Mindestens zweimal täglich ertappe ich mich dabei, wie ich in der U-Bahn auf den Kopf einer fremden Person starre und neidisch die Dichte und Dicke der Haare begutachte. Nachdem ich meine Verhütungsmethode gewechselt habe, leide ich unter Haarausfall. Das ist jetzt etwa fünf Jahre her und seitdem bin ich wie besessen von den Haaren anderer Menschen.
Haarausfall ist echt scheiße – besonders als junge Frau. Ja, es sind nur Haare. Es gibt gesundheitliche Probleme, die deutlich schlimmer sind. Manche sind extrem schmerzhaft oder sogar lebensbedrohlich. Trotzdem ist es sehr belastend, unter Haarausfall zu leiden, denn es ist eben nicht nur eine kosmetische Angelegenheit; es kann sich auch negativ auf die psychische Gesundheit auswirken.
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„Gesunde Haare können ein Zeichen für einen gesunden Körper sein“, erklärt Dr. Maryanne Senna, eine Dermatologin und Lehrerin an der Harvard Medical School, die sich auf Haarausfall spezialisiert hat. Aus evolutionärer Sicht werden dicke, üppige Haare traditionell mit Jugend, Fitness und Gesundheit gleichgesetzt, so Dr. Senna. Das heißt aber natürlich weder, dass du nicht trotzdem krank sein kannst, auch wenn du eine wunderschöne Mähne hast noch, dass du nicht vollkommen gesund sein kannst, obwohl du wenige oder dünne Haare hast. Doch besonders, wenn du ganz plötzlich oder über einen langen Zeitraum mit Haarausfall zu kämpfen hast, machst du dir sicher Sorgen, ob alles okay ist. Und vielleicht fühlt es sich sogar so an, als würdest du gleichzeitig einen Teil deiner Identität verlieren.
Je nachdem wie viele Haare du verlierst, kann es nicht nur überraschend, sondern richtiggehend schockierend, angsteinflößend oder traumatisch sein – vor allem wenn du nicht weißt, was dahintersteckt, so Dr. Senna. Wenn das Problem länger andauert, kann es außerdem sehr frustrierend sowie Nerven, Zeit und Geld raubend sein. Das Gefühl, keine Kontrolle darüber zu haben, sorgt bei vielen Patient*innen zusätzlich für Stress und Kummer.
Dazu kommt, dass Haarausfall im Vergleich zu anderen Krankheiten oder gesundheitlichen Problemen ein für alle sichtbares Symptom ist. „Die Betroffenen fühlen sich dadurch oft sehr verletzbar“, sagt Dr. Senna und erklärt weiter, dass Menschen mit Haarausfall auf Personen, die davon nicht betroffen sind, oft weniger selbstbewusst, attraktiv, begehrenswert und jugendlich wirken.
Außerdem wird Haarausfall von vielen nicht als echtes medizinisches Problem verstanden, weshalb sich viele erst gar keine Hilfe suchen. „Sie denken: ‚Es sind ja nur Haare. Das ist einfach nur eine kosmetische Angelegenheit.‘ Aber dem ist nicht zwingend so“, warnt Dr. Senna. Haarverlust kann zum Beispiel ein Zeichen für Schilddrüsenprobleme oder eine Autoimmunkrankheit sein. Deswegen solltest du es nicht auf die leichte Schulter nehmen, sondern lieber eine Ärztin oder einen Arzt konsultieren.
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Doch weil es ihnen unangenehm ist, überhaupt darüber zu sprechen, googeln viele nach möglichen Gründen und Lösungen für ihr Problem. Was sie finden, sind unzählige Shampoos und Nahrungsergänzungsmittel, die angeblich helfen sollen. Davon sind dann viele Betroffene überfordert und irgendwann wissen sie gar nicht mehr, was sie noch glauben und wie oder ob sie den Haarausfall behandeln sollen. Die Flut an teilweise irreführenden Informationen schürt am Ende oft mehr Ängste, als dass sie hilft.
Wenn du mit Haarverlust kämpfst, rate ich dir, eine*n Dermatolog*in aufzusuchen, der oder die sich darauf spezialisiert hat. Gemeinsam könnt ihr der Sache auf den Grund gehen und eine Behandlungsmethode finden, die zu dir passt. Besonders wenn du an kreisrundem Haarausfall leidest, kann es außerdem eine gute Idee sein, dir eine Selbsthilfegruppe zu suchen. Informationen dazu findest du beispielsweise auf der Website der Alopecia Areata Deutschland e.V.
Haarausfall ist und bleibt einfach scheiße. Aber du solltest wissen, dass du mit deinem Problem nicht allein dastehst und dass es dir nicht peinlich oder unangenehm sein muss, darüber zu reden.
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