Florence Welch, bekannt als Frontfrau der britischen Rockband Florence + the Machine, steckt voller Widersprüche. Auf der Bühne sorgen ihre unverkennbare, hypnotische Stimme, ihre ausdrucksstarke, kraftvolle Performance und ihr unnachahmlicher Kleidungsstil dafür, dass ihre Auftritte seit Jahren als absolute Erlebnisse gelten. Abseits der Bühne hingegen wirkt die Londonerin introvertierter und nachdenklich. Diesen Teil ihrer Persönlichkeit präsentiert sie nun in ihrem ersten Buch, Useless Magic, das am 5. Juli in Großbritannien und auch bei uns noch in diesem Monat erscheint. Darin finden sich Gedichte, Songtexte, Skizzen und Notizen aus Florence’ Privatleben und ihrem Schaffensprozess als Künstlerin wieder, die den Leser sofort in ihren Bann ziehen. Man fühlt sich ein bisschen, als würde man im privaten Tagebuch der Sängerin blättern. Hört man sich das vierte Album ihrer Band Florence + the Machine, High As Hope, an, das letzte Woche erschienen ist, und wirft dann einen Blick in das Buch, wird die Kluft zwischen ihrer raumgreifenden, dramatischen Performance als Musikerin und ihrer fast schon zerbrechlichen, von Zweifeln durchzogenen Arbeit als Autorin besonders deutlich.
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Pünktlich zur Veröffentlichung von Album und Buch sprachen wir mit Florence Welch über ihre Persönlichkeit, die sie mit einem „alten Geist“ vergleicht, über die Grenzen des Wahnsinns und die fließenden Übergänge zwischen Songtexten und Gedichten.
Refinery29: In deinem Buch sagst du, dass Lieder etwas Vergängliches an sich haben. Was meinst du damit?
Florence Welch: Ich habe mich gefragt, wieso ich meine Songtexte zuvor nie aufgeschrieben habe. Wenn Leute sich deine Lieder anhören, kann es immer mal passieren, dass sie dich falsch verstehen oder dass der Inhalt irgendwie an ihnen vorbeigeht oder dass ein bestimmtes Wort durch den Sound besonders hervorgehoben wird. Wahrscheinlich hatte ich einfach Angst, die Texte aufzuschreiben, weil sie dadurch so sichtbar werden. Jetzt, im Buch, ist es das erste Mal, dass ich ihnen tatsächlich einen Platz auf Papier einräume.
Welche Verbindung gibt es zwischen den Songtexten, Gedichten und Bildern in deinem Buch?
Zum Ende der letzten Tour [zum dritten Album] How Big, How Blue, How Beautiful habe ich angefangen, Gedichte zu schreiben. Manche von ihnen sind Songs geworden, andere sind Gedichte geblieben. Da ist mir bewusst geworden, dass die Grenze zwischen den beiden vielleicht gar nicht so groß ist, wie ich vorher gedacht hatte. Von da an habe ich sie nicht mehr so getrennt voneinander betrachtet und schlussendlich haben es einige davon auf High As Hope geschafft.
Was die Zeichnungen angeht, ist es so, dass ich ein extrem visueller Mensch bin und eine sehr klare Vorstellung von meiner persönlichen Ästhetik habe. Mir ist es wichtig, dass ein Album eine eigene Welt für sich ist, in die man eintauchen kann. Deswegen lege ich großen Wert darauf, dass alles ein zusammenhängendes Ganzes ist. Vielleicht liegt es daran, dass ich auf der Kunsthochschule war, aber ich sehe immer alles in seiner Gesamtheit.
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Hast du Lieblingssongtexte in deinem Buch?
Es war sehr interessant, mir einige meiner älteren Texte anzusehen, weil ich auf einmal gesehen habe, wieso es Lieder wie beispielsweise „Bird Song“ nie auf eines der Alben geschafft haben. Es handelt sich bei ihnen um ziemlich komplexe Märchen. Ich wollte also schon immer Geschichten erzählen. Es ist schön, auf die Texte zurückzublicken, die in der Phase [des ersten Albums] Lungs entstanden sind und dann die Songs auf High As Hope anzusehen und festzustellen, dass sich die Motive mit der Zeit eigentlich gar nicht so sehr verändert haben.
In deinen Gedichten beschreibst du auf ziemlich atmosphärische Weise, was Berühmtheit für dich bedeutet…
Ja, darin sage ich, dass ich ein alter Geist bin. Es hat eine gewisse Komik, wie erschrocken einen die Leute ansehen, wenn sie einen auf der Straße sehen. Wahrscheinlich sind sie einfach überrascht, weil sie irgendwie nicht erwarten, dass man sich auch mal einen Kaffee kaufen geht. Da fühlt man sich dann manchmal ein bisschen, als sei man eine Erscheinung. Aber natürlich hat man sich das auch zu einem gewissen Grad selbst zuzuschreiben. Als Kind habe ich Superhelden, Geister und Meerjungfrauen geliebt und durch meinen Job habe ich da natürlich ein bestimmtes Bild von mir kreiert. Man wird quasi zu seinem eigenen Traum. Mit der Zeit bin ich da aber entspannter geworden. Normalerweise sind die Leute, die mich auf der Straße ansprechen, nämlich sehr freundlich und lieb. Indem ich draußen rumlaufe, sehen die Leute, dass ich auch nur ein Mensch bin. Aber natürlich will ich manchmal auch einfach nicht erkannt werden. Dann huscht man so in der Öffentlichkeit herum und hofft, dass einen keiner sieht. In solchen Momenten fühle ich mich dann wie dieser alte Geist. Ich kann manchmal sehr schüchtern sein und ich mag es nicht so gerne, fotografiert zu werden. Wenn mich jemand auf der Straße anspricht, unterschreibe ich deshalb lieber ein Stück Papier, als ein Selfie mit der Person zu machen.
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Wo und wann liest du selber gerne?
Ich lese gerne, wenn ich auf Reisen bin, aber auch zu Hause nach einem Tag im Studio. Ich habe immer viel gelesen. Als ich jünger war, war ich ziemlich schüchtern und es gab eigentlich immer nur mich und die Bücher.
Gibt es ein besonderes Buch, das du gerne verschenkst?
Eines meiner Lieblingsbücher ist Die Agronauten von Maggie Nelson, das habe ich auch schon verschenkt. Es ist ein unglaubliches Buch. Oder Bone von Yrsa Daley-Ward. In meinen Augen schaffen es diese beiden Autorinnen, die Grenze zwischen Poesie und Prosa zu verwischen.
Hast du einen Lieblingsbuchladen?
Ich verlaufe mich jedes Mal, wenn ich in Paris bin, aber der Buchladen Shakespeare and Co. ist der einzige Ort, den ich immer wiederfinde. Ich liebe ihn einfach.
Wie war es, das neue Album aufzunehmen? Du hast mal gesagt, dass du normalerweise nicht direkt mit dem Schreiben anfängst, wenn du von einer Tour kommst. Diesmal hast du es aber doch so gemacht…
Ja, weil ich den Drang verspürt habe, Sachen zu machen. Ich brauchte ein Ventil für all die Eindrücke, die sich so ansammelten. Deswegen habe ich all diese kleinen Gedichte geschrieben. Nach der letzten Tour bin ich direkt ins Studio gegangen und habe angefangen, sie in Songs zu verwandeln. Das war eine ziemlich kleinteilige Arbeit, die schlussendlich anderthalb Jahre gedauert hat. Es fühlt sich außerdem sehr gut an, dieses Album co-produziert zu haben. Ich habe zwar auch vorher schon produziert, mir aber selber nie diesen Titel zugesprochen. Wenn man sich den aber gibt, dann muss man auch wirklich da sein und es machen, anpacken. Wenn man als Musikerin mit einem Produzenten arbeitet, gibt es sonst Situationen, da kann man sich zurückziehen und ihm das Ruder übergeben, beim Mischen beispielsweise. Aber als Co-Produzentin war ich die ganze Zeit anwesend. Es hat mich fast in den Wahnsinn getrieben, aber dieses Album ist schlussendlich wirklich die reinste Ausdrucksform meines Schaffens, die es jemals gab. Ich habe an jedem einzelnen Teil daran gearbeitet.
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Das hört sich nach einer sehr intensiven Phase an.
War es auch. Als das Album um Weihnachten rum fertig wurde, bin ich sehr krank geworden und musste eine Auszeit nehmen. Ich hatte eine wirklich fiese Grippe, lag einfach nur zu Hause im Bett und dachte Oh Gott, dieses Album hat mich zerstört. Es zu machen hat wahnsinnig viel Spaß gemacht, aber es hat mir einiges abverlangt. Indem ich so krank geworden bin, hatte mein Körper die Chance, sich von den Strapazen zu erholen. Aber jetzt geht es mir gut und ich bin total glücklich mit dem Resultat.
In deinen Texten kommen oft übersinnliche Motive vor, die wie aus einer anderen Welt scheinen. Auf dem neuen Album wirken die Lyrics näher an der Realität.
Interessant, dass dir das auffällt. Vielleicht liegt es daran, dass sie Texte zunächst als Gedichte entstanden sind. Ein Gedicht unabhängig von Musik zu schreiben, kann manchmal sachlicher sein. Normalerweise schreibe ich Songs, indem ich zu Musik singe. Die Musik hilft mir dabei, Dinge heraufzubeschwören. Das fühlt sich ein bisschen so an, als würde ich sie in Worte übersetzen. Diesmal habe ich erst geschrieben und dann kam die Musik, da war der Gedankenprozess vielleicht etwas direkter. Aber es hat auch mit dem Alter zu tun. Jetzt, wo ich etwas älter bin, ist der Abstand zwischen mir und den Dingen, für die ich mich geschämt habe oder mit denen ich zu kämpfen hatte, etwas größer. Und mit wachsendem Abstand kann man Sachen klarer benennen und laut aussprechen. Wenn du in einer schmerzvollen Phase deines Lebens bist oder dich in einer Lage befindest, für die du dich schämst, wirst du das mit Sicherheit niemandem erzählen. Stattdessen verkleidest du diese Dinge, als seien sie mystische Wesen. Mittlerweile bin ich an einem stabileren Punkt angekommen und kann aufrichtig darüber sprechen.
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Wie fühlt es sich für dich an, als Stilikone zu gelten? Die Leute kommentieren dein Aussehen ja genauso wie dein Werk.
Für mich ist mein Aussehen eine Möglichkeit, meine Persönlichkeit auszudrücken. Mit Mode kann ich auch in meinem Alltag kreativ sein. Als ich noch zur Schule ging, hatte ich eine Englischlehrerin, die immer in Mittelalterkluft mit überlangen Ärmeln und roten Samtkleidern in den Unterricht gekommen ist. Wie man sieht, hat das einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Ich habe mir einen eigenen Stil zugelegt und bin ziemlich glücklich damit, anziehen zu können, was ich möchte. Vielleicht entspricht meine Garderobe nicht unbedingt dem Mainstream, aber das ermöglicht mir auch eine gewisse Freiheit. Es ist mir herzlich egal, ob ich auf irgendwelchen Best- oder Worst-Dressed-Listen auftauche.
Im Video liest Florence aus ihrem Buch Useless Magic vor.
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