Sie haben mehr Abonnenten als manche Staatsoberhäupter und schließen Werbedeals ab, als wären sie Fußballstars – Instagrammer, YouTuber und Blogger sind die Idole der Internet-Generation. Auf Plattformen von Facebook bis Snapchat laden die Influencer ins digitale Wohnzimmer ein. Als Gastgeschenk bekommen sie dafür die Aufmerksamkeit und das Vertrauen ihrer Fans.
Aber das Leben als Internet-Persönlichkeit ist kein Zuckerschlecken. Immer wieder kriegen Influencer auch zu spüren, wie schnell es vorbei sein kann mit Likes und Herzchen. Als Instagrammerin Donna Adrienne sich von Bifi-Würsten umringt in der Badewanne ablichtete, lachte die Netzgemeinde tagelang über die missglückte Produktplatzierung. YouTuberin Elle Darby wurde als Schmarotzerin beschimpft, nachdem sie versucht hatte, über ihren Influencer-Status einen Gratis-Hotelaufenthalt für sich und ihren Freund zu organisieren. Viel Zuspruch erhielt dagegen der Facebook-Post eines Vaters, der mit oberflächlichen „Blender-Mamas auf Instagram“ abrechnete.
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Wir sind misstrauisch geworden, was Internet-Persönlichkeiten angeht. Das belegt auch eine Studie der PR-Agentur Splendid Communications. 43 Prozent der Teilnehmer glaubten, Influencer seien oft unauthentisch. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, wegen übermäßiger oder unangemessener Werbung bereits Influencern entfolgt zu sein.
Aber warum erwarten wir eigentlich immer und überall Authentizität von unseren Internet-Stars? Ich habe diese Frage Björn Krass gestellt. Der Lehrtaufbeauftragte für Medienethik und -ökonomie ist nicht überrascht von der Erwartungshaltung der Fans.
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Wir mögen es nicht, wenn Menschen uns was vormachen.
Björn Krass, Medienethiker & -ökonom
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„Das Zauberwort heißt Nähe“, glaubt Krass. „Wenn ich ins Kino gehe und mir den neuesten Hollywood-Blockbuster ansehe, dann weiß ich, dass die Leute auf der Leinwand mir was vorspielen. In dem Fall zahle ich sogar dafür. Instagrammer, YouTuber und andere Influencer werden aber dadurch interessant, dass sie mich an ihrem echten Leben teilhaben lassen. Dadurch, dass ein Influencer etwas präsentiert, was augenscheinlich nah an ihm selbst dran ist, baut er eine Nähe zum Zuschauer auf. Als Follower wird mir suggeriert: Ich bin hautnah dabei; ich kann ein Stück weit durch diesen Influencer leben. Auch hier bezahle ich – mit Klicks, mit Likes, mit Abos. Wenn eine solche Nähe sich nun als Täuschung herausstellt, dann sind wir davon natürlich nicht angetan. Wir mögen es nicht, wenn Menschen uns was vormachen. Da funktioniert die virtuelle Welt nicht anders als die analoge.“
Die Psychologin Dr. Maike Herbort stimmt zu. „Wenn ein Influencer dabei entdeckt wird, sich Lifestyle, Attitude und Co. erkauft oder auferlegt zu haben, weil er sich etwas davon verspricht oder von anderen gesteuert wird, dann fühle ich mich als Follower betrogen“, meint Dr. Herbort. „Was ich liebte oder glaubte zu lieben, gab es so gar nicht.“
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Wir Menschen neigen eben zum Mitschwimmen. Das spart Energie.
Dr. Maike Herbort, Psychologin
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Die Erkenntnis, dass ihr Star ihnen etwas vorgemacht hat, trifft die größten Fans oft besonders hart. Hier kann Bewunderung schnell in Verachtung umschlagen – eine Reaktion, die für Dr. Herbort auch nicht verwunderlich ist. „Je stärker mein Engagement für den Influencer war, desto größer wird nun auch der Drang zur Fremd-Entwertung“, erklärt sie. „Das dient in diesem Moment schlicht zur Aufrechterhaltung meiner eigenen Würde.“
Werden derart verprellte Hardcore-Fans dann auch noch zu Wortführern in der Netzgemeinde, ist der Shitstorm praktisch vorprogrammiert. Je mehr Stimmen sich gegen einen Influencer aussprechen, desto verlockender wird es, in den Chor der Schmährufe einzustimmen. „Sich gegen eine Meinung oder eine Bewegung aufzulehnen, braucht immer mehr Energie, als mit dem Strom zu schwimmen“, erläutert Dr. Herbort. „Und wir Menschen neigen eben zum Mitschwimmen. Das spart Energie. Selbst wenn die Meinung der Gruppe unseren bisherigen Glaubenssätzen widerspricht, so treibt uns doch der pure Überlebenstrieb dazu, uns der Mehrheit anzuschließen. Dadurch fühlen wir selbst uns stärker.“
So wird aus den betrogenen Followern letztlich doch wieder in eine große harmonische Gruppe – nur eben auf der anderen Seite des Wassers. Am anderen Ufer: Die einst geliebte Internet-Persönlichkeit, die die Welt nicht mehr versteht.
Was kann ein Influencer aber tun, um sich die Gunst seiner Fans zu bewahren? Wie weit muss er gehen? Die Einladung ins hübsch aufgeräumte virtuelle Wohnzimmer scheint nicht mehr zu genügen. Muss sie vielleicht ausgeweitet werden auf Schlaf- und Badezimmer und alle anderen Lebensbereiche? Viele Internet-Persönlichkeiten glauben dies offenbar – sie zeigen sich ihren Followern auch mal verschlafen oder ungeschminkt; sie sprechen offen über persönliche Rückschläge oder gesundheitliche Probleme.
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Das kann beim Publikum durchaus gut ankommen, glaubt Dr. Herbort. „Ein Idol steht immer ein Stück über seinem Publikum“, erklärt sie. „Wenn ein Influencer nun seine eigenen Probleme und Niederlagen publik macht, verringert er diesen Abstand. Indem er sich selbst ein Stück weit 'abwertet', kommt er also seinem Publikum näher. Gleichzeitig signalisiert er Fans, die vielleicht dieselben Probleme haben: Du bist nicht allein.“
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Wir wollen unseren Stars und Vorbildern nah sein, aber nicht zu nah.
Björn Krass, Medienethiker & -ökonom
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Diese Praxis der absoluten Offenheit kann allerdings auch nach hinten losgehen, warnt Dr. Herbort: Wird ein Influencer in der Öffentlichkeit kontrovers wahrgenommen, ist jede preisgegebene Schwäche auch ein potentieller Angriffspunkt für Kritiker. Mit negativem Feedback auf persönliche Enthüllungen umzugehen, will gelernt sein.
„Das ist ein ganz schmaler Grad, auf dem man sich da bewegt“, meint auch Bjoern Krass. „Wir wollen unseren Stars und Vorbildern natürlich nah sein. Wir wollen, bildlich gesprochen, vielleicht sogar mal mit ihnen auf dem Bett sitzen und kuscheln. Was wir auf keinen Fall wollen, ist nackt mit ihnen unter derselben Decke liegen – das ist dann zu nah, zu krass, zu intim. Wer sich vor seinen Fans komplett nackt macht, zerstört das Bild, das sie sich selbst zurechtgelegt haben. Da den Sweet Spot zu finden ist eine riesige Herausforderung.“
Das größte Problem für Influencer und solche, die es gern wären, sind also wir – das Publikum. Wir verlieben uns schnell und gern in schillernde Vorbilder, hegen aber genauso schnell Misstrauen gegen sie. Wir fordern die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, erwarten aber gleichzeitig eine angenehme Ablenkung von unserem eigenen Alltag und Problemen.
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Bei derart widersprüchlichen Erwartungshaltungen ist es nicht verwunderlich, dass selbst den sorgsamsten Internet-Persönlichkeiten mal ein Fehltritt widerfährt. Als Trost bleibt ihnen die Gewissheit, dass auch der schlimmste Shitstorm früher oder später vorüber zieht – spätestens, wenn der nächste Influencer eine fragwürdige Werbepartnerschaft eingeht.
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