Jeder hat mindestens eine dieser Personen im Freundeskreis: Sie sind dauerhaft pleite, stehen knietief im Dispo, haben nie Bargeld dabei und fragen bei jedem zweiten Treffen, ob du mal schnell den Milchkaffee mitbezahlen könntest.
Spätestens Ende Zwanzig kippt das Ganze dann plötzlich: Wurde gerade noch demütig offenbart, man hätte keinen einzigen Cent in der Tasche, ziehen genau diese Leute in eine geräumige Altbauwohnung in szenigsten Viertel der Stadt und vermieten sie am besten noch immer mal wieder bei Airbnb unter, um nebenbei ein bisschen Geld zu machen. Wie genau ist das jetzt passiert?
Wenn man Anfang Zwanzig ist, ist es nicht so eindeutig zu sehen, wer Geld hat und wer nicht. Als Studierende oder Auszubildende sind einfach alle knapp bei Kasse, und das ist auch irgendwie verbindend. Ab etwa 28 kristallisiert sich der monetäre Unterschied dann aber plötzlich ziemlich stark heraus. In manchen Kreisen kaufen Leute auf einmal Wohnungen oder Häuser, oder ihre Eltern kaufen diese Immobilien und lassen ihre Kinder zu lachhaften „Mieten“ dort wohnen. Die Tage, in denen keine*r aus deiner Clique Geld für einen Döner hatte, sind schlagartig vorbei.
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In Zeiten von rasant steigenden Mieten in den Großstädten und dem Wunsch nach sicheren Geldanlagen passiert genau das immer öfter. Die eigenen Eltern werden Kreditinstitut und Vermietung in einem. Auf den eigenen Füßen zu stehen sollen die erwachsenen Kinder zwar – und sie wollen das ja auch – aber wieso nicht auch die Vorteile nutzen, die einem geboten werden?
Doch was ist eigentlich mit denjenigen, die nicht in einem gut betuchten Elternhaus aufgewachsen sind? Wie verändern sich die Beziehungen zur Partnerin, zum Partner und den Freund*innen, wenn auf einmal wieder eine Kluft entsteht zwischen dem, was sie sich leisten können, und dem, was du dir leisten kannst?
Natasha ist 32 Jahre alt und arbeitet in einer PR-Agentur. Der Job wird ordentlich bezahlt, aber eben nicht so, dass sie sich davon eine Anzahlung auf eine Wohnung in der Großstadt leisten könnte. „Als wir in unseren Zwanzigern waren, haben meine Freunde und ich alle zur Miete gewohnt. Die Wohnungen waren quasi alle gleich schlecht in Schuss und wir haben uns in regelmäßigen Abständen über Nachzahlungen, Vermieter und feuchte Wände beieinander beschwert. Das änderte sich etwa um meinen 27. Geburtstag herum. Ich dachte immer, meine Freunde und ich, wir wären gleich. Wir haben ganze Abende am Küchentisch verbracht und sprachen darüber, wie viel Geld wir schon wieder am Wochenende ausgegeben hatten, wie tief wir im Dispo waren und dass wir für den Rest des Monats Nudeln mit Ketchup essen müssten. Auf einmal fingen aber genau diese Freunde an, sich Wohnungen mitten in der Stadt zu kaufen.“ Zunächst dachte Natasha, das wären halt die paar wenigen Freunde, die aus einem extrem reichen Elternhaus stammten. Wessen Eltern mal schnell ein paar hunderttausend Euro lockermachen können, der hat einfach Glück gehabt. Natasha ist sich ziemlich sicher, dass sie noch sehr lange zur Miete leben wird und war der Meinung, ihrem Umfeld ginge es genauso. „Doch auf einmal haben um mich herum alle angefangen, Wohnungen und Häuser zu kaufen. Sogar vermeintlich normale Leute, die aus ähnlichen Verhältnissen stammen wie ich. Das hat mich total umgehauen. Es stellte sich nämlich heraus, dass die meisten meiner Freunde mit Eltern ausgestattet sind, die ihnen mindestens eine schöne Einzimmerwohnung finanzieren können. Bei Paaren scheint immer wenigstens einer der beiden aus einem gut betuchten Elternhaus zu stammen, sodass der andere diesen Vorteil fröhlich mitnutzen kann.“ Natashas Umstände sehen allerdings anders aus. „Ich bin Single, meine Mutter war alleinerziehend. Sie hat sehr viel gearbeitet, um mir ein privilegiertes Leben zu ermöglichen. Ich weiß, dass ich wirklich sehr viel Glück hatte, aber ich habe von Zuhause aus einfach kein finanzielles Polster mitbekommen. Es ist nicht so, dass ich mich nicht für meine Freunde und ihre schönen Wohnungen freue. Aber ich erwische mich trotzdem manchmal dabei, wie ich es einfach nur so unglaublich unfair finde, dass manche Leute sich darauf verlassen können, dass ihre Eltern immer einspringen werden, wenn es finanziell mal eng werden sollte. Ich hingegen fühle mich dazu verdammt, für den Rest meines Lebens von Scheißwohnung zu Scheißwohnung zu ziehen.“
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Der Filmemacher Elliot Cox sieht das ähnlich. Er ist 31 und sagt, dass das Geld der Eltern auch die beruflichen Entscheidungen beeinflusst. Obwohl er selbst schon davon profitiert hat, dass die Eltern seiner Freund*innen Wohnungen hatten, in denen er günstig zur Miete leben konnte, fühlt er sich beruflich benachteiligt. „Leute, die sich keine Gedanken darüber machen müssen, wo ihr Geld herkommt, können sich immer um die Projekte kümmern, die ihnen am Herzen liegen. Hätte ich reiche Eltern, hätte auch ich die Freiheit, genau die Filme zu machen, die ich möchte.“ Die kreativen Berufe werden jedoch zu allem Überfluss auch noch schlecht bezahlt. Cox ist deshalb mittlerweile hochverschuldet. „Kreditkartenabrechnungen fühlen sich am dringendsten an. Ich stehe wegen meiner Schulden konstant unter Stress.“
Wenn man mit seinem Privatleben zufrieden ist und einen Job hat, der einen ausfüllt, ist es egal, wie viel Geld Freunde zur Verfügung haben. Dieser Meinung ist der 35-jährige Schauspieler Alastair McDonnell. Trotzdem ärgert es ihn, wenn Leute, denen Immobilien gekauft wurden, sich über zu wenig Geld beklagen. „Als ich in New York war, habe ich ein Airbnb-Apartment gebucht. Eine Freundin von mir wollte umsonst mit darin wohnen. Die Wohnung war nicht besonders groß, und ich habe ihr vorgeschlagen, sich doch ein Hotelzimmer zu nehmen. Da hat sie geantwortet ‚Ich habe echt kein Geld, ich bezahle doch mein Haus ab.’“ Dieser Satz blieb Alastair im Ohr. „Du kaufst dir also ein riesiges Haus. Du hast schon echt einen Riesenvorteil im Leben, weil du dir das leisten kannst. Wer sich dazu entschließt, so eine Immobilie zu kaufen, hat nicht ‚echt kein Geld’. Und da willst du jetzt sparen, indem du umsonst in dem Airbnb wohnst, für das ich bezahlt habe? Wenn sie mir ernsthaft erzählen möchte, wie teuer es ist, so ein riesiges Haus zu kaufen, und dass sie deshalb jetzt kein Geld mehr für andere Sachen hat, kann sie mir echt gestohlen bleiben.“
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Auch in Liebesbeziehungen ist Geld seit jeher ein Reizthema. Manche Leute könnten sich zwar selbst nie eine Eigentumswohnung leisten, heiraten aber jemanden, dessen oder deren reiche Eltern mit Leichtigkeit Geld auslegen oder verschenken. Denen gegenüber fühlt sich der Schwiegersohn oder die Schwiegertochter dann seltsamer-, aber nicht unerwarteterweise in der Schuld. Ben ist 33 und lebt mit seinem Partner zusammen. Dessen Eltern haben den beiden Geld für eine Wohnung gegeben, in der sie gemeinsam wohnen sollen. Er sagt, dass dieser Umstand „eine riesige Lücke“ in die Beziehung bringt und immer wieder zu Streitigkeiten darüber führt, wo die beiden leben und welche Art von Immobilie sie kaufen sollen. „Mit einer Immobilie, die man von seinen Eltern finanziert bekommen hat, Geld zu verdienen, macht einen noch lange nicht zu einem erfolgreichen Menschen. Das schafft auch noch der letzte Idiot.“
Bei anderen führt das Thema so weit, dass sie sich regelrecht über die Entscheidungen ihrer Eltern ärgern, als könnten diese nicht mit ihrem eigenen Geld machen, was sie wollen. Eine 32-Jährige, die anonym bleiben möchte, sagt halb im Scherz: „Meine Mutter wohnt ganz allein in einem riesigen Anwesen. Nachdem alle Kinder aus dem Haus sind, ist die Immobilie viel zu groß für sie. Sie sollte sich nach etwas Kleinerem umsehen.“ Als einzige unter ihren Freunden hat sie von ihrer Familie keine finanzielle Stütze bekommen, um eine Hypothek aufzunehmen.
Das hört sich natürlich alles nach Jammern auf hohem Niveau an. Wer aus der Mittelschicht stammt und Geschwister hat, kann nicht erwarten, von irgendwem einfach so irgendeinen Geldbetrag geschenkt oder geliehen zu bekommen. Und die meisten von uns treten ihren Eltern auch sicher nicht mit diesem Anspruch entgegen. Nichtsdestotrotz ist es ein Thema, das die Beziehungen zu Freund*innen und Partner*innen beeinflusst. Les Back, ein Soziologe von der Goldsmiths-Universität in London sagt, dass es, wie bei so vielen Privilegien, schwierig sein kann für diejenigen, die diese nicht genießen. Und diejenigen, die sie genießen, sollten sich ihres Privilegs wirklich sehr bewusst sein. „Doch gerade den Leuten, die wahnsinnig viele Vorteile gegenüber anderen haben, ist genau das sehr oft überhaupt nicht bewusst“, sagt er.
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