Beim Durchstöbern der Geburtstagskarten meiner Tochter stolperte ich über eine Karte, die mich innehalten ließ. Sie stammte von einer ihrer besten Freund*innen. „Ich liebe dich einfach so sehr“, stand darin. Diese simplen, aufmerksamen Worte berührten mich. Was für eine schöne Freundschaft meine Tochter da hatte!
Die besten Freund*innen sind wundervolle Wesen. Sie tauchen einfach in unserem Leben auf – in verschiedenen Situationen, an verschiedenen Orten. Manchmal ist es ein nervöser Blick quer über den Spielplatz, der uns zusammenführt; mal ein kurzer Witz am Büro-Drucker, oder ein lockeres Kennenlernen bei einem Glas Wein (oder drei) auf einer Party.
Unsere Freund*innen unterstützen uns auf unserem Weg. Sie erleichtern und erhellen ihn, sie beeinflussen (manchmal unabsichtlich) unsere Gedanken, Ideen und Lebenseinstellungen. Und sie helfen uns dabei, zu den Menschen zu werden, die wir heute sind – oder gern wären.
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Dabei sind sie natürlich nicht die Einzigen, die unser Leben bereichern. Zu meinem Universum zählen außerdem ein toller Ehemann, wundervolle Kinder, fantastische Schwestern und ein großartiger Bruder. Während ich aber inzwischen die späteren Jahre meines Lebens durchreise, bin ich heute besonders dankbar für meine Freundinnen. Nur wenige von ihnen begleiten mich schon mein ganzes Leben, aber diejenigen, die mir jetzt am nächsten sind, machen mich wirklich glücklich. Sie hören mir zu, unterstützen mich und ziehen mich auch mal auf die Beine, wenn ich es gerade brauche. Sie haben immer weise Ratschläge parat und sehen das Licht am Ende jedes Tunnels. Und sie bringen mich zum Lachen – oft, herzlich.
Ich bin nicht die Erste, die sich ihre Freundschaften genauer ansieht. Dazu hat schon Aristoteles den Nagel damals auf den Kopf getroffen – seine Ansichten gelten bis heute. Er teilte Freundschaften in drei Kategorien auf:
Die Freundschaft des Nutzens, die der Lust, und die vollkommene Freundschaft. Die Freundschaft des Nutzens findest du beispielsweise in einem Arbeitsumfeld, denn dort geknüpfte Verbindungen sind nützlich, sprich: Sie basieren auf beidseitigem Vorteil. Die Freundschaft der Lust hingegen baut auf gemeinsamen Aktivitäten oder Zielen auf; man hat gemeinsam Spaß. Diese beiden Arten der Freundschaft kommen und gehen im Laufe unseres Lebens, wenn wir uns verändern und weiterentwickeln. Trotzdem sah Aristoteles sie nicht als weniger wertvoll an; sie könnten lediglich in ihrer Tiefe und Qualität irgendwann an ihre Grenzen stoßen.
Die dritte Art der Freundschaft nach Aristoteles ist die vollkommene: Eine Beziehung, die aus dem entspringt, was wir tief ineinander erkennen. Kümmern wir uns um diese Freundschaft, wächst sie, wird stärker und währt länger. Es ist diese Art der Freundschaft, die sich die meisten von uns wünschen. Die vollkommene Freundschaft kann dabei in jeder Lebensphase entstehen und gedeihen – doch findet man sie vor allem zwischen älteren Frauen, sagt die Beziehungsberaterin Karen Apperley. „In der vollkommenen Freundschaft geht es um Werte, die viele mit anderen teilen möchten: Respekt, Ehrlichkeit, Vertrauen, Mitgefühl, Wärme, Humor, gemeinsame Erfahrungen, Liebe“, sagt sie. „Während wir älter werden und vielen Frauen tiefere Freundschaften immer wichtiger werden, sind es diese Werte, nach denen wir uns dabei sehnen.“
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Wenn ich mich in meinem eigenen Freundeskreis umhöre, wächst dort scheinbar mit zunehmendem Alter ebenfalls das Bedürfnis nach bedeutungsvolleren Freundschaften.
Ali, 57, meint: „Als ältere Frau habe ich vielleicht mehr freie Zeit – aber diese Zeit liegt mir auch sehr am Herzen. Ich verschwende sie nicht mehr mit den falschen Leuten.“
„In meinen Fünfzigern bin ich gerade in einer Phase, in der ich nicht mehr aktiv nach neuen Freundschaften suche“, überlegt Niccy, 55. „Das heißt nicht, dass ich neuen Begegnungen gegenüber nicht offen bin oder die Unternehmungen und gemeinsam verbrachte Zeit mit ihnen nicht genieße. Aber ich möchte mich eben vor allem auf die Freundschaften konzentrieren, die mir am meisten bedeuten.“
„Ich schätze, wir wählen und pflegen Freundschaften umso sorgsamer, je mehr wir uns unserer Sterblichkeit bewusst werden“, sagt Marie, 54. „Wir haben vielleicht wenigere Freundschaften – aber die, die wir haben, sind dafür umso tiefer.“
„Ich verbringe mehr Zeit mit wenigeren Leuten“, sagt Annie, 60. „Und das sind die einzigen Menschen, mit denen ich wirklich zusammen sein möchte.“
Während manche also Qualität gegenüber Quantität vorziehen, bleiben andere meiner Freund*innen gegenüber allem offen.
„Ich habe schon das Gefühl, meine Freundschafts-Muskeln versteifen mit dem Alter“, gibt Julie, 56, zu. „Ich suche nicht mehr so aktiv nach neuen Freundschaften wie früher. Ich finde aber auch, daran sollte ich arbeiten und neuen Beziehungen nicht ablehnend gegenüberstehen – denn man weiß ja nie, wann jemand Besonderes oder Einflussreiches in dein Leben tritt.“
Mir persönlich geht es in meiner aktuellen Lebensphase bei Freundschaften um die Qualität. Aber gleichzeitig möchte ich mich gegenüber interessanten neuen Erfahrungen und Leuten nicht verschließen.
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Mein Freundeskreis ist facettenreich und voller unglaublicher Frauen. Ich verdanke sie meiner Schulzeit, meiner Arbeit, Fortbildungen, meinen Kindern, anderen Freunden oder zufälligen Begegnungen. Dank ihnen habe ich viele positive Dinge über Freundschaften in meinem jetzigen Alter zu sagen. Hier sind nur ein paar:
Freundinnen ohne Kinder haben manchmal die besten Erziehungstipps
Während meine Kinder aufwuchsen, waren meine Freundinnen mit Kindern natürlich meine erste Anlaufstelle. Das sind sie immer noch – ich schätze ihren Rat. In den letzten Jahren kamen einige der besten Erziehungsratschläge allerdings aus unerwarteten Ecken: Ein paar Freundinnen, die selbst keine Kinder haben, lieferten mir objektive, völlig neue Perspektiven auf Probleme. Das hat mir wahnsinnig geholfen. Als ich noch jünger war, hätte ich sie vielleicht als nicht “qualifiziert“ genug empfunden. Heute weiß ich: Jede Meinung zählt.
Die Stärke wächst mit der Entfernung
Als ich vor fünf Jahren von London in eine kleinere Stadt zog, machte ich mir Sorgen: Wie sollte ich mit den Freundinnen, die ich zurückließ, in Kontakt bleiben? Danke, digitale Welt – Instagram, WhatsApp und FaceTime waren meine Rettung. Ich denke aber auch, mein Umzug tat uns gut. Ich musste nun ein bisschen härter für unsere Beziehungen arbeiten. Wo diese Mühe nicht erwidert wurde, endeten Freundschaften. Die, die ich noch habe, sind dafür umso enger. Ich fahre zu ihnen, sie zu mir. Wir nehmen uns eine Stunde, einen Tag, ein Wochenende, manchmal sogar mehr füreinander. Aber ganz egal, wie viel Zeit wir gemeinsam verbringen – sie ist immer wundervoll.
Neue Freunde zu finden ist gar nicht schwer
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Ich muss es zugeben: Als ich umzog, stürzte ich mich vor Ort direkt auf Freundinnen derer, die ich schon von früher kannte. Ich kam, ich sah, es funkte. Meine Freundschaften mit diesen Frauen erblühten schnell. Davon mal ganz abgesehen ist die immer noch neue Umgebung für mich weiterhin eine Herausforderung: Es kostet mich Überwindung, neue Leute kennenzulernen. Ich habe mich also in einem Fitnessstudio angemeldet, einen Kunstkurs belegt und will im kommenden Winter noch mehr Unternehmungen wagen.
Sei neugierig auf Neues
Nächstes Jahr will ich mir die Eiger-Nordwand in der Schweiz vornehmen, mich durch Kopenhagen shoppen und mich an einem weit, weit entfernten Strand in der Sonne aalen. Mein Mann hält schon den Ausflug in den Supermarkt für eine weite Reise – daher kann ich mich glücklich schätzen, Freundinnen gefunden zu haben, die sich ebenfalls ein bisschen Zeit fernab ihrer (leeren) Nester und flexiblen Arbeit leisten können. Der Familienurlaub ist nach wie vor unersetzlich, aber eben auch teuer; es ist logisch, dass ein Trip allein weniger kostet als einer zu viert. Im nächsten Jahr geht es also mal nur um mich… und meine Freundinnen.
Freundschaften hören nie auf, dich zu verblüffen
Vor nicht allzu langer Zeit kämpfte jemand, der mir sehr nah steht, gegen ein ernsthaftes Suchtproblem. Weil ich helfen wollte, ging es letztlich auch mir schlecht – und ich drohte abzustürzen. Plötzlich kam völlig unerwartet eine mutige Freundin auf mich zu, die insgeheim eine ähnliche Sucht überwunden hatte. Sie gestand mir ihr Geheimnis und teilte ihre Erfahrung – nur um mich während dieser furchtbaren Zeit zu unterstützen. Ich werde ihr dafür nie genug danken können.
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Ich glaube (und hoffe), dass ich aus dieser Lebensphase, in der ich nun angekommen bin, nur Gutes zu berichten habe – darüber, wonach wir im Alter in unseren Freundschaften suchen, was wir in ihnen finden und an ihnen genießen. Meine Freundinnen hauchen meinem Leben Temperament, Enthusiasmus, Motivation, Kreativität und Liebe ein. Dabei gibt es wenige Beschwerden, schlechte Laune oder Gemeinheiten. Sie lassen mich nicht im Stich.
Und wenn es darum geht, all diesen Menschen, die ich unterwegs um mich versammelt habe, meine Wertschätzung zu zeigen, gibt es keine besseren Worte als die aus der Geburtstagskarte meiner Tochter: Ich liebe euch einfach so sehr.
Zum Abschluss noch ein paar eindringliche Worte der amerikanischen Dichterin Anne Sexton zum Thema Freundschaft: “Max“ (ein Abschnitt aus ihrem Gedicht “The Death Baby“) handelt von der engen Freundschaft zwischen Sexton und ihrer Dichter-Kollegin Maxine Kumin. Ich liebe die Stärke dieser Worte und den liebevollen, verschworenen Vibe, der ihnen mitschwingt. Das Gedicht spricht all das aus, was ich gerade für eine Freundin empfinde. Und das weiß sie auch.
Max
Max and ich
zwei maßlose Schwestern,
zwei maßlose Schreiberinnen,
zwei Gebürdete,
schlossen einem Pakt,
den Tod niederzuknüppeln
alles in die Hand zu nehmen.
Unseren Tod wie ein Tischler aufzubauen.
Als sie sich den Rücken brach,
erbauten wir jede Nacht ihren Schlaf.
Wir sprachen am Telefon,
bis ihre Augen wie Rollläden zufielen.
Und wir versprachen uns während langer geflüsterter Telefonate,
dass wir im richtigen Moment
offen reden würden,
ohne Papier vor dem Mund,
dass wir alles nehmen, wie es kommt.
Ja,
wenn der Tod unter seiner Kapuze naht,
werden wir nicht mehr höflich sein.
zwei maßlose Schwestern,
zwei maßlose Schreiberinnen,
zwei Gebürdete,
schlossen einem Pakt,
den Tod niederzuknüppeln
alles in die Hand zu nehmen.
Unseren Tod wie ein Tischler aufzubauen.
Als sie sich den Rücken brach,
erbauten wir jede Nacht ihren Schlaf.
Wir sprachen am Telefon,
bis ihre Augen wie Rollläden zufielen.
Und wir versprachen uns während langer geflüsterter Telefonate,
dass wir im richtigen Moment
offen reden würden,
ohne Papier vor dem Mund,
dass wir alles nehmen, wie es kommt.
Ja,
wenn der Tod unter seiner Kapuze naht,
werden wir nicht mehr höflich sein.