Als Kind hörte ich jeden Sonntag im Gottesdienst, dass vor Gott alle Sünden gleich wären. Das würde dann bedeuten, dass das „Oh mein Gott“, das mir entfuhr, als ich meinen positiven Schwangerschaftstest sah, genauso schlimm ist, wie die Entscheidung mit 28 Jahren, dieses Kind – das Ergebnis eines Seitensprungs – nicht zu bekommen. Auch meine Eltern belog ich und erzählte ihnen nichts davon. Mit meinem Schwangerschaftsabbruch vor zwei Jahren, sündigte ich also auf einen Schlag gegen vier der zehn Gebote.
Am Tag nach der Abtreibung, es war ein Sonntag, stand ich auf, ging in die Kirche und bat unter den Schmerzen des Eingriffs um Vergebung. Ich glaube nicht, dass es geholfen hat.
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Heute, zwei Jahre danach, werde ich jedes Mal, wenn ich Berichte über Frauen sehe, die in unterschiedlichsten Ländern dieser Welt wegen Schwangerschaftsabbrüchen zur Haft verurteilt wurden, schmerzhaft daran erinnert. Immer, wenn in meinem Facebook-Feed, ein Post von religiösen Verwandten auftaucht, in dem sie beschreiben, wie sehr sie Frauen verurteilen, die Abtreibungen vornehmen lassen, finde ich mich als Feministin und Katholikin in einem inneren Konflikt wieder.
Ich selbst bin in einer irisch-katholischen Gemeinde in London mit streng religiösen Eltern aufgewachsen. Sie selbst trinken regelmäßig Alkohol und wissen, dass ich mit 16 zum ersten Mal Sex hatte. Auch wenn es immer ein großes Problem für sie war, haben sie sich mittlerweile damit abgefunden. Abtreibungen lehnen sie nicht komplett ab, da sie finden, dass es Situationen geben kann, in denen ein Schwangerschaftsabbruch unter Anbetracht der besonderen Umstände eine akzeptable Lösung darstellt.
Ihrer Ansicht nach sollte kein junges Mädchen dazu gezwungen werden, ein Kind zu bekommen, für das es nicht sorgen kann. Wenn eine Schwangerschaft große gesundheitliche Probleme für die Frau bedeuten würde, und auch bei Vergewaltigungsopfern sind sie absolut pro Abtreibung.
Wogegen sie allerdings mit Nachdruck wären, sind Fälle wie der meine: Eine gesunde, finanziell abgesicherte, 28-jährige Frau, die sich nach einer durchzechten Nacht auf einen One-Night-Stand ohne Verhütung eingelassen hat – und ich kann das absolut verstehen.
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In diesem Wartezimmer verließ mich plötzlich all die Energie und Kraft, mit der ich nur wenige Tage zuvor noch anlässlich des Internationalen Frauentags auf die Straße gegangen war.
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Ein paar Wochen nach meiner Abtreibung hatte ich durch Zufall eine Unterhaltung mit meiner Mutter, in der sie es so formulierte: Frauen, die sich, nur weil sie gerade kein Kind wollen, für eine Abtreibung entscheiden, betrachte sie als Mörderinnen. Damals musste ich mit den Tränen kämpfen und mich extrem beherrschen um mich nicht zu verraten.
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Die Ansichten meiner Eltern mögen für viele extrem konservativ, altmodisch und anti-feministisch wirken, aber sie sind wahrlich keine Minderheit.
Ich bewundere berühmte Persönlichkeiten ehrlich dafür, wenn sie offen über ihre Abtreibungen sprechen, aber meistens kann man in ihren Schilderungen immer Formulierungen der Rechtfertigung finden: „Ich war damals Studentin, ich hätte keine Hilfe gehabt“ oder „Ich war einfach so jung“. Immer schwingt da das schlechte Gewissen mit, das sie eben doch haben. Ich kann mich nur an zwei Fälle erinnern, bei denen ich nicht das Gefühl hatte, dass sie es heimlich doch bereuen: Marina Abramovic und Tracey Emin. Abramovic erklärte 2016 im Tagesspiegel: „Ich habe drei Mal abgetrieben, weil ich überzeugt war, dass es ein Desaster für meine Arbeit wäre.“ Emin schrieb 2009 im Independent: „Ich wäre bestimmt unbeschwerter, wenn ich die Abtreibungen nicht hätte vornehmen lassen, aber ich glaube aus tiefstem Herzen, dass ich auch um einiges unglücklicher wäre, wenn ich die Kinder damals bekommen hätte. [...] Ich hätte niemals gedacht, dass ich das jemals sagen würde, aber je älter ich werde, desto klarer wird mir, dass meine Kinder an den Wänden der Tate Galerie zu finden sind. Für mich sind meine Abtreibungen so etwas wie ein Pakt mit dem Teufel, ein ‚faustischer Pakt‘, ich habe die Seelen meiner Kinder für meinen Erfolg geopfert.“
Beide Frauen mussten für diese Aussagen viel Kritik einstecken, vielleicht auch deshalb, weil sie Ausdruck einer extrem selbstbestimmten Entscheidung sind. Während ihrer Kindheit verbrachte Marina Abramovic, zusammen mit ihrer orthodoxen Großmutter, viel Zeit in der Kirche und Tracey Emin erzählt von einem tiefen Glauben an die Existenz der Seele, obwohl sie keine Katholikin ist.
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Vor meinem Schwangerschaftsabbruch besuchte ich die Abtreibungsklinik innerhalb von zwei Wochen gleich dreimal. Das erste Mal um herauszufinden, ob ich wirklich schwanger war, beim zweiten Mal bekam ich die Medikamente um die Prozedur zu beginnen. Beim dritten und letzten Mal hatte ich einen Termin, um sicherzustellen, dass alles gut verlaufen war. Jedes einzelne Mal beschloss ich alleine in die Klinik zu gehen, obwohl meine Freunde ihre Hilfe angeboten hatten. Ich hatte das Gefühl, ich verdiente keine Anteilnahme. Besonders überrascht war ich, dass über die Hälfte der Frauen, denen ich im Wartezimmer begegnete, Hijabs trugen und auch sie alle ohne Begleitung gekommen waren. Kopftuch oder nicht, fast jede von uns blickte zu Boden, beschäftigte sich mit ihrem Handy oder vertiefte sich in eine Zeitung, sodass keinerlei Augenkontakt zustande kommen konnte.
Damals, in diesem Wartezimmer, hatte mich all die Energie und Kraft verlassen, mit der ich kurz zuvor noch anlässlich des Internationalen Frauentags auf die Straße gegangen war. Ich hatte lautstark für die Rechte der Frauen demonstriert und doch empfand ich während der Abtreibung nur Scham und Reue. Während des Ultraschalls bei meinem ersten Besuch konnte ich den Fötus in meinem Bauch sehen und rückblickend wünsche ich, ich hätte darauf verzichtet. Die Frau, die die Untersuchung durchführte, fragte mich sogar, ob ich ein Bild davon haben wollte. Eines dieser Bilder, die sich glückliche Schwangere an ihren Kühlschrank hängen.
Die Abtreibung selbst war auch extrem schwierig.
Unglaublich traumatisch war es, zu Hause beim Gang auf die Toilette Reste des Fötus zu finden. Später wurde mir gesagt, dass das normalerweise nicht passiert. Außerdem hatte ich starke Schmerzen und Blutungen, die sich über einen ganzen Monat zogen. Jedes Mal, wenn ich ein Bad nahm oder auf die Toilette ging, kam ein wenig mehr von dem Baby zum Vorschein, etwas, was wohl nur selten bei dieser Methode passiert.
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Beim letzten Besuch in der Klinik zeigte man mir im Ultraschall meine jetzt „leere“ Gebärmutter. Das alles fühlte sich wie eine Strafe an.
Bei diesem Termin musste ich miterleben, wie vor der Klinik ein paar Abtreibungsgegner demonstrierten, ein älterer Mann hielt ein Schild in die Luft, auf dem stand: „Gib deinem Baby eine Chance“ – ich hasste ihn dafür. Ein Mann, der extra gekommen war, um alles noch schlimmer zu machen.
2015 erklärte Papst Franziskus, dass es nun katholischen Priestern auf der ganzen Welt erlaubt sei, Frauen die Absolution zur Abtreibung zu erteilen. Obwohl er ein Mann ist und aus Argentinien stammt, wo Abtreibungen nach wie vor illegal sind, hat er sein Einverständnis dazu gegeben, den Frauen auf der ganzen Welt die Sünde der Abtreibung zu erlassen.
Das sollte mir eigentlich helfen, aber da ich mir ziemlich sicher bin, dass er damit die Fälle meint, die auch für meine Eltern in Ordnung wären, glaube ich, dass er meine Abtreibung nach wie vor verurteilen würde. In einem BBC-Artikel, wurde der Papst bezüglich dieses Themas zitiert, dass viele der Frauen, die eine Abtreibung wählen, das „Gefühl hätten, keine andere Wahl zu haben“. Im selben Artikel wurden auch alte Stellungnahmen des Papstes erwähnt, wonach er Abtreibungen als Symptom der „Wegwerf-Gesellschaft“ bezeichnet: „Bedauerlicherweise wird heutzutage nicht nur Essen und Unbrauchbares weggeworfen, sondern auch menschliches Leben, das ungewollt ist.“
Habe ich mein Kind „weggeworfen“, sowie ich verdorbenen Käse oder alte Belege entsorge? Habe ich es, als ich es einfach das Klo heruntergespült habe, dorthin befördert, wo auch verdorbene Essensreste landen? Bedeutet die Tatsache, dass ich es nicht vergessen kann und es mich so beschäftigt, dass ich niemals Vergebung erlangen werde? Oder bedeutet nicht zu bereuen auch, keine Vergebung zu verdienen?
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Der katholische Glaube erlaubt ein Sündenbekenntnis erst dann, wenn man den ersten Schritt der Reue getan hat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich niemals wieder eine Abtreibung haben werde, zumindest nicht aus freiem Willen, aber bereue ich den Schritt, den ich damals gegangen bin, wirklich? Laut Duden ist Reue „ein tiefes Bedauern über etwas, was nachträglich als Unrecht, als [moralisch] falsch empfunden wird“. Ich empfinde kein grundsätzliches Bedauern über das, was ich getan habe, und deshalb habe ich auch das Gefühl, es nicht beichten zu können. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Alle Sünden können niemals gleich bewertet werden. Ich bereue es nicht, ab und zu „Oh Gott!“ zu sagen, aber ich bereue es, einen Seitensprung gehabt und meine Eltern angelogen zu haben. Und dennoch kann ich das alles wunderbar vor mir rechtfertigen, indem ich mir sage: „Ich war jung und dumm, deshalb bin ich fremdgegangen und habe gelogen.“ Die Abtreibung allerdings kann ich nicht verleugnen, sie wird für immer und ewig auf meiner Seele lasten und ich werde sie mit ins Grab nehmen. Dann wird Gott zu mir sagen: „Hier im Himmel haben wir keinen Platz für dich, erinnere dich daran, wie du damals ein unschuldiges Wesen getötet hast, weil du betrunken und dir selbst am wichtigsten warst.“ – Zumindest sind das die Gedanken, auf die ich durch meine katholische Erziehung konditioniert bin.
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In stillen Momenten rechne ich heimlich nach, wie alt mein Kind jetzt wäre.
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Ich weiß, dass ich damals die richtige Entscheidung für mich getroffen habe, aber das bedeutet nicht, dass ich mich nicht ebenso schuldig fühle und der Meinung bin, dass ich all den Schmerz mehr als verdient habe. Außerdem lebe ich mit der ständigen Angst, dass mich das alles einholen wird, wenn ich schließlich bereit bin Kinder zu bekommen. Ich bin überzeugt davon, dass auch das meiner katholischen Erziehung geschuldet ist. Ich befürchte einfach, dass ich zur Strafe nicht mehr in der Lage sein werde, Kinder zu bekommen, oder etwas Schlimmes passieren wird, sollte es doch klappen.
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In stillen Momenten rechne ich heimlich nach, wie alt mein Kind jetzt wäre. Manchmal träume ich auch davon, selten zwar, aber intensiv. Mein Kind ist dann ein hübsches kleines Mädchen, das ich liebe, egal, ob es einen Vater gibt oder nicht.
Seltsam, dass ich in meinen Träumen so glücklich darüber bin Mutter zu sein, wo ich doch in Wirklichkeit so froh bin, dass ich es nicht bin.
Abends, wenn ich bete, stelle ich mir vor, dass mein Baby im Himmel ist und überlege mir, ob ich es wohl jemals kennenlernen werde, falls ich nach meinem Tod doch in den Himmel gelassen werde. Ich hoffe dann, dass ich nachholen kann, was ich zu Lebzeiten versäumt habe, und Gott mir erlaubt eine Mutter zu sein. Ich möchte mich im Jenseits unbedingt entschuldigen – nicht bei einem Priester, meinen Eltern und auch nicht bei der Kirche, sondern ausschließlich bei meinem Baby.
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