen Eltern (die geschieden sind und keinen Kontakt mehr zueinander haben), nur um dann festzustellen, dass sich nichts geändert hatte.
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Sie jammerten immer noch, konnten die Vergangenheit nicht loslassen und gaben den anderen und überhaupt dem ganzen Universum die Schuld an ihrer Misere. Sie kreisten nur um sich selbst, übernahmen keine Verantwortung und wollten ganz offensichtlich nicht glücklich sein. Bis heute haben sie auch beide keinen neuen Partner gefunden. Bis heute haben sie nicht verstanden, was sie mir als ihrem Kind mit ihrem Verhalten „angetan“ haben und wie schwer es für mich war, dahin zu kommen, wo ich jetzt mit 38 bin.

Meine Eltern kreisten noch immer nur um sich selbst, übernahmen keine Verantwortung und wollten ganz offensichtlich nicht glücklich sein.

Wie soll ich also diese Eltern „ehren“? Ja sicher, sie haben vielleicht oder sogar sicher bei mir den charakterlichen oder sonstigen Grundstein gelegt, sie haben mich ernährt und versorgt, bis ich 19 war. Meine Mutter hat mich beschützt und bestärkt (ich könnte jetzt sarkastisch sein und behaupten, dass wir Kinder ja auch ihr einziger Lebensinhalt waren und ihr Selbstbewusstsein aufgepeppt haben), mein Vater hat mich intellektuell und musikalisch geprägt.
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Aber ab 19 bin ich meinen Weg alleine gegangen, habe meine Beziehungen zu anderen Menschen selber ausgesucht und habe mich bewusst für bestimmte Werte und Moralvorstellungen entschieden. Ich habe Verantwortung für mich und mein Leben übernommen. Und ebenfalls 19 Jahre – die letzten 19 Jahre – habe ich versucht, eine offene, ehrliche und gesunde Beziehungen zu meinen Eltern herzustellen.
Ich habe mit ihnen geredet, tausend Dinge mit ihnen unternommen, ihnen versucht zu zeigen, was das Leben alles für sie bereithält – und im Gegenzug gehofft, dass vielleicht irgendwann doch noch die liebenden Eltern zum Vorschein kommen, bei denen ich mich sicher und geborgen fühlen kann und die im Zweifel doch immer noch irgendwie die älteren und weiseren sind. Aber passiert ist nichts von alledem.
Akzeptanz und Entscheidung
Und somit bin ich nun an dem Punkt angekommen, wo ich mich damit abgefunden habe, dass meine Familie einfach ein Sauhaufen ist, der in meinem Leben keinen Platz hat. Gott sei Dank habe ich nach meinem Auszug immer tolle Menschen in meinem Leben gehabt, die mich beraten, angeleitet und mir beigestanden haben. Menschen sind gekommen, aber auch gegangen.

Heute, mit 38, habe ich seit zwei Jahren den Partner, den ich mir immer gewünscht habe, und einen Freundeskreis, der wie eine Familie für mich ist.

Heute, mit 38, habe ich seit zwei Jahren den Partner, den ich mir immer gewünscht habe, und einen Freundeskreis, der wie eine Familie für mich ist. Mein Partner bzw. meine Freunde und ich, wir haben uns gegenseitig ausgesucht. Wir sind freiwillig Beziehungen miteinander eingegangen und haben dann ganz offensichtlich entschieden, diese beizubehalten und zu pflegen. Wir lieben uns, wir finden uns toll, wir schätzen und respektieren einander, wir fragen den anderen um Rat und geben selber Ratschläge.
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Wir teilen Schönes und Schlechtes, wir wachsen mit- und aneinander. Und wir schaffen gemeinsame Erinnerungen, die uns keiner nehmen kann. Das alles basiert auf Gegenseitigkeit, auf Geben und Nehmen.
Und daher sage ich: In der menschlichen Anatomie ist Blut sicher dicker als Wasser, aber nicht im wahren Leben zwischen Menschen. Und wenn wir als Kinder nach vielen Jahren, vielen Versuchen und vielen Tränen vor und für uns selbst entscheiden, dass wir ohne unsere blutsverwandte Familie besser dran sind, dann ist das verdammt noch mal in Ordnung.

Wir suchen uns unsere Familie nicht aus, sie wird uns mitgegeben. Und wenn uns diese Familie nicht respektiert und schätzt und „ehrt“, warum sollten wir das dann umgekehrt tun?

Wir dürfen das. Wir suchen uns unsere Familie nicht aus, sie wird uns mitgegeben. Und wenn uns diese Familie nicht respektiert und schätzt und „ehrt“, warum sollten wir das dann umgekehrt tun? Welche Beziehungen sind wertvoller? Die, die durch Blutsverwandtschaft entstehen und die wir uns nicht aussuchen können, oder die, die wir freiwillig eingehen und aufrechterhalten?
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