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Der gravierende Fehler, der mich meine Karriere gekostet hat

Wenn ich mich selbst gerade besonders wenig mag, spiele ich manchmal ein Spiel: Ich scrolle durch meinen Email-Account und lese Mails, die ich in meinen Zwanzigern an verschiedene Chefs geschickt habe. Eine Auswahl:
Ich brauche Hilfe! Das hier ist ein Foto von Mr. Shakespeare, dem Match.com-Typen, mit dem ich gerade schreibe. Er hat kein Profilbild und das war mir erst egal...aber gerade hat er mir das Bild hier geschickt. Er sieht so selbstgefällig aus. Richtig eklig, oder?
Ich habe gerade mit einer Hellseherin telefoniert und sie gefragt, ob sie eine Idee für ein Buch hat!
Welches Sternzeichen bist du? Ich habe gerade das Horoskop für Zwillinge gelesen, das nächste Jahr soll richtig gut werden!
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Und dann war da noch die Art, wie ich mich Tag für Tag bei der Arbeit präsentierte. An meinem Arbeitsplatz türmte sich immer verschiedenster Müll. Irgendwann lagen beinahe 20 Paar Schuhe unter meinem Schreibtisch. Ich kam ständig zu spät. Zu einem meiner Lieblings-Büro-Outfits gehörte ein Rock, den ich selbst zugeschnitten hatte, mitsamt schiefem, zerfranstem Spitzensaum. Ich weinte oft an meinem Schreibtisch, meist aus nichtigen Gründen: Wenn mir zum Beispiel eine bestimmte Geschichte nicht zugeteilt wurde, wenn mir der Typ, mit dem ich mich gerade traf eine verwirrende Nachricht schickte oder wenn ich von Vorgesetzten getadelt wurde.
Aber die Sache ist die: In gewisser Weise wurde mein unprofessionelles Verhalten sogar unterstützt. Ich wurde nie gefeuert. In acht Jahren wurde ich nur zweimal von Vorgesetzten beiseite genommen. In der Kreativbranche gehören kleinere Macken oft dazu. Unsere Chefin machte mit uns blau, um Mittags Burger essen zu gehen; bei wöchentlichen Redaktionssitzungen wurden peinlich Sexgeschichten diskutiert; Vorgesetzte wurden zu Parties eingeladen, die die jüngeren Kolleg*innen auf ihren Hausdächern in Brooklyn schmissen. Ich provozierte in Besprechungen gerne. Es gefiel mir die Person zu sein, die dafür bekannt war, dass sie bereit war, über alles zu schreiben...auch darüber, einen Kurs zu tantrischem Sex zu besuchen oder eine Affäre mit einem 60-jährigen Mann zu haben. Ich wünschte, ich hätte damals gewusst, dass man diese Art von Aufmerksamkeit nicht dauerhaft am Leben erhalten kann...und dass ich auf lange Sicht keinen Vorteil davon haben würde.
Nach acht Jahren in meinem Job wurde ich gekündigt. Es lag eher an Umstrukturierungen als an meinem Verhalten, aber die nächsten zwei Jahre, in denen ich freiberuflich arbeitete waren eine willkommene Pause von meiner Büro-Persona. Als ich endlich wieder einen Vollzeitjob bekam wusste ich, dass ich eine neue Einstellung zu meinem Arbeitsplatz brauchte.
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Erstens hatten sich meine persönlichen Umstände stark verändert. Ich war in der 16. Woche schwanger. Und obwohl ich auf Werkvertragsbasis arbeitete wollte ich meine Schwangerschaft so lange wie möglich geheim halten. Ich wollte, dass meine Kolleg*innen meine Arbeit kannten, bevor sie über meinen Status als zukünftige Mutter Bescheid wussten. Also sprach ich nur wenig über mein Privatleben. Ich sagte meinen Kolleg*innen natürlich trotzdem hallo und scherzte mit ihnen, wenn ich ihnen in der Kaffeeküche über den Weg lief, aber mein Privatleben klammerte ich in allen Gesprächen aus.
Weil mein Vertrag jederzeit gekündigt werden konnte, musste ich eine professionelle Persona entwickeln und zeigen, wie wertvoll ich für den Betrieb sein konnte. Ich begann, mir vor Besprechungen Notizen zu machen. Ich begrüßte meine Vorgesetzten, ohne eine Anekdote über die letzte Nacht nachzuschieben. Ich achtete darauf, dass mein Schreibtisch ordentlich war und außer einem Paar High Heels, das ich in meinem Aktenschrank versteckte, keine persönlichen Gegenstände herumlagen. Und ich achtete darauf, in Emails keine negativen Bemerkungen zu machen und Tratsch mit den Kolleg*innen, wenn ich mich überhaupt dazu hinreißen ließ, nur hinter verschlossenen Türen oder im Café um die Ecke auszutauschen.
Und dann passierte etwas Bemerkenswertes. Je länger ich im Büro die „professionelle Anna” spielte, desto mehr nahmen meine Kolleg*innen mich ernst, auf eine Art, die ich in meinen früheren Jobs nicht erlebt hatte. Es lag sicher zum Teil daran, dass ich älter war und einen höheren Rang inne hatte. Und zum Teil am etwas konservativeren Arbeitsumfeld. Aber ich glaube, dass es auch daran lag, dass ich mich zum ersten Mal bewusst bemüht hatte, mich professionell zu geben – was mich zu einer weiteren bitteren Wahrheit über mein früheres Büro-Verhalten bringt.
Ich war nicht ich selbst gewesen. In meinen Zwanzigern zweifelte ich so stark an meiner Arbeit und meinem Können, dass ich dachte, ich müsse meine Unzulänglichkeit mit Persönlichkeit wett machen. Die überdimensionierte Persona, die ich entwarf, war eine Performance, die dazu dienen sollte meine Unsicherheit zu verstecken. Die „Ausgeflippte” im Büro zu sein war besser als die „Unsichtbare” oder „Untalentierte”. Ich dachte also, ich müsste Defizite in meiner Arbeit mit einer aufgesetzten Persönlichkeit ausgleichen, was mir am Ende vermutlich mehr schadete als nützte.
Jetzt bin ich die Neue in einem neuen Job. Ohne den Druck, mich an eine befristete Stelle klammern zu müssen, habe ich jetzt endlich das Gefühl, dass ich mich ein bisschen entspannen kann. Ich erzähle meinen Kolleg*innen von meinen Wochenenden. Wir sind Facebook-Freund*innen. Aber ich bemühe mich, den Fokus auf meine Arbeit zu halten. Es ist schließlich ein Büro, keine Bühne, und das ausgeflippte Mädchen zu spielen nicht Teil meiner Jobbeschreibung.
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