Wenn wir über das Leben frischgebackener Eltern reden, sprechen wir dabei meistens über die Erfahrungen neuer Mütter. Für Frauen gibt es während und nach der Schwangerschaft ein strukturelles Supportnetzwerk, und wir haben uns als Gesellschaft quasi ganz von Natur aus darauf geeinigt, dass die Mutter-Baby-Beziehung im Zentrum dieser aufregenden Zeit steht. All das ist natürlich unendlich wichtig – aber weil sich ein großer Teil der öffentlichen Debatte rund ums Elterndasein um die Mütter dreht, verlieren wir dabei manchmal die emotionalen und psychologischen Bedürfnisse der Väter aus den Augen.
In der neuesten Bilderreihe der Londoner Fotografin Sophie Harris-Taylor, Present Fathers, steht genau die Erfahrung frischgebackener Väter im Zentrum. Inspiriert von den Erlebnissen ihres eigenen Partners als neuer Vater startete Harris-Taylor ihre Bilderserie, um ein Gespräch über die fehlende Unterstützung und Sichtbarkeit neuer Väter anzuregen. „Mein Partner hatte das Glück, sich ein paar Monate Elternzeit nehmen zu können. Dadurch waren wir beide ab dem ersten Tag komplett involviert“, erklärt sie, „aber einige Zeit nach der Geburt unseres Sohnes wurde mir klar, dass er gar nicht wirklich wusste, wo er sich Unterstützung holen konnte. Er hatte keine Ahnung, wo er diese neue Rolle erkunden und ausdrücken sollte.“ Dadurch dachte Harris-Taylor viel über die Erfahrungen anderer frischgebackener Väter nach. Wo waren die? Ging es denen ähnlich? „Wir bekommen kaum etwas von neuen Vätern mit, jedenfalls im Vergleich zu neuen Müttern“, sagt sie. Diese Neugier war der Auslöser für ihr Fotoprojekt.
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Bewaffnet mit ihrer Kamera und jeder Menge Feinfühligkeit reiste Harris-Taylor also kreuz und quer durch den Südosten Londons und knipste wunderschöne, natürlich beleuchtete Porträts von Vätern und deren jungen Kindern. Einige der Männer waren ihre Freunde oder Bekannte, andere wiederum Freundesfreunde oder Leute, die sich via Instagram bei ihr gemeldet hatten. In den Bildern stolpern die Kinder oft chaotisch über ihre eigenen Arme und Beine und klettern über ihre Väter. Es sind lebensfrohe, erfrischend ehrliche Aufnahmen, die uns sowohl an der Erschöpfung als auch der Freude des neuen Elterndaseins teilhaben lassen. Unsichere Momente stehen Seite an Seite mit Szenen voller Gelächter und Spielspaß. „Wir sind so daran gewöhnt, das Mutterdasein so zu sehen, und Bilder von Müttern und Babys werden von uns hoch geschätzt“, sagt die Fotografin. „Dabei geht die Liebe zwischen Vätern und ihren Babys und Kindern natürlich genauso tief. Trotzdem bekommen wir diese Art der Intimität kaum zu sehen – weswegen sie vielleicht außergewöhnlicher wirkt, als sie sollte.“
Zu diesen Fotos sammelte Harris-Taylor auch Zitate und Gedanken aus den Interviews mit den einzelnen Vätern. Deren Worte lassen tief blicken und enthüllen eine Vielfalt oft unausgesprochener Ängste. „Jeder Vater teilte seine ganz persönliche Geschichte mit mir. Ich habe so viel aus dem Verständnis ihrer individuellen Rollen gelernt“, erzählt sie. „Viele von ihnen haben Angst davor, dass andere glauben, sie würden sich beschweren, und betonten immer wieder die Leistungen der Mutter. Und natürlich sind die wichtig – aber trotzdem finde ich es schade, dass einige der Väter das Gefühl haben, anderen gegenüber keine Verletzlichkeit zu zeigen, selbst wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Viele dieser Gespräche zeigten mir umso stärker, wieso ich dieses Projekt überhaupt starten wollte: weil Väter weniger Support bekommen, sich in ihrem Elterndasein isoliert fühlen – und weil ich die Liebe zwischen ihnen und ihren Kindern zeigen möchte.“
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Present Fathers ist nicht das erste Projekt der Fotografin, in dem sie sich einen Aspekt des Elterndaseins widmet. Für eine andere ihrer Bilderreihen, Milk, fotografierte sie frischgebackene Mütter während der Höhen und Tiefen des Stillens. Harris-Taylor glaubt, mit diesen Themen hätte sie sich nicht beschäftigt, wenn sie nicht selbst Mutter wäre. „Meine persönlichen Projekte entstammen meistens meiner eigenen Erfahrung“, meint sie. „Ich schätze, oft will ich dabei einfach mehr herausfinden – ob andere dasselbe durchmachen wie ich. Ich möchte Bestätigung für meine eigenen Erlebnisse haben, während ich gleichzeitig von anderen lerne.“
Durch die Zeit, die sie mit den Vätern aus ihrem Projekt verbracht hat, und die miterlebte Erfahrung ihres eigenen Partners hat Harris-Taylor ein ganz neues Verständnis dafür entwickelt, wo sich unsere Gesellschaft dahingehend verändern muss, wie sie das Vatersein darstellt und bespricht. „Ich denke, dass wir prinzipiell offener sein müssen“, sagt sie. „Da kommen viele kleine Dinge zusammen. Für Mütter gibt es so viele Möglichkeiten – Gruppen, Online-Foren, Mutter-Kind-Aktivitäten. Noch dazu kann es auch bei Vätern zu postnatalen Depressionen kommen. Es kann schon so viel bewirken, Väter einfach mal zu fragen, wie es ihnen geht und wie sie klarkommen. In einer Zeit, in der Gender-Rollen einander langsam näher kommen und das Elterndasein hoffentlich gleichberechtigter wird, ist es nur richtig, diese Unterstützung anzubieten. Vor allem, weil uns gerade erst bewusst wird, wie viele Männer unbehandelt und hilflos unter ihrer schlechten geistigen Verfassung leiden.“
Bola, einer der Männer aus Harris-Taylors Bilderreihe, stimmt da total zu. „Die Unterstützung hat mir prinzipiell gefehlt, und tut es immer noch“, sagt er. Zwar haben Väter hierzulande Anspruch auf genauso viel Elternzeit wie Mütter – nur ist das vielen Vätern nicht mal bewusst, und viele von ihnen fühlen sich dazu gedrängt, möglichst schnell wieder zum Job zurückzukehren. „Manche nehmen sich nur zwei Wochen Elternzeit und das war’s. Das ist nicht genug Zeit, um eine Verbindung zu deinem Kind aufzubauen und die Mutter in dieser kritischen, wichtigen Zeit zu unterstützen“, meint Bola. „Und ich kenne auch kaum Organisationen, die Väter supporten. Für Mütter gibt es aber jede Menge.“
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Harris-Taylors persönliches Lieblingsbild aus der Reihe ist ein Porträt eines Mannes namens Nathaniel mit seinem Sohn, fotografiert vor einem mitternachtsblauen Hintergrund. Es ist ein eindrucksvolles Bild, auf dem er seinen unruhigen Sohn in seinen Armen hält und direkt in die Kamera blickt. „Ich finde das Foto deshalb so stark, weil es den Beschützerinstinkt mit einer gewissen Verletzlichkeit verbindet“, erklärt sie. „Die meisten Fotos aus dem Projekt zeigen ein bisschen mehr von der Wohnumgebung, aber hier herrscht eine Schlichtheit, eine Direktheit. Ich finde Nathaniels Gesichtsausdruck, zusammen mit seinen toll geschriebenen Worten, einfach sehr eindrucksvoll.“
In seinem Text erzählt Nathaniel ganz ehrlich über seine Erfahrung als junger Vater, und seine Worte beschreiben so viel mehr als nur seine eigenen Gefühle. „Ich möchte allen Vätern – und vor allem jungen oder frischgebackenen Vätern – den Mut zusprechen, offener zu kommunizieren, wie sie klarkommen, oder eben nicht klarkommen“, sagt er und ergänzt später: „Für unser Wachstum als Väter und die Beziehung zu unseren Kindern ist es außerdem so wichtig, dass wir gewisse Flüche, die uns unsere Vatergeneration weitervererbt hat, brechen. Es ist schwerer, als man denkt, etwas bewusst zu verlernen – aber wir müssen uns verändern, wenn wir uns wünschen, dass es unseren Kindern später mal besser geht.“ Für Harris-Taylor gehört ihr Projekt und die Plattform, die es den Vätern bietet, zu einer ebenjener Veränderungen.
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