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Dauerhafte Muskel- & Gliederschmerzen? Vielleicht ist es Fibromyalgie.

Foto: vaginelTino Chiwariro
Wenn du nicht gerade eine Person kennst, die an dieser Krankheit leidet, oder selbst Arzt oder Ärztin bist, weißt du wahrscheinlich nicht, was das Fibromyalgie-Syndrom ist. Die Stille in Hinblick auf diese chronische Schmerzerkrankung ist ohrenbetäubend, obwohl etwa drei Millionen Kranke in Deutschland davon betroffen sind. Die nicht eindeutigen Symptome und die Tatsache, dass eine Fibromyalgie nur schwer zu diagnostizieren ist, (was auch dafür sorgt, dass Beschwerden oft nicht ernst genommen werden), führen dazu, dass Betroffene in ständigen Schmerz- und Erschöpfungszuständen durchs Leben gehen, ohne auch nur annähernd genügend Unterstützung zu erhalten.
Das Hauptproblem, das eine einfache Diagnose dieses Syndroms verhindert, ist, dass die Symptome variieren und in Abständen auftreten können. Es gibt keinen speziellen Test für diese Krankheit, da sie nicht durch Blutuntersuchungen nachgewiesen werden kann. Stattdessen erhalten die Betroffenen eine klinische Diagnose, häufig von Rheumatolog:innen. Die Symptome sind auch nicht einfach zu handhaben. Zu den Krankheitsanzeichen gehören chronische Müdigkeit, Schmerzen des Bewegungsapparats und kognitive Probleme, die als „Gehirnnebel“ bezeichnet werden. Betroffene können auch unter Angstzuständen, Kopfschmerzen und Magen-Darm-Beschwerden wie dem Reizdarmsyndrom leiden. Diese große Vielfalt an Symptomen und das mangelnde Bewusstsein für Fibromyalgie können dazu führen, dass Betroffene eine solche Krankheit nicht in Betracht ziehen und deshalb auch nicht auf eine Diagnose drängen.
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Dr. Deborah Lee erklärt, dass sich das Wort „Fibromyalgie“ auf „Schmerzempfinden in faserigen Geweben wie Muskeln, Bändern und Gelenken“ bezieht. Das Syndrom selbst beschränkt sich jedoch nicht nur auf diese Schmerzen. Sie fügt hinzu, dass Personen mit Fibromyalgie oft auch eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit haben, „was bedeutet, dass ein kleiner Reiz zu einer größeren Schmerzreaktion als bei anderen Menschen führt“, was von leichten Schmerzen bis hin zu lähmenden Qualen variieren kann.
Sian, eine 22-jährige Betroffene, erzählt, dass sie einmal einen plötzlichen Schmerz in den Handgelenken hatte, der so stark war, dass sie „nicht einmal mehr [ihre] Zahnbürste halten konnte, weil es so weh tat und sie auf einen Schlag keine Kräfte mehr in den Händen hatte“.
Im Alter von elf machten sich Sians Symptome zum ersten Mal bemerkbar. Ärzte taten ihre Beschwerden immer wieder als „Wachstumsschmerzen“ oder Hypermobilität ab. Ein Arzt meinte sogar, sie müsse abnehmen, obwohl sie täglich fast zehn Kilometer lief. Sian ist ihrer Mutter dankbar dafür, dass sie sich für sie eingesetzt hat, und sagt: „Sie weigerten sich, mich zu einem MRT -Scan oder zu einer Röntgenuntersuchung zu schicken, bis meine Mutter ein Machtwort sprach und es ausdrücklich verlangte.“
Das Ringen um eine Diagnose ist bei Fibromyalgie-Betroffenen weit verbreitet. Linda, 54, hatte starke Rückenschmerzen. Ihr wurde Ibuprofen empfohlen, was aber nicht ausreichte, um ihre Symptome in den Griff zu bekommen. Später wurde bei ihr die entzündliche Darmerkrankung Colitis ulcerosa diagnostiziert. 2019, nach zwei Krankenhausaufenthalten nahmen Lindas Schmerzen zu und sie wurde zu einem Rheumatologen überwiesen. Dadurch, dass sie eine mögliche Erkrankung an Fibromyalgie ansprach, wurde die Krankheit als mögliche Ursache für ihre Qualen überhaupt erst in Erwägung gezogen. „Ich fragte, ob ich möglicherweise Fibromyalgie hätte. Daraufhin führte der Behandelnde einige Tests durch, die vermuten ließen, dass dieses Syndrom der Grund für meine dauerhaften Schmerzen sein könnte. Außerdem wurde bei mir eine chronische Müdigkeit diagnostiziert“, erklärt Linda.
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Dr. Lee bestätigt diesen Kampf um eine Diagnose. „Typischerweise dauert es bei Fibromyalgie mindestens ein Jahr, bis die Krankheit diagnostiziert wird. Das liegt daran, dass viele der Symptome unspezifisch sind. Es dauert seine Zeit, bis sich das Muster der Symptome herauskristallisiert“, erklärt sie. Da es keinen speziellen Test dafür gibt, müssen Ärzt:innen zunächst viele andere Krankheiten wie Lupus oder Arthritis ausschließen, bevor sie jemanden mit Fibromyalgie diagnostizieren können. Sie fügt hinzu: „Viele Ärzt:innen glauben immer noch, dass es sich dabei um keine echte Krankheit handle. Für sie sind Patient:innen, die über diese Beschwerden klagen, anstrengend, und die Diagnose zu unbestimmt.“
Auch das Leben nach der Diagnose ist kein Zuckerschlecken. Betroffene müssen mit dem Schmerz und dem Gehirnnebel zurechtkommen und gleichzeitig ihr Leben leben. Linda erzählt, dass sie „an manchen Tagen aufgrund ihrer Beschwerden kaum gehen kann, während es ihr an anderen Tagen möglich ist, sich normal zu bewegen. Beide Zustände können innerhalb eines Tages auftreten, sodass es für die Leute um sie herum schwierig sein kann, nachzuvollziehen, wie es ihr in dem jeweiligen Moment körperlich geht.“
Das kennt Sian auch. Sie sagt, dass sie sich damit auseinandersetzen muss, dass manche Personen denken, dass sie faul oder ungesellig sei, weil sie an manchen Tagen „in Ordnung“ zu sein scheint, aber am nächsten Tag ihre Pläne nicht durchziehen kann. Das ist offensichtlich ein großes Problem, wenn es ums Thema Arbeit geht. Sian, die inzwischen ihren Job im Einzelhandel aufgeben musste, erzählt, wie sie sich einmal für die Arbeit fertigmachte und sich gut fühlte, bis ihre chronische Müdigkeit sie „wie eine Tonne Ziegelsteine traf“ und sie deshalb zusammenbrach. Als sie es schaffte, sich ihr Telefon zu schnappen, um sich krank zu melden, wurde ihr gesagt: „Wir alle haben solche Tage. Wenn Sie nicht zur Arbeit erscheinen, könnte das zu einer Entlassung führen.“ Sian ging trotz ihres Zustands zur Arbeit, da sie befürchtete, sonst ihren Job zu verlieren. Auch Linda musste ihre Arbeit aufgeben, weil sie Schwierigkeiten hatte, mitzuhalten. „Ich hatte das Gefühl, dass es nur fair war“, sagt sie traurig.
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Mit 22 Jahren hält die Zukunft große Entscheidungen für Sian bereit. „Mein Partner und ich wollen irgendwann Kinder haben, aber wir müssen damit rechnen, dass ich vielleicht nicht gesund genug dafür sein werde.“ Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Fibromyalgie an ihre Kinder weiterzugeben. Zusätzliche Forschung auf diesem Gebiet ist noch notwendig, aber Studien haben gezeigt, dass Verwandte ersten Grades von Personen mit Fibromyalgie die Symptome dieser Krankheit mit größerer Wahrscheinlichkeit entwickeln. „Es kann sehr belastend sein, über solche Dinge nachdenken zu müssen, besonders wenn man jung ist. In unserem Fall muss das aber leider sein“, fügt sie hinzu.
Da Fibromyalgie anscheinend überproportional häufig Frauen zwischen 25 und 55 Jahren betrifft, ist eine mögliche Vererbung der Krankheit an Kinder wahrscheinlich eine häufige Sorge der Betroffenen. Doch selbst diese Statistik ist schwer zu entschlüsseln. „Neunzig Prozent der Personen, die an Fibromyalgie leiden, sind Frauen. Die Krankheit tritt am häufigsten im Fortpflanzungsalter auf“, sagt Dr. Lee. Sie erklärt, dass diese Umstände auf einen hormonellen Zusammenhang mit der Krankheit, aber auch auf eine tief verwurzelte geschlechtsspezifische Voreingenommenheit bei der Diagnose von chronischen Schmerzzuständen hindeuten könnten. Andererseits sind Männer möglicherweise häufiger vom Fibromyalgie-Syndrom betroffen, als uns tatsächlich bewusst ist. „Es kann sein, dass Ärzt:innen die Erkrankung mit Frauen assoziieren und deshalb beim Stellen einer Diagnose im Falle von männlichen Patienten zögern“, sagt sie.
Für diejenigen, die mit Fibromyalgie diagnostiziert worden sind, dreht sich ihr Leben darum, mit ihren Symptome zurechtzukommen. Obwohl es keine Heilung für diese Krankheit gibt, betont Dr. Lee, dass viele Methoden, die bei der Bewältigung helfen können, existieren (Medikamente, kognitive Verhaltenstherapien und sanfte Bewegung).
Sian und Linda würden Unterstützung und Verständnis seitens der medizinischen Gemeinschaft und darüber hinaus viel bedeuten und ihren Kampf mit der Krankheit etwas erleichtern. Wie Sian sagt: „Eine unsichtbare chronische Krankheit sollte nichts sein, wofür wir uns schämen sollten. Sie macht dich nicht zu einer schwachen Person sondern zu einem Kämpfer oder einer Kämpferin.“

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