Um endlich mit dem Rauchen aufzuhören, habe ich mir 2017 den 22. November, meinen Geburtstag, ausgesucht. Doch genau wie mit allen anderen Fristen, die ich mir zuvor gesetzt hatte, verlief auch diese im Sande und ich rauchte kurz darauf wieder mindestens eine Schachtel Benson & Hedges pro Woche. Als das Jahr sich dann aber dem Ende zuneigte, wurde ich immer verzweifelter. Würde ich für immer eine Raucherin bleiben? War ich einfach zu willensschwach und blöd zum Aufhören? Diese Gedanken machten mich so traurig, dass ich das tat, was ich immer tue, wenn ich traurig bin (oder glücklich, aufgeregt, ängstlich oder gelangweilt): Ich ging raus und rauchte eine.
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Zwei Tage später fand ich zufällig eine E-Mail in meinem Postfach. Darin stand: „Hypnosetherapeutin, Life Coach und Arbeitspsychologin Jivan Dempsey hat sich darauf spezialisiert, ihren Klient*innen zu einem gesünderen und glücklicheren Leben zu verhelfen. Egal ob Sie unter Stress oder Angstzustände leiden, Sie Versagensängste plagen, Probleme haben, einzuschlafen oder abzuschalten, Sie mit Depressionen, Phobien oder einem niedrigen Selbstwertgefühl zu kämpfen haben oder sie abnehmen oder mit dem Rauchen aufhören wollen, …“ Ich hörte auf zu lesen, die Frau hatte mich überzeugt. Ich rief an und machte einen Termin aus.
In der darauffolgenden Woche fand ich mich an der noblen Adresse ein, wo Jivans Büro lag und nahm in einem alten Ledersessel Platz. Kaum dass ich saß, zerstörte die Therapeutin ohne mit der Wimper zu zucken meine ersten Hoffnungen: „Hypnotherapie ist keine Sofortlösung. Ich werde jetzt nicht mit dem Finger schnipsen und sofort ist deine Nikotinsucht verschwunden. Du wirst arbeiten müssen und es kann ziemlich unangenehm für dich werden.“ Na toll. Dann begann sie, eine ewige Liste von Frage mit mir durchzugehen. Wann hatte ich angefangen zu rauchen und wieso? Die Antwort lag wohl auf der Hand: Ich war dumm gewesen und leicht beeinflussbar.
Meine Rauchergeschichte unterscheidet sich von den meisten anderen und ist gerade deshalb so unsagbar bescheuert. Bis in meine Zwanziger hatte ich Rauchen gehasst und meine Freund*innen immer wieder aufgefordert, aufzuhören. Dann kam das Rauchverbot in Kneipen und lustige Abende wurden immer wieder davon unterbrochen, dass eine Gruppe von Freund*innen rausging, um ein paar Zigaretten zu rauchen. Fand die Party jetzt draußen statt? Offensichtlich schon. Ich begann, manchmal mit den anderen raus zu gehen. Irgendwann gingen wir dazu über, einfach nicht mehr in Kneipen zu gehen, sondern draußen zu trinken, damit sie ungehindert rauchen konnten. Irgendwann begann ich, die Zigaretten, die mir ab und an angeboten wurden, einfach anzunehmen. Zwei Jahre später kaufte ich mir dann meine erste eigene Schachtel und fünf Jahre später war ich die Person, die alle anderen immer für Zigaretten anschnorrten. „Man könnte also sagen, dass das Rauchverbot dafür gesorgt hat, dass ich mit dem Rauchen angefangen habe“, sage ich und blicke Jivan an. Sie hat keinerlei Ausdruck im Gesicht. Diese Story nahm sie mir nicht ab.
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Einige ihrer Fragen sorgten dafür, dass ich mich fühlte, als müsse ich mich verteidigen. „Wie viele Zigaretten rauchst du täglich? Welche Marke? Wieviel gibst du dafür wöchentlich aus? Wann rauchst du deine erste Zigarette am Tag?“ Und dann kam die ultimative Frage: „Auf einer Skala von 1 bis 5, wie sehr möchtest du aufhören?“ Ich weiß, dass ich fünf hätte sagen sollte. Aber nachdem ich etwa eine halbe Minute so vor mich hin grübelte, presste ich irgendwann ein „vier“ heraus. Die meisten Nichtraucher*innen werden sich jetzt wahrscheinlich innerlich an den Kopf fassen: Wieso bist du denn dann da, wenn du gar nicht hundertprozentig aufgeben möchtest? Aber das ist es ja. Ich wollte wirklich aufhören. Ich konnte nur nicht im Brustton der Überzeugung fünf sagen und mich gleichzeitig innerlich fragen, ob ich immer noch dieselbe Person sein würde, nachdem ich aufgehört hätte zu rauchen. Wie würde ich Ausgehabende, Partys, Wochenenden, Geburtstage und Urlaube ohne Zigaretten genießen können?
Jivan erklärte, dass sie bei mir auf Aversionstherapie setzen würde: „Während deines Lebens als Raucherin hast du positive Assoziationen mit Zigaretten aufgebaut. Die wollen wir jetzt durch negative ersetzen.“ Gleichzeitig warnte sie mich, dass die Sessions von Mal zu Mal härter werden würden. Dann sollte ich mich entspannt hinsetzen und meine Augen schließen.
Die eigentliche Hypnosetherapie war dann gar nicht so skurril, wie ich gedacht hätte. Jivan redete mit einer ruhigen, sanften Stimme und sagte mir, dass ich schon 95 Prozent der Zeit Nichtraucherin sei. Jetzt müsse ich mir nur noch visualisieren, hundertprozentige Nichtraucherin zu werden. Ich könne trotzdem noch genauso viel Spaß mit meinen Freund*innen haben, wenn ich nicht rauche und dass ich nichts verpasse. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall. Mit dem Rauchen aufzuhören würde mich freier machen. Nach einer Weile wurde sie dann allmählich lauter und redete schneller. Sie sagte mir, ich solle meine Augen öffnen. Ich fühle mich noch ein bisschen benommen, als sie mir meine Hausaufgaben gab. Und die hatten es in sich: Wenn ich nach unserer Sitzung eine Zigarette rauchte, hätte ich drei Optionen: Erstens, für jede gerauchte Zigarette 20 Euro an gemeinnützige Zwecke spenden. Zweitens, die Asche der gerauchten Zigarette in ein Glas mit Wasser füllen und trinken. Oder drittens für jede Zigarette, die ich rauchte, noch zehn hinterher rauchen. Ganz schön extrem, dachte ich.
Ich werde nicht lange um den heißen Brei reden: Nach der Sitzung war ich sage und schreibe zwei Tage lang Nichtraucherin. Dann ging ich aus und rauchte in einer Nacht eine ganze Packung. Weder habe ich danach 400 Euro an eine wohltätige Einrichtung gezahlt, noch einen Liter Aschewasser getrunken oder 200 Zigaretten hinterher geraucht. Als ich zwei Wochen später wieder bei Jivan saß, versuchten wir eine andere Hypnotherapietechnik zur Visualisierung. Ich verließ ihr Büro mit frischem Mut, es diesmal hinzukriegen. Abends stand ich dann auf meinem Balkon und rauchte eine – und war selbst genervt von mir.
Es ist jetzt eine Weile her, dass ich meine letzte Sitzung hatte. Ich werde ehrlich sein, weil ich keine Lust habe, zu lügen. (Und Raucher*innen, so wie andere Süchtige, dazu neigen, vor sich selbst und vor anderen über ihren Konsum zu lügen.) Ich habe das gesamte Jahr 2018 geraucht. Dann bin ich im Januar 2019 aufgewacht und habe mich an meinen alten Plan erinnert, mit dem Rauchen aufzuhören. Ich habe mir eine Nichtraucher-App runtergeladen, alle meine 500 Feuerzeuge weggeschmissen und mir jeden Tag den Audio-Mitschnitt meiner ersten Session bei Jivan angehört. Es ist nun sieben Tage her, dass ich meine letzte Zigarette geraucht habe. Klar ist es noch zu früh, von einem Erfolg zu sprechen, aber so lange habe ich in den vergangenen sieben Jahren noch nie nicht geraucht. Ich habe das Gefühl, dass diesmal etwas anders ist. Diesmal will ich es wirklich. Ich will es so sehr wie ich mir wünsche, dass Michael B. Jordan sich in mich verliebt und dass Billy Ocean auf unserer Hochzeit singt. Würde mich Jivan jetzt noch einmal fragen, wie sehr ich aufhören möchte zu rauchen, würde ich mit voller Überzeugung sagen können: Auf einer Skala von eins bis fünf, definitiv fünf.
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