Wenn du einer der Hunderttausenden Fans bist, die sich Tickets für Taylor Swifts Eras-Tour gekauft haben – oder es noch vorhaben –, hast du für dieses Konzert vermutlich einen ordentlichen Anteil deines Monatsgehalts hingeblättert. Damit meine ich nicht nur die Tickets an sich, sondern zum Beispiel auch die Kosten für Unterkunft und Outfit. Klar ist das Konzert eine einmalige Erfahrung. Vielleicht fällt es dir aber trotzdem schwer, den enormen Preis dafür zu rechtfertigen. Unser Vorschlag: Versuch’s mit „Girl Math“ – „Mädchen-Mathe“.
Girl Math ist natürlich keine neue Erfindung, wurde aber vor Kurzem durch die neuseeländische Radio-Show Fletch, Vaughan & Hayley wieder bekannt gemacht, in der es seit Neuestem die Reihe „Girl Math“ gibt. In einem Beitrag hilft die Crew zum Beispiel einer Zuhörerin dabei, ihr 330 Dollar (umgerechnet etwa 305 Euro) teures Abendkleid zu rechtfertigen, während ein Wirtschaftswissenschaftler zuhört und am Ende seine Meinung dazu abgibt. „Sie will das Kleid dreimal tragen. Damit kostet es nicht 330 Dollar, sondern 110“, findet Hayley. Einer ihrer Co-Moderatoren ergänzt, dass sich das Kleid ja auch weiterverkaufen ließe. Wenn die Zuhörerin es für über 110 Dollar verkaufe, könne sie es damit einmal „umsonst“ tragen. Die Diskussion geht eine Weile so weiter, sodass der Wirtschaftswissenschaftler am Ende des Clips sogar zu dem Schluss kommt, dass das Kleid tatsächlich eine gute Anschaffung sei. Soll heißen: Die „Mädchen-Mathe“ hat in diesem Fall funktioniert.
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Die Idee zu dieser Radio-Sendung kam dem Team, als die Produzentin der Show, Carwen, überlegte, sich einen sehr teuren Haarschnitt zu gönnen. „Unsere Social-Media-Produzentin Shannon fing an, das mit ‚Girl Math‘ zu rechtfertigen“, erzählt Hayley gegenüber Refinery29. „Ich diskutierte irgendwann mit, und die Männer waren total baff davon, wie wir die Kosten für den Friseurtermin quasi auf null runtergerechnet bekamen. Da kam uns die Idee, dazu ein paar Beiträge in unserer Show zu machen.“
Vor „Girl Math“ nannte sich das Ganze natürlich einfach „Logik“. Im Kern steckt dahinter nämlich ein Gedankenprozess, auf den vor allem Menschen zurückgreifen, die sich als Frauen identifizieren (daher auch der Name). Wir wollen damit rechtfertigen, wie wir unser Geld ausgeben – indem wir zum Beispiel für teure Klamotten ausrechnen, wie wenig ein Stück letztlich kostet, wenn wir es mehrmals tragen, oder indem wir uns vorgaukeln, ausgegebenes Bargeld koste uns eigentlich gar nichts, weil es nicht direkt aus unserem Bankkonto kommt, und bar Bezahltes somit „gratis“ sei. Girl Math ist das Gefühl, dass du quasi Geld verdienst, wenn du einen Kauf zurückgibst, weil das Geld wieder auf dein Konto zurückfließt.
Obwohl es Girl Math demnach gefühlt schon immer gab, fragen wir uns durch ihre wachsende Beliebtheit doch: Wieso haben wir überhaupt das Bedürfnis, unsere Ausgaben so kritisch zu beleuchten? Laut Tori Dunlap, Gründerin von Her First 100k und Autorin von Financial Feminist, liegt es daran, dass uns traditionelle Finanzexpert:innen oft dazu raten, damit aufzuhören, Geld für „Unnötiges“ auszugeben. „Es heißt immer: ‚Hör auf, Geld für Cappuccinos, Maniküren oder Designertaschen auszugeben‘, aber nie für Fußball-Dauerkarten, Videospiele oder Golfschläger“, meint Dunlap. „Uns wird vermittelt, der Grund dafür, dass wir nicht reich sind, sei der, dass wir Geld ausgeben. Und dann wird uns eingeredet, wir sollten damit aufhören, Geld für typisch ‚Feminines‘ auszugeben. Man will uns klarmachen, diese Dinge seien unser Geld nicht wert und effektiv wertlos.“ Und genau deswegen haben wir das Gefühl, solche Käufe für uns selbst rechtfertigen zu müssen – und die Konsequenz davon ist Girl Math.
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„Das Girl-Math-Ding hält uns sehr deutlich vor Augen, zu welchen mentalen Verrenkungen uns unsere Ausgaben teilweise zwingen“, erklärt Dunlap weiter. „Wir werden für unsere Ausgaben verurteilt und fühlen uns andauernd dafür schuldig, wenn wir Geld für irgendetwas ausgeben.“
Das erinnert mich an meine letzte Maniküre, nach der auch ich mithilfe von Girl Math versuchte, diesen Preis zu rechtfertigen: Die Nägel selbst kosteten 60 Euro, und ich bezahlte sie mit meiner Kreditkarte. Das Trinkgeld – 20 Euro – bezahlte ich aber in bar. In meinem Kopf war das Trinkgeld – weil ich es mit Bargeld bezahlt hatte – damit quasi „gratis“, und weil mir die Nägel jetzt drei Wochen erhalten bleiben, zahle ich genau genommen nur 2,85 Euro pro Tag für schöne, gut gepflegte Nägel, und das hört sich deutlich sinnvoller an als eine einmalige Ausgabe von 80 Euro. Das klingt jetzt vielleicht falsch und sogar ein bisschen absurd, klar – aber wenn du weißt, wovon ich rede, verstehst du das sicher. Genau das ist Girl Math. Auch die Fashion-Redakteurin Frances Solá-Santiago rechtfertigte damit vor Kurzem einen extrem wichtigen 100-Euro-Kauf: sechs Flaschen Wein. „Normalerweise zahlst du für fünf gute Gläser Wein in einer Bar auch durchaus mal 100 Euro. Fünf Flaschen waren also umsonst!“, erklärt sie.
Natürlich beschränkt sich dieser Gedankenprozess nicht nur auf Menschen, die sich als Frauen identifizieren. Trotzdem nennt sich das Ganze „Girl Math“, weil erstens eben hauptsächlich Frauen darüber sprechen und zweitens oft spezifisch die Käufe von cis Frauen als sinn- und belanglos abgestempelt werden – genau wie das Abendkleid-Problem aus der Radio-Show oder meine grellrote Maniküre. Viele Frauen empfinden genau deswegen das Bedürfnis, ihre Ausgaben derart zu rechtfertigen, weil ihnen von unserer patriarchalen Gesellschaft eingeredet wird, sie sollten sich für ihren Umgang mit Geld schämen.
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Um unsere Käufe zu rechtfertigen, wenden wir uns deswegen oft aneinander. „Unsere finanziellen Entscheidungen beeinflussen unsere Werte, unsere Identität, unsere Überzeugungen“, meint die Finanzexpertin Paco de Leon, Autorin unserer „Taking Stock“-Kolumne. „Wir sind soziale Wesen. Wenn wir uns also unsicher fühlen wegen dessen, wofür wir unser Geld ausgeben, brauchen wir Bestätigung von anderen.“
Natürlich sind einige Aspekte von Girl Math offensichtlich unlogisch – wie zum Beispiel Dinge wie „Bargeld ist kein echtes Geld“ oder „Wenn ich schon Geld auf meiner Starbucks-Kundenkarte habe, ist der Kaffee gratis“. Von solchem Denken sollten wir uns deswegen definitiv lösen. Dein hart verdientes Geld ist echt und sollte dementsprechend behandelt werden – vor allem angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten. „Nichts ist jemals gratis. Es gibt immer einen Preis“, betont de Leon.
Obwohl wir damit zwar versuchen, uns von dem Druck zu lösen, der in unserer Gesellschaft auf uns lastet, ist Girl Math letztlich gar nicht so tiefgründig. Solange du dir Dinge kaufst, die du wirklich haben willst (und dir leisten kannst!), finde ich, dass Girl Math das Leben schon irgendwie versüßen kann. Zum Beispiel, wenn du dir deine Taylor-Swift-Konzertkarten schon so weit im Voraus kaufst, dass du zum Konzert das Gefühl hast, eigentlich gar kein Geld ausgegeben zu haben, weil das schon so lange her war. Also war das Konzert quasi gratis. Verstehst du? Das ist Girl Math.
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