Hast du dich schon mal gefragt, was du einem Therapeuten oder einer Therapeutin erzählen würdest, wenn du die Chance bekämst? Wir haben Dr. Sheri Jacobson, eine pensionierte Psychotherapeutin mit über 17 Jahren Berufserfahrung und Gründerin der Therapie-Plattform HarleyTherapy.com, um ihren Rat zu unseren privaten Sorgen gebeten.
Frage:
Egal, wie sehr ich mich auch darum bemühe – ich kann mich einfach nicht für irgendein Hobby begeistern. Deswegen komme ich mir faul oder langweilig vor. Während alle anderen zu Beginn der Pandemie mit Backen, Häkeln oder Inlineskating anfingen, hing ich nur vorm Fernseher. Ich probiere ab und zu mal was Neues aus, mache dann aber im Feierabend meistens doch einfach gar nichts. Alles, worauf ich wirklich Lust habe, ist Chillen – oder ein Treffen mit Freund:innen im Pub.
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Warum kann ich nichts richtig durchziehen? Ich möchte auch fernab der Arbeit ein erfüllendes Leben haben. Ich wäre gern die Art Mensch, die eine andere Sprache spricht, ein Instrument spielt, viel liest oder vielleicht töpfert. Ich glaube, das würde mich glücklicher machen, weil ich dann mehr für mich selbst täte und eine vielseitigere Person wäre. Außerdem würde ich dann auch Leute außerhalb der Arbeit und Uni kennenlernen – wozu ich mich gern zwingen würde. Und dann hätte ich im Pub auch mal was anderes zu erzählen! Aber nichts, was ich bisher ausprobiert habe, interessiert mich so richtig. Woher kommt dieser Druck? Stimmt was nicht mit mir, weil ich einfach nichts davon durchziehen kann?
Meena, 26
Antwort:
Zuallererst mal: Es stimmt alles mit dir! Dass Hobbys nicht hängen bleiben, ist etwas ganz Normales, das in vielen Therapien zur Sprache kommt, weil es viele Leute bedrückt. Der Grund dafür, dass wir das als eine Art Versagen empfinden, sind die ganzen damit verbundenen „Ich sollte“-Aussagen. Wenn du zu dir sagst, „Ich wäre gern die Art Mensch, die dies und jenes tut“, machst du dir damit Druck und stellst hohe Erwartungen an dich selbst. Ist das zusätzlich mit einem „sollte“ oder „müsste“ verbunden, gestaltet dir das den Erfolg nur umso schwieriger. Dadurch entstehen noch mehr Druck und eine höhere Erwartungshaltung.
Diese hohen Erwartungen gehen meist Hand in Hand mit einer fehlenden Nachsicht für dich selbst, wenn du automatisch davon ausgehst, ein fallengelassenes Hobby sei ein Zeichen dafür, du seist „faul und langweilig“. Genau diese Art von Gedanken versuchen wir in der kognitiven Verhaltenstherapie anzugehen, wo wir oft daran arbeiten, unsere Stimmung zu verbessern, indem wir unsere Gedanken über uns selbst und andere ins Gleichgewicht bringen. Wenn wir uns ein selbstnachsichtigeres Mindset antrainieren und toleranter und realistischer mit uns selbst umgehen, setzen wir uns nicht so unter Druck oder geben jeden neuen Versuch direkt wieder auf. Ein Beispiel für dieses positivere Mindset: „Es fällt mir schwer, ein neues Hobby anzufangen, aber ich kann mein Bestes geben und rausfinden, wie es mir gefällt.“ Das ist eine ganz andere Herangehensweise als: „Ich sollte das jetzt machen, weil es alle tun, aber ich bin zu faul und finde es langweilig.“ Konzentriere dich darauf, diese automatischen Gedanken sanfter umzuformulieren. Das ist entscheidend dafür, Aktivitäten und Hobbys beizubehalten.
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Dabei sollten wir auch mal überlegen, warum wir uns überhaupt zu Hobbys hingezogen fühlen. Vielleicht sehen wir, wie viel Freude sie manchen Menschen zu bringen scheinen und glauben, dass wir davon ebenfalls gern profitieren würden. Und es ist wahr: Hobbys können unserem Wohlbefinden oft eine wichtige neue Tiefe verleihen. Du kannst dich darin verlieren – ob nun beim Inlineskating, beim Stricken oder Bouldern –, vergisst völlig die Zeit, konzentrierst dich komplett darauf. Das ist ein gesunder Zeitvertreib, der zu einer besseren Stimmung und manchmal sogar besseren körperlichen Verfassung beitragen kann. In den vergangenen anderthalb Jahren haben wir mehr denn je mitbekommen, wie sich Leute neue Hobbys gesucht oder ihren bestehenden Hobbys mehr Zeit eingeräumt haben.
Der Glaube, du bräuchtest ein Hobby, um ein interessanter Mensch zu sein, ist aber problematisch. Er wird davon gelenkt, was wir glauben, sein zu müssen – beziehungsweise, wovon wir glauben, was andere von uns erwarten. Dabei können wir ja einen gesunden, positiven Lebensstil führen, ohne völlig perfekt zu sein. Und auch der Pub-Abend mit Freund:innen kann schließlich ein Hobby sein! Du brauchst keine perfekten Kuchen zu backen, jedes Jahr so-und-so-viele Marathons zu laufen oder eine neue Sprache zu sprechen. Manche Leute brauchen das, aber nicht alle. Dein Hobby sollte etwas sein, dass dich herausfordert – aber das kann genauso gut ein Gespräch mit einem Freund oder einer Freundin sein, da dich das intellektuell und emotional stimuliert. Solange du daran Freude hast und es dich auf gesunde Weise beschäftigt, reicht das.
Oft vergessen wir außerdem, dass der Spaß an einem Hobby nicht zwangsläufig sofort einsetzt. Schließlich ist es immer schwer, etwas Neues zu lernen! Fehler, Unfälle und Schwierigkeiten lassen sich dabei meist nicht vermeiden. Das gehört dazu. Wenn wir uns aber darauf einlassen, dass nicht immer alles glatt laufen wird, uns selbst die Mühe und Zeit dazu geben und unsere eigenen Grenzen respektieren, kann es zu der Freude führen, die wir uns wünschen. Ironischerweise kann uns davon nur die Überzeugung abhalten, dass wir es nicht schaffen, faul sind oder eben einfach nicht mit anderen Leuten mithalten können. Selbstnachsicht und -akzeptanz sind demnach entscheidend – und ebenso wichtig ist es, die eigenen Erwartungen zu reduzieren und sich einzugestehen, dass der Prozess schwierig sein kann. Ein neues Hobby erfordert Anstrengung, Geduld und die Fähigkeit, Herausforderungen und Niederlagen zu akzeptieren.
Wenn du etwas Neues ausprobieren möchtest, versuch außerdem, nicht zu schnell zu viel zu wollen. Bei einem neuen Hobby lohnt es sich, erstmal langsam anzufangen, um herauszufinden, ob es dich wirklich begeistern könnte, anstatt dich direkt mit dem Kopf voraus hineinzustürzen. Zusätzlich solltest du mögliche Ablenkungen dabei minimieren – liegt dein Handy währenddessen neben dir, werden sich deine Gedanken zwangsläufig zwischendurch auf die nächste Benachrichtigung stürzen, anstatt sich auf den Flow einzulassen, in den dich ein Hobby bringen kann (und sollte).
Letztlich gilt aber auch hier: Versuch’s einfach mal und experimentiere ein wenig herum, um zu sehen, worauf du wirklich Lust hast – ganz egal, was andere Leute davon halten. Obwohl Hobbys zu unserem Wohlbefinden beitragen, ist es ja nicht das Ziel, das uns dabei glücklich macht, sondern der Weg. Bis du soweit bist, kann es eine Weile dauern. Aber schließlich willst du ja auch etwas finden, das dich wirklich erfüllt – und nicht etwas, das nach außen hin toll aussieht.
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