„Ich kacke normalerweise nicht, wenn mein Partner in der Wohnung ist“, sagt eine meiner Kolleginnen nachdenklich. „Ich warte normalerweise, bis er das Haus verlässt – zum Einkaufen oder so.“
„Ich mach’s, kurz bevor ich unter die Dusche hüpfe“, erzählt eine andere. „Während das Wasser schon läuft, natürlich.“
Wir sitzen in unserem wöchentlichen R29-Redaktionsmeeting und unterhalten uns übers Kacken. Genauer gesagt: Wir unterhalten uns darüber, wie wir vor unseren Partner:innen zu verheimlichen versuchen, dass wir kacken. Wir sprechen darüber, wie sich das Geräusch mit Klopapier kaschieren lässt, wie der Geruch am schnellsten verfliegt, wie sich ein verstopftes Klo entstopfen lässt. Aber wie man mit dem:der Partner:in übers Kacken reden soll, erwähnen wir dabei kaum.
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Wie ist das in deiner Beziehung? In meinem Fall sieht das so aus: Nach elf Jahren Beziehung – inklusive diverser Magen-Darm-Erkrankungen, zweifelhafter Klo-Erfahrungen auf Reisen und einer Laktoseintoleranz in einer geteilten, winzigen Londoner Wohnung – gehören unsere Darm-Aktivitäten für uns genauso zu den Tagesthemen wie die Frage: „Was wollen wir heute essen?“ Und obwohl wir während des großen Geschäfts zwar nicht zusammen im Badezimmer rumhängen, ist es für uns kein Tabuthema. Das scheint aber nicht in jeder Beziehung so zu sein.
Das ist ja auch okay; schließlich ist jede Beziehung anders, oder? Es gibt kein „Richtig“ oder „Falsch“, solange alle Beteiligten glücklich sind, offen miteinander kommunizieren und bla, bla, bla. Dann bringt mich eine Kollegin aber doch plötzlich zum Nachdenken. „Ich finde es einfach wichtig, ein bisschen Privatsphäre zu erhalten“, meint sie. „Wenn bei offener Tür gekackt wird, ist der Sex in einer Beziehung dem Tode geweiht, denke ich.“
Oh. Den Gedanken hatte ich nicht kommen sehen. Kann es sein, dass ich mein Sexleben verdammt habe, indem ich beim Kacken in meiner Beziehung eine (metaphorische) Tür offen gelassen habe? Haben die abendlichen Gespräche über Durchfall und Verstopfung die erotische, geheimnisvolle Faszination meiner Beziehung versaut? Nee, rede ich mir selbst gut zu. Unserem Sexleben geht’s gut! „Ja, noch“, gackert eine gruselige Stimme in meinem Hirn, die sich verdächtig wie der Geist von Samantha Jones anhört.
Obwohl eine Freundin beruhigend auf mich einredet und mir versichert, „jeden Tag“ mit ihrem Mann über ihren Stuhlgang zu reden und trotzdem noch „tollen Sex“ mit ihm zu haben, beschließe ich, mir eine professionelle Meinung einzuholen – von jemandem, die jede Menge Erfahrung darin hat, mit Paaren darüber zu reden, was das Sexleben belebt… oder eben abtötet: Mig Bennett arbeitet schon seit über 25 Jahren als Beziehungsberaterin.
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„Ich würde hier schon eher dazu raten, das ‚Mysterium‘ zu wahren“, antwortet Bennett auf meine Frage, ob es sich auf das Sexleben in einer Beziehung auswirken kann, wenn Partner:innen in Klo-Dingen zu offen miteinander umgehen. Wobei das auch vom Paar abhängt, betont sie. „Ich glaube, hier gibt es zwei Denkrichtungen: Manche Pärchen behaupten, sie fühlen sich einander viel näher, wenn sie das ganze Badezimmer-Zeug auch voreinander machen können. Andererseits gibt es Leute, die sagen: ‚Ich mag meine Privatsphäre‘, und die glauben, dadurch mehr Raum für Erotik zu haben, weil dir dabei eben noch das ‚Mysteriöse‘ erhalten bleibt.“ Wenn Paaren das Gefühl für diese Trennung verloren geht, meint Bennett, kann die Verbindung zwischen Sex und Intimität schwer einzuschätzen sein.
Die Paartherapeutin und Podcast-Moderatorin Esther Perel sieht das ähnlich. In ihrem Buch Was Liebe brauchtschreibt sie darüber, wie wir Alltägliches und Erotik in einer Beziehung miteinander vereinbaren, und empfiehlt: Während Paare zwar die wichtigen Aspekte ihres Lebens miteinander verbinden sollten, heißt „wichtig“ eben nicht „alle“. „Die eigene Intimsphäre ist eine private Zone“, schreibt sie. „Eine, die Toleranz und Respekt abverlangt. Das ist ein Raum – ein physischer, emotionaler, intellektueller Raum –, der nur mir selbst gehört. Man muss nicht alles teilen.“
Eines der Probleme dabei, das Alltägliche mit dem Erotischen zu vermischen, liegt darin, wie viele Rollen wir einem Partner bzw. einer Partnerin in einer monogamen Beziehung aufzwingen. „Wir haben diesen einen Menschen, dem wir alles aufdrücken“, meint auch Bennett und erklärt, dass wir von einem Partner bzw. einer Partnerin erwarten, uns zu trösten und uns ein Gefühl von Sicherheit zu schenken – gleichzeitig aber auch erotische Leidenschaft in uns auszulösen. „Das ist sehr viel für eine Person.“ Dieses Problem, mehrere Rollen in einer Beziehung spielen zu müssen, ist für Frauen besonders ausgeprägt; viele von ihnen spielen schließlich schon anderweitig zahlreiche Rollen, ob nun die der „Chefin“ bei der Arbeit oder die der „Schlichterin“ in der Familie. In der Beziehung wiederum schlüpfen sie in die Rolle des sexuellen Wesens, irgendwann vielleicht die einer Mutter – und schließlich ja auch noch in die Rolle von sich selbst. Und zu der gehört eben alles, von Menstruation über Schmerz bis hin zum Kacken.
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Genau deswegen ermutigt die Paarberaterin und psychosexuelle Therapeutin Charlotte Simpson ihre Klient:innen auch dazu, alle Facetten ihrer Persönlichkeit in einem Wesen zu vereinen, anstatt sie als getrennte Aspekte einer Person zu betrachten. „Ich sehe das oft, wenn zum Beispiel eine Frau ein Kind bekommen hat und plötzlich nicht mehr ‚nur‘ die Partnerin – oder sexuelle Partnerin – ist, sondern auch eine Mutter. Es kann sehr schwierig sein, diese Rollen miteinander zu verknüpfen.“ Insbesondere die damit verbundenen Körperfunktionen können das erschweren. „Dinge wie Kacken, Pinkeln, Menstruieren, Stillen… Es kann schwer sein, das mit dem Bild dieser nach Rosen duftenden Göttin zu vereinbaren, die quasi keine Verdauung hat – und wenn sie dann doch mal pupst, riecht das toll.“ Vor allem das Kacken ist oft mit jeder Menge Scham verbunden, sagt sie mitfühlend.
Wie unfair ist es also bitte, dass wir dieselbe Körperregion, die wir für diese schambehafteten Körperfunktionen nutzen, wie ein Pfau unseren Partner:innen präsentieren sollen, um Verlangen auszulösen? „Das findet alles da unten statt!“, beklagt sich auch Bennett. „In diesem Körperbereich kacken, menstruieren, urinieren wir, bringen ein Baby zur Welt. Es ist erstaunlich, dass in einer Beziehung überhaupt erotische Gefühle aufkommen, wenn wir das Ganze so betrachten!“
Simpson glaubt aber auch, dass es nicht zwangsläufig die richtige Taktik ist, unsere Körperfunktionen für uns zu behalten, um das Geheimnisvolle in einer Beziehung zu bewahren. „Das klingt, als müssten wir eine Fassade aufrechterhalten. Ich glaube, es gibt auch andere Möglichkeiten, die Spannung in einer Beziehung zu retten.“ Dazu schlägt sie eine „gesunde Trennung“ der Unabhängigkeit beider Partner:innen vor; diese Autonomie sorgt dafür, dass beide noch Neues aneinander entdecken können. Ob Gespräche übers Kacken nun in diesen getrennten oder eher den gemeinsamen Bereich einer Beziehung fallen, ist dann ausschließlich Geschmacksfrage.
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Bennett sieht das größtenteils genauso. „Wenn ihr bei offener Tür kacken könnt und trotzdem ein schönes Sexleben habt, ist das super“, räumt sie ein. „Einige sexuelle Beziehungen leben von dieser grenzenlosen Nähe.“ Andere wiederum brauchen zur Erotik ein bisschen mehr Geheimnis und Mysterium; das hängt ganz von euch beiden ab.
Solange ihr mit eurem Sexleben zufrieden seid und nicht das Gefühl habt, eure Körperfunktionen hinter einem Lügenkonstrukt zu verstecken (es macht einen großen Unterschied, ob ihr euch darauf geeinigt habt, das Thema Kacken nicht zu besprechen, oder ob ihr verzweifelt wartet, dass der:die andere das Haus verlässt – vor allem in Homeoffice-Zeiten wie diesen), ist alles in Ordnung. Wenn ihr aber gern etwas verändern würdet, ist das auch kein Ding der Unmöglichkeit. „Ein Paar kann selbst entscheiden, wie ihre Beziehung aussehen sollte“, sagt Bennett. „Ich nenne das den ‚unausgesprochenen Vertrag‘: ‚Ich mache jetzt das, das ist dann meine Rolle. Du machst das. Und das ist unsere Dynamik.‘“ Wichtig dabei ist aber, dass ihr beide ganz ehrlich miteinander umgeht – es geht hier darum, euch auf einen „Vertrag“ zu einigen, der für euch beide funktioniert.
Werde ich also die Kacke-Gespräche aus unserer Beziehung streichen? Naja, ich habe darüber nachgedacht – aber als mein Partner gestern Abend nach Hause kam, haben wir eine ganze Stunde lang wie Kinder darüber gekichert, was ihn erwarten würde, weil er versehentlich Käse gegessen hatte. Und zu Zeiten wie diesen, wo alles etwas trister aussieht, genieße ich jedes Lachen, das ich kriegen kann.
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