Claudia Breidbach wurde mit nur einem Unterarm geboren. Für sie war das nie ein Grund sich zu verstecken oder sich einzuschränken. Sie wollte immer alles machen, was Menschen mit zwei Händen tun. Dank einer Prothese kann sie das mittlerweile auch.
Für mich war es immer ganz normal, dass ich nur eine Hand hatte. Ich bin ja so geboren und habe gelernt, alles mit einem Arm zu machen. Was mir komisch vorkam war, dass die Leute mich immer so angucken. Eine Zeitlang habe ich als Kind abends gebetet, dass der liebe Gott mir eine zweite Hand schenkt. Ich konnte nicht verstehen, warum ausgerechnet meine Lieferung nicht vollständig war, andere hatte ja auch zwei Arme und zwei Beine bei der Geburt. Ich habe extra nachts den Armstumpf auf die Bettdecke gelegt, aber ich bin immer wieder ohne Unterarm und Hand aufgewacht.
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Meine Eltern haben mir auf den Weg gegeben, dass ich alles machen kann, was ich will. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Ich habe von Anfang an gelernt, immer eine Lösung zu finden – dann musste ich eben die Schleife im Kindergarten mit einer Hand binden oder mit einer Hand Fahrradfahren.
Als ich in die Pubertät kam, wollte ich aber, dass man mein Handicap nicht sieht. Deswegen habe ich eine passive Prothese bekommen. Sie hatte keine Greiffunktion, aber ich hatte das Gefühl, dass man es weniger sieht, dass ich „anders“ bin. Natürlich merkte man es spätestens auf den zweiten Blick trotzdem, und die Leute guckten und tuschelten anschließend. „Die arme Frau hat ja nur einen Arm“ denken viele, wenn sie mich sehen. Das mag ich nicht besonders. Ich werde lieber direkt angesprochen, dann kann ich eine vernünftige Antwort geben und Dinge erklären.
Da ich alles mit einer Hand gemacht habe, hatte ich immer starke Schmerzen in der rechten Schulter und im Handgelenk. Jahrelang konnte ich nachts deswegen kaum schlafen. Glücklicherweise hat die Technik sich weiterentwickelt. Seit 2011 habe ich eine bewegliche Handprothese, mit der ich praktisch alles so machen kann wie mit einer echten Hand. Sie ist mittlerweile ein Teil von mir. Sie hat mein Leben verändert: Als ich sie das erste Mal gesehen habe, habe ich geweint. Ich bin stolz auf sie, ich zeige sie gern, verstecke sie nicht. Sie ist auch recht auffällig mit ihren Totenkopf-, Engels- und Blumenmotiven.
Meine myoelektische Prothese ist großartig, sie funktioniert mit Muskelimpulsen. Ich musste erst lernen, sie zu benutzen, aber ich kann heute sogar eine Banane öffnen ohne meinen Mund zu Hilfe zu nehmen oder mir mit dem Messer die letzte Erbse vom Teller auf die Gabel schieben. Das klingt banal, aber es macht mich sehr glücklich. Früher habe ich gesagt, dass ich das Greifen mit links nicht vermisse, heute sage ich, dass ich es nicht mehr missen möchte.
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Eigentlich bin ich Architektin, aber mittlerweile arbeite ich als Training Managerin für die Firma Touch Bionics, die meine Prothese herstellt. Ich bringe anderen bei, eine myoelektische Prothese zu verwenden. Ich musste mein ganzes Leben lang immer etwas mehr Gas geben, mehr beweisen als andere und mehr kämpfen. Mit der Krankenkasse, die meine Prothese nicht bezahlen wollte, den Arbeitgebern, die mich nicht einstellen wollten und den Männern, die mich wegen meiner Behinderung nur als Freundin sahen aber nicht als vollwertige Frau. Ich möchte anderen zeigen, dass es sich lohnt zu kämpfen, dass ich Dinge genauso kann wie andere, ihnen ein Stück von meinem Glück abgeben.
Ich möchte mir nicht von außen zeigen lassen, wo meine Grenzen sind. Ich hatte immer einen Traum – ich wollte Fallschirmspringerin werden. Nachdem ich 2008 einen Tandemsprung gemacht hatte, sagte der Betreiber des Sprungplatzes zu mir: „Claudi, dafür brauchst du zwei Hände!“ Ich antwortete nur. „Du vielleicht, aber ich nicht. Ich möchte eine Chance“. Ich wollte kein „Nein“ akzeptieren. Ich habe mir dann einen Ausbilder gesucht, der bereit war, es mit mir und einer speziellen Sprungprothese, die mein Techniker entworfen hat, zu versuchen. Im Mai 2009 habe ich meinen ersten richtigen Sprung alleine gemacht. Im darauffolgenden Sommer habe ich dann meine Lizenz bekommen, letztes Wochenende habe ich meinen 700. Sprung gemacht.
Mittlerweile habe ich ein Formationsteam, es heißt „Karma“, wir nehmen an offiziellen Meisterschaften teil, in der ganz normalen Klasse – auch mit sieben Händen. Wir werden wie alle anderen Teams behandelt. Wir reden nicht nur über Inklusion, wir leben sie. Wir wollen zeigen, was möglich ist, wenn man daran glaubt. Ich bin sehr stolz darauf, was wir tun und darauf, was ich geschafft habe.
Heute fühle ich mich ganz, ich habe zwei Hände, die ich benutzen kann, ich habe keine Schmerzen mehr und gehe aufrecht durchs Leben. Obwohl der liebe Gott mir die zweite Hand, für die ich als Kind gebetet habe, damals nicht geschickt hat, habe ich sie mit einer Verzögerung nun doch noch bekommen.
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