Wie ich herausfand, welche Farben mir stehen – ein Leben lang

„Ich will, dass mir morgens jemand sagt, was ich anziehen soll“, beichtete Fleabag dem heißen Priester in der nach ihr benannten Comedy-Serie. Seit ich die Szene 2019 zum ersten Mal sah, habe ich sie aus verschiedenen Gründen nie so richtig aus dem Kopf bekommen – vor allem aber, weil sie so peinlich nachvollziehbar ist. Auch ich würde mir in meinem alltäglichen Style mehr angstfreie Berechenbarkeit und Einfachheit wünschen. Vielleicht genau deswegen bin ich in letzter Zeit total fasziniert von der Welt der Online-Farbberatung – einem Prozess, bei dem Profis deine Haut, Haare und Augen analysieren, um zu bestimmen, welche Klamottenfarben am besten zu dir passen.

Diese Praxis wurde in den 1980ern dank des Bestsellers Color Me Beautiful von Carole Jackson erstmals berühmt. Dabei geht es darum, jemandem eine „Jahreszeit“ zuzuordnen – basierend darauf, welche Farben eine Person eher strahlen oder erblassen lassen. Indem Stoffe mit verschiedenen Farben und Nuancen neben das Gesicht gehalten werden, wird festgestellt, welche Töne eher dafür sorgen, dass die Haut Licht reflektiert, und welche hingegen eher Schatten rund um Augen und Kinn bewirken.

Diese relativ simple Formel erlebt gerade auf TikTok ein kleines Revival: Der Hashtag #coloranalysis hat bereits über 757 Millionen Views gesammelt. Die Farbanalyse ist online zwischen sogar so beliebt, dass letztens ein Filter viral ging, der dabei helfen sollte, die eigene perfekte Farbpalette zu finden, indem sich User:innen ansehen konnten, wie verschiedene „Jahreszeiten“-Farben neben dem eigenen Gesicht aussehen (obwohl Expert:innen diese Technik anzweifeln).

Dieses aktuelle Online-Interesse hängt natürlich damit zusammen, wie stark persönlicher Style und eigene Identität inzwischen miteinander verwoben sind. Die Psychotherapeutin Dr. Dana Dorfman glaubt aber, dass dieses Farbberatungs-Revival auch mit unserem Wunsch nach konkreten Antworten verbunden sein könnte. „Menschen sind zwar neugierige Wesen, mögen aber keine Unsicherheit. Wir haben es gern, wenn sich alles in ordentliche Schubladen sortieren lässt“, erklärt sie gegenüber Refinery29.

Sie fährt fort: „Jedes Mal, wenn du etwas konkret benennen und festlegen kannst, gewinnst du daraus eine Erklärung – und daran kannst du dich festhalten. Wir sind so komplex, dass wir es als tröstlich und beruhigend empfinden, für etwas eine vereinfachte Erklärung zu bekommen.“

Als jemand, die sich definitiv häufig überfordert fühlt, empfinde ich diesen Wunsch nach Struktur und leicht befolgbaren Vorgaben als total verständlich. (Noch dazu lasse ich mich gern von Farbanalyse-ASMR in den Schlaf lullen.) Ich wollte unbedingt mehr wissen – also meldete ich mich bei der Stylistin Sian Clarke, um mir eine Farbberatung zu buchen. (Sie berechnet für eine Sitzung à anderthalb Stunden 195 Pfund, umgerechnet rund 220 Euro.) Das ist eine einmalige Sitzung, erklärt mir Sian, weil sich die Untertöne der Haut nie verändern. Um es kurz zu sagen: Deine Farben gelten für immer.

Die Session begann damit, dass Sian eine Farbe auswählte und von dieser dann verschiedene Nuancen neben mein Gesicht hielt. Dadurch würde sie feststellen, ob der Ton mit meinem Hautunterton harmonierte und mich wacher aussehen, oder mich eher matt und trist erscheinen ließ. Ohne Make-up war deutlich zu erkennen, dass mein blasser Teint eher ins Pfirsichfarbene mit einem Hauch natürlichem Rot geht. Sian zufolge sollten warme Töne daher am besten zu mir passen.

Dann ging es darum herauszufinden, welche warmen Nuancen denn am besten funktionierten. Das hieß, dass ich mein Gehirn von den Farben lösen musste, die mir einfach gefielen, und mich stattdessen darauf konzentrierte, was mir am besten stand. Im Laufe der Sitzung wurde klar, dass helle, strahlende und klare Töne wie Korallenpink und Aquamarinblau optimal für meinen Teint geeignet sind. Somit falle ich in die Kategorie „Frühling“ (und mein komplett schwarzes „Winter“-Outfit, in dem ich zur Sitzung gekommen war, passte eigentlich überhaupt nicht zu mir).

Die professionelle Analyse, basierend auf einer Kombination aus Farbenlehre (dem klassischen Farbkreis) und Farbpsychologie (wie sich Farben auf Gefühle auswirken und diese kommunizieren), erschuf mir eine Zukunft, in der ich mich nicht mehr würde fragen müssen, ob mir das Top einer Freundin auch stehen würde. Stattdessen würde es mir mein praktisches Farb-Büchlein voller Frühlingsfarben direkt verraten. Obwohl sich ein Teil von mir Sorgen machte, dass mich diese Jahreszeiten-Palette einschränken könnte, lieferte mir der Prozess in Wahrheit eine leicht zu befolgende Formel, die ich im Alltag umsetzen konnte. Dadurch wurden keine Farben aus meinem Leben verbannt – aber ich bekam Informationen darüber, welche für mich am besten funktionieren.

„Das ist etwas, was die Leute sofort verstehen und erkennen können“, erklärt Sian. „Es hilft auch gegen die Entscheidungs-Ermüdung, weil es die Entscheidung für dich übernimmt – und das basierend auf einer Expert:innenmeinung.“ Dr. Dana sieht das ähnlich und erklärt, dass wir uns oft nach Möglichkeiten umsehen, Informationen aufs Wesentliche zu reduzieren, insbesondere, wenn es uns eine Entscheidung erleichtert.

„Ich finde, manche solcher Strukturen brauchen wir Menschen einfach“, sagt Dr. Dana. „Weil uns das Chaos und die Komplexität der Welt so bewusst ist, kann es das Leben leichter machen, manche Dinge vereinfachen oder in Schubladen stecken zu können.“

In einer Welt, in der allein die Nachrichten für innere Unruhe sorgen können, ist es völlig verständlich, dass wir uns unnötiges, zusätzliches Kopfzerbrechen gerne ersparen würden. Eine Handvoll grundlegender Regeln zu kennen, die das alltägliche Styling erleichtern, hat etwas Tröstliches. Wenn sich das Leben ohnehin schon mit jedem Tag etwas unsicherer anfühlt, ist es ein kleiner, aber doch spürbarer Sieg, jeden Morgen zu wissen, was du anziehen kannst. Und das wusste auch schon Fleabag.