Wenn Ruth Glenn erzählt, was sie beruflich macht, versuchen ihre Gesprächspartner*innen oft, das Thema zu wechseln. „Es ist ihnen einfach unangenehm“, so die CEO des National Coalition Against Domestic Violence. Da sie selbst ebenfalls Opfer häuslicher Gewalt war, versteht sie die Reaktionen. Jedoch hält sie es für notwendig ist, darüber zu reden – auch wenn es nicht leichtfällt.
Allein in den Vereinigten Staaten werden durchschnittlich 24 Menschen pro Minute Opfer von Vergewaltigungen, körperlicher Gewalt oder anderen Formen des Missbrauchs durch den Partner oder die Partnerin. Das Problem ist also weiter verbreitet, als du vielleicht gedacht hast und könnte somit auch eine Person betreffen, die du kennst – wenn nicht sogar dich selbst. Deswegen ist es auch so wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und zu verstehen, wie viele verschiedene Formen häuslicher Gewalt es tatsächlich gibt.
WerbungWERBUNG
Laut Glenn verwenden viele den Begriff häusliche Gewalt synonym zu physischer Gewalt und bei Missbrauch denken sie direkt an Vergewaltigung. Sie gehen also davon aus, dass die betreffende Person geschlagen oder auf andere Weise körperlich verletzt wird. Doch das ist nicht immer der Fall. Häusliche Gewalt und Missbrauch kommen in unterschiedlichsten Formen vor und um diese zu erkennen, um sich selbst und nahestehenden Personen zu schützen, ist das Feststellen bestimmter Merkmale wichtig.
Emotionaler Missbrauch
Emotionaler Missbrauch zählt laut Glenn zu den schädlichsten und gleichzeitig zu den am schwersten erkennbaren Formen der Gewalt. „Dazu gehört auch, dass eine Person eine andere runterputzt, sie vor anderen schlechtmacht und ihr sagt, sie wäre nichts wert. Es kann sich auch in Äußerungen wie ‚Dann verlass’ mich doch! Dich nimmt doch eh niemand!‘ zeigen oder etwa in Drohungen, die gemeinsamen Kinder wegzunehmen“, so Glenn. Jemanden derartig zu manipulieren ist absolute Folter. „Damit nimmt man der Person ihre Selbstständigkeit und zerstört sie.“ Konkret kann das Ganze in Form von Beleidigungen, Kritik, Gaslighting oder Ignoranz auftreten. Auch die Manipulation oder das Drängen zum Drogenkonsum gehört dazu, so das Arizona Coalition to End Sexual & Domestic Violence.
Sexueller Missbrauch
Sexueller Missbrauch kann sowohl zwischen Fremden stattfinden als auch bei Paaren oder Ehepaaren. Dabei geht es nicht zwingend darum, dass eine Person zum Sex gezwungen, überredet oder manipuliert wird. Es kann auch sein, dass zwar beide eingewilligt haben, eine*r von beiden dann aber etwas Bestimmtes machen will, der oder die andere aber nicht – wie eine spezielle Stellung oder ähnliches.
Außerdem fällt eine erzwungene oder durch einen Trick erwirkte Schwangerschaft in diese Kategorie.
WerbungWERBUNG
Finanzieller Missbrauch
Laut Glenn kann sich finanzieller Missbrauch beispielsweise darin zeigen, dass der Täter oder die Täterin einen Teil oder das komplette Gehalt auf das eigene Konto umleitet – oder aber dem Opfer verbietet, arbeiten zu gehen. „Manchmal stellt der Täter oder die Täterin auch nur eine Art Taschengeld zur Verfügung, das dann für eine bestimmte Zeit reichen muss. Oder aber sie oder er sorgt dafür, dass sich das Opfer verschuldet. Dadurch entsteht eine Abhängigkeit, durch die die Beziehung nicht beendet werden kann. Ich habe sogar schon Fälle erlebt, in denen jemand dazu gezwungen wurde, Verträge oder ähnliches abzuschließen“, so Glenn.
Physischer Missbrauch
Physischer Missbrauch kann bedeuten, dass es entweder untersagt wird, den eigenen körperlichen Bedürfnisse nachzukommen oder jemandem körperlicher Schaden zugefügt wird. Manche Täter*innen verbieten ihrem Opfer zu essen oder zu trinken, andere verletzen das Opfer, dessen Kind oder etwa sein Haustier. Auch das Einsperren von Personen gehört beispielsweise dazu.
Kontrollverhalten
Bei häuslicher Gewalt geht es laut Glenn oft darum, dass der Täter oder die Täterin Kontrolle über seine*n Partner*in oder ihre*n Partner*in haben will. Dies kann sich entweder in Form einer der bereits erwähnten Missbrauchsformen zeigen, aber auch im Stalking. Beispielsweise kontrollieren manche regelmäßig den Kilometerzähler des Autos der Freundin oder des Freundes. Oder aber sie lesen heimlich die Nachrichten und überprüfen die Anrufliste der anderen Person. Manche nutzen sogar Apps zum Tracken ihrer Partner*innen. Außerdem kommt es nicht selten vor, dass Opfer von ihren Freund*innen und der Familie isoliert werden, erzählt Glenn.
Sobald du merkst, dass eine Person in deinem Umfeld betroffen zu sein scheint, solltest du aufmerksam, aber nicht übergriffig werden. Sei unbedingt sensibel, solltest du ein mögliches Opfer auf das Thema ansprechen wollen. Einige Opfer sind sich dessen nicht bewusst, verdrängen es, reden es klein oder hoffen, dass sich ihr*e Partner*in irgendwann doch noch ändert. Leider ist dies jedoch so gut wie nie der Fall. Du kannst also beispielsweise Dinge sagen wie: „Du warst immer so energiegeladen und gut drauf, aber in letzter Zeit ist das nicht mehr so. Ist alles okay bei dir?“ oder einfach nur: „Ich bin immer für dich da, wenn du reden willst“. Dadurch fühlt sich dein Gegenüber (hoffentlich) nicht zu bedrängt, sondern gesehen und geliebt. Allgemein gilt: Geh mit offenen Augen durch die Welt und achte auf deine Umwelt und auf dich selbst!
Wenn du selbst betroffen bist oder jemanden kennst, die oder der Opfer häuslicher Gewalt ist, kannst du dich beispielsweise unter der Nummer 08000 116 016 oder per Online-Beratung an das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ wenden – ein vertrauliches, kostenfreies 24-Stunden-Beratungsangebot, das anonyme, mehrsprachige und barrierefreie Unterstützung bietet. Eine Liste mit weiteren Ansprechpartnern findest du hier.
WerbungWERBUNG