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Ich werde meiner Mutter immer ähnlicher. Ist das schlimm?

Foto: Kampus Production.
Solange ich mich erinnern kann, wurde meiner Mum und mir schon gesagt, wie ähnlich wir uns doch sähen – vom harmlosen „Wow, ihr seid eindeutig verwandt!“ bis hin zum leicht deprimierenden „Seid ihr Schwestern?“.
Durch Corona hat sich das aber ein bisschen geändert. Nach einer zweijährigen lockdownbedingten Pause, während der wir viele Familienfreund:innen gar nicht treffen konnten, richten sich die meisten Kommentare eher an mich als an sie, und der Ton klingt jetzt anders. „Mein Gott, du wirst immer mehr zu deiner Mutter!“
Ja, ganz recht, ich bin ein bisschen älter geworden – und das ist total okay. Natürlich lassen mich mehr Falten im Gesicht und die aufregende Premiere meiner ersten grauen Haare meiner 58-jährigen Mutter ähnlicher sehen, der ich ohnehin schon immer geähnelt habe. Ich fühle mich gleichzeitig aber heute auch mehr denn je wie ich selbst.
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Dabei liegen diese Leute natürlich richtig: Ich sehe meiner Mum wirklich sehr ähnlich. Manchmal erschreckt mich das selber. Letztens lief ich an einer Bushaltestelle vorbei und sah aus dem Augenwinkel meine Spiegelung im Glas. Ich blieb erschrocken stehen, weil ich zuerst dachte, meine Mutter würde mir da entgegenstarren. Wir sind ungefähr gleich groß, haben die gleiche schulterlange, mausbraune Frisur, die gleiche Nase, die gleichen schmalen Lippen, blaugrünen Augen, durchschnittliche Figur.
Ich stehe kurz vor meinem 30. Geburtstag – und meine TikTok-Hauptseite erinnert mich dauernd daran, dass das scheinbar „uralt“ bedeutet. Der Algorithmus hat kapiert, dass ich 29 Jahre alt bin und tischt mir dauernd Posts wie diesen und diesen auf. In einer Welt, die mich direkt als „nicht mehr jung“ abstempelt – „Du siehst aus wie 30“ ist auf TikTok eine echte Beleidigung –, ist das Altern plötzlich dramatischer denn je. Meine Mutter und ich machen demnach gerade vieles gleichzeitig durch und vergleichen unsere Erfahrungen miteinander. Wir denken zum Beispiel über dieselben nicht-chirurgischen Beauty-Eingriffe nach, tauschen Skincare-Tipps und Produkte aus. Wir entdeckten zeitgleich unsere Liebe für Gua Sha und haben zusammen dabei zusehen können, wie dadurch unsere Kieferpartien zum Vorschein kamen. Letztens machten wir uns gemeinsam fertig, um ins Restaurant zu gehen, und standen dicht gedrängt nebeneinander vorm Spiegel. Mein Blick huschte dabei von ihrem Gesicht zu meinem. Es kam mir so vor, als würde ich in einen Zerrspiegel gucken, der mir die Zukunft zeigte. Ich finde meine Mum wunderschön, aber darum geht es mir nicht; es ist irgendwie beruhigend zu wissen, dass ich dieser Frau immer ähnlicher werde.
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Dabei geht es mir aber nicht nur um die Optik. Meine Mum und ich sehen uns nicht nur ähnlich, wir sind einander ähnlich. Wir haben dieselben positiven Eigenschaften – unser Moralgefühl, unsere Loyalität, unseren Sinn für Humor. Gleichzeitig brauchen wir aber auch beide gleich viel Lob, haben Schlafprobleme und sind ungeduldig. Natürlich haben wir auch oberflächlichere Unterschiede. Sie mag Paranüsse und Cassis; ich finde beides eklig. Sie ist total unmusikalisch und liebt Yoga, ich bin Sängerin und komme nicht bis runter an meine Zehen (was ich ziemlich traurig finde).
Unsere Ähnlichkeiten überwiegen aber, und das ist manchmal fast schon gruselig. Dann und wann verspüren wir gleichzeitig den Impuls, einander anzurufen, und hören dann beide ein „Besetzt“-Zeichen. Oder wir erfahren, dass wir jemandem genau denselben Ratschlag gegeben haben. Letztens haben wir, ohne es zu wissen, den gleichen Pullover gekauft und ihn am selben Tag getragen.
All das liegt vermutlich daran, dass ich sie so sehr schätze. Ich bewundere meine Mum schon länger, als ich weiß, was Bewunderung überhaupt ist, und während meiner 20er versuchte ich unbewusst, dem Rhythmus ihres organisierten, erfolgreichen Erwachsenenlebens nachzueifern – in meinem eigenen, chaotischeren Leben. Für mich ist es genauso beruhigend, in die Fußstapfen eines Elternteils zu treten, wie einen Film anzuschauen, den du schon kennst (eine typische Beruhigungstechnik für unruhige Menschen wie ich): Du weißt schon, wie das Ganze ausgeht, und kannst dich darauf einstellen.
Mit dieser Erfahrung bin ich aber ziemlich allein, wie es scheint. Wenn du mal „Ich werde wie meine Mutter“ googelst, stolperst du über zahlreiche Artikel, die dir sagen wollen, wie du genau das vermeidest. Ich bin dankbar und privilegiert, weil ich eine verlässliche Mutterfigur in meinem Leben habe, deren Eigenschaften ich wertschätze. Wenn du mal drüber nachdenkst, sind die ganzen negativen Assoziationen, die mit dem Spruch „Du wirst deiner Mutter immer ähnlicher“ verbunden sind, tief in Frauenfeindlichkeit und Altersdiskriminierung verwurzelt – eine Kritik des Mutterseins an sich. Lasst uns doch bitte einfach in Ruhe altern und unperfekt unseren genauso unperfekten älteren Verwandten immer ähnlicher werden. Es ist ja nicht so, als ließe sich das verhindern, ganz egal, ob wir nun aktiv versuchen, ihnen alles gleichzutun oder nicht.
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Schließlich sind schon junge Kinder grandios darin, alles immer nachzumachen – das ist wissenschaftlich begründet –, und genau da beginnt dieser lebenslange Weg des elterlichen Nachahmens. In einer Studie im Jahr 2013 fand Dr. Julian De Silva bei einer Befragung von 2.000 Teilnehmer:innen heraus, dass die meisten von uns etwa im Alter von 33 bemerken, dass wir unseren Müttern sehr ähnlich geworden sind. Die größten „Auslöser“ für diese Erkenntnis sind meist die eigene Familiengründung, Lifestyle-Veränderungen oder ein ähnlicheres Aussehen zu unseren Eltern.
Gleichzeitig spielt dabei auch die DNA eine große Rolle. Die Neurowissenschaftlerin Dr. Stephanie Cacioppo hat sich das genauer angesehen. „Je stärker sich eine Frau mit ihrer Mutter identifiziert (oder sich selbst in ihrer Mutter wiederkennt), desto mehr kommt es zu einem solchen [Nachahmungs- und Ähnlichkeits-]Prozess“, sagte sie 2015
In anderen Worten: Vielleicht liegt es daran, dass wir einander so nah stehen – sowohl in Sachen optischer Ähnlichkeit als auch beim Pullover-Geschmack –, dass ich dazu veranlagt bin, meiner Mum immer ähnlicher zu werden. Während ich aber dem reifen Alter von 30 näher komme, feiere ich immer häufiger die Unterschiede zwischen uns beiden und lerne zu schätzen, was mich einzigartig macht. Meine komplette Unfähigkeit zum Yoga ist kein großes Ding – ich bin ja stattdessen eine gute Sängerin. Also, Mum: Ich liebe alles an dir, und alles, das mich dir ähneln lässt… und freue mich trotzdem über jeden tollen Makel, der nur mir selbst gehört.
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