Das Wichtigste zuerst: Ich bin ein Mensch, der sich nur allzu gerne rechtfertigt und entschuldigt. Sogar beruflich (vor allem beruflich) sind meine E-Mails und Nachrichten, von denen es jetzt so viele gibt, da wir alle wegen des Lockdowns zu Hause festsitzen, in einen entschuldigenden und zaghaften Ton gehüllt: „Tut mir leid, dass ich Sie störe“, „Ich liege wahrscheinlich falsch, aber...“, oder: „Ich weiß, dass Sie beschäftigt sind“.
Als Freiberuflerin muss ich bei der Arbeit ständig um Dinge bitten – von Aufträgen, über Termine mit Interviewpartner:innen, bis hin zu Geld, das mir geschuldet wird. Das bedeutet, dass in den vielen E-Mails, die ich täglich so verschicke, die meisten mindestens eine Form von Entschuldigung enthalten.
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Eines Donnerstags ärgerte ich mich besonders über mich selbst. Warum? Weil ich eine Reihe von Nachrichten verschickt hatte, in denen ich Leute darum bat, über den Start meines E-Magazins zu berichten, und jede einzelne davon mit „Kein Problem, wenn nicht!“ unterschrieben hatte.
Da ich Expertin darin bin, mich für alles zu entschuldigen, benutze ich diese Phrase als lockere Taktik, um meine Unsicherheit zu kaschieren und meine Befürchtungen zu überspielen, dass die Empfänger:innen möglicherweise kein Interesse haben könnten. Das ist mein persönlicher, präventiver Schutzmechanismus, damit sie mich zurückweisen können, ohne sich dabei schlecht zu fühlen, und ich ungezwungener rüberkommen kann.
Wütend auf mich selbst feuerte ich einen Tweet ab, in dem ich mich über meine eigenen E-Mails lustig machte. Ich tweetete: „Kein!! Problem!!! wenn!!!!!!!! nicht!!!!!!!!“
no!! worries!!! if!!!!!!!! not!!!!!!!!
— marianne eloise (@marianne_eloise) August 1, 2019
Es stellte sich heraus, dass ich ins Schwarze getroffen hatte – mein Tweet ging viral. Hunderte, dann Tausende von Menschen retweeteten meinen Beitrag. Noch während ich am nächsten Abend am Esstisch saß, piepste mein Telefon alle paar Sekunden. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals so viele Benachrichtigungen auf einmal bekommen zu haben.
Die meisten Antworten waren von Frauen, die mir sagten, dass mein Tweet den Nagel zu sehr auf den Kopf getroffen habe. Zwar fühlten sich einige Männer durch den Tweet angesprochen – aber 100 Prozent der Leute, die den tieferen Sinn nicht verstehen konnten, waren ebenfalls Männer. Einige Frauen nahmen den Tweet sogar als Zeichen dafür, dass es an der Zeit sei, umzudenken und diese Phrase nicht mehr zu verwenden. Das ist natürlich erfreulich; die „Selbstvertrauenslücke“ (also die typisch männliche Selbstüberschätzung und notorisch weibliche Selbstunterschätzung) am Arbeitsplatz ist ein echtes Problem. Außerdem gibt es viele sehr legitime Gründe dafür, warum wir uns weniger selbstbewusst fühlen. Zwischen uns und dem Erfolg steht nicht nur das eigene Selbstvertrauen, sondern auch institutionelle Barrieren.
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Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, mit meinem Kommentar die Büchse der Pandora zu öffnen. Der Tweet war ein selbstironischer Seitenhieb gegen mein eigenes armseliges Verhalten gewesen. Ich habe versucht, diese Phrase aus meinem Gedächtnis zu verbannen, als ich erkannte, dass mein Freund sich nicht entschuldigt, wenn er um Arbeit oder mehr Geld bittet. Er verkauft sich selbst, ohne Ausrufezeichen oder Entschuldigung oder ein „Vielleicht ist das dumm, aber...“. Doch als ich dasaß und zusah, wie mein Telefon zu explodieren schien, wurde mir klar, dass ich nicht die Einzige bin; von diesem Mangel an Selbstvertrauen und dem nicht ausreichenden Glauben in den eigenen Wert und die eigenen Ideen sind die meisten Frauen – besonders in der Arbeitswelt – betroffen.
Unter den Frauen, die mir Benachrichtigungen schickten, waren viele, die ich aus der Ferne bewundert hatte. Großartige Journalistinnen, Schauspielerinnen und Autorinnen, die ihren Wert durch ihre unglaubliche Arbeit unter Beweis gestellt hatten. Dennoch erkannten sie sich in meinem selbstverachtenden Tweet wieder. Die Erkenntnis, dass es ihnen auch so ging, war beruhigend, aber gleichzeitig auch besorgniserregend – wann hören die Selbstzweifel denn dann bitte auf?
Ich spreche mit Mikaela Jackson, der Gründerin von She Almighty, einer Plattform, die Karriere-Coaching für Frauen anbietet. Sie versichert mir, dass diese innere kritische Stimme nichts Ungewöhnliches ist: „So viele Frauen, die ich kenne und mit denen ich zusammenarbeite, haben kein Selbstvertrauen. Sie leiden unter Selbstzweifeln und einem Impostor-Syndrom, spielen ihre Stärken herunter, konzentrieren sich auf ihre Schwächen und sind in der Regel nicht gut darin, ihre Erfolge zu feiern“, erklärt sie mir. Da ich selbst etwas Coaching brauche, frage ich Mikaela, was mein übertriebener Gebrauch dieses Satzes über mich aussagt. „Er verrät mir sofort, dass es dir an Selbstvertrauen mangelt. Er dient auch als ein Schutzmechanismus gegen Ablehnung, der mit einer gewissen Tendenz, andere zufriedenstellen zu wollen, einhergeht“, sagt sie. Es ist nicht einfach, das zu hören, aber sie hat Recht. People-Pleasing – also der Drang, gefallen zu müssen und der Wunsch, andere stets zufriedenzustellen – beschreibt mich durch und durch.
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Adrienne Partridge, Führungs- und Karriere-Coach, teilt Mikaelas Meinung. Ihr zufolge müssen Frauen, die sich nicht den gesellschaftlichen Normen entsprechend verhalten und die Erwartungen an sie nicht erfüllen, oft Rückschläge erleiden. Der Ton meines Tweets sollte mildernd wirken und mich so vor Gegenreaktionen schützen.
Selbstvertrauens- und Karriere-Coach Jo Painter findet, dass es völlig in Ordnung ist, diese weiche Art von Sprache im Alltag zu verwenden. „Für Frauen besteht der Hauptzweck von Kommunikation darin, eine Verbindung herzustellen und eine Beziehung aufzubauen, daher ist ihr Kommunikationsstil sanfter als der von Männern“, sagt sie. Sie fügt aber hinzu, dass er allerdings nichts in einem beruflichen Umfeld verloren hat.
Eigentlich sollte ich mir meines beruflichen Wertes bewusst sein. Mein gesamtes Einkommen stammt jeden einzelnen Monat von Arbeiten, die ich geschrieben und meistens auch vermarktet habe. Mein E-Magazin, emo diary, das ich anfangs ohne großes Trara und unsicher veröffentlicht habe, spricht mittlerweile für sich selbst. Doch egal, wie sehr ich versuche, damit aufzuhören, diesen rechtfertigenden Ton zu gebrauchen, gelingt es mir nur mit aller Mühe. Wenn ich Geschäftskund:innen daran erinnere, dass sie mir 58 Euro weniger als üblich gezahlt haben, drücke ich es sehr zaghaft und mit einer stark abfederten Formulierung aus: „Vielleicht liege ich falsch, aber...“. Ich liege nicht falsch! Ich weiß, dass ich Recht habe! Ich weiß, dass ich einen Wert habe! Und dennoch...
Ich postete den Tweet, weil ich es leid war, mich ständig zu rechtfertigen. Deshalb zog ich Mikaela zu Rate und fragte sie, wie ich meinem People-Pleasing ein Ende setzen könne. „Finde heraus, warum du den Drang empfindest, gefallen zu müssen und in welchen Situationen er sich auf dein Leben auswirkt“, sagt sie. „Zuerst müssen wir die zugrunde liegende Ursache dafür ausfindig machen. Dann sind wir in der Lage, zu erkennen, wie sich dieses ungesunde Verhaltensmuster im Laufe unseres Lebens auf uns ausgewirkt hat. So wird es auch möglich, das Narrativ zu ändern.“
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Mikaela verrät mir, dass es nicht einfach ist, selbsteinschränkende Überzeugungen abzubauen. Es gäbe ihr zufolge aber Grund zur Hoffnung: „Hinterfrag deine Gedanken mithilfe von Beweisen, während du die Geschichte, in der sie eingebettet sind, änderst.“ Im Wesentlichen soll ich mir ihrer Meinung nach meines Wertes bewusst werden und meine Sprache dementsprechend ändern.
Laut Mikaela kann Sprache zu einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Mit der Phrase „kein Problem, wenn nicht“ bereitet man sich mental auf potenzielle Ablehnung vor. Die Expertin ist davon überzeugt, dass positivere Sätze wie „ich freue mich darauf, mit Ihnen zu arbeiten“ viel besser für mein Selbstwertgefühl wären und damit auch zu positiveren Ergebnissen führen würden. Adrienne stimmt Mikaela zu. Sie gibt drei Tipps an, die dir dabei helfen können, dein Selbstvertrauen zu stärken: „Lerne, Belastung auszuhalten, finde heraus, was deine emotionalen Trigger sind und setz und beharr auf Grenzen.“ Obwohl unser Selbstvertrauen zwar immer wieder durch Rückschläge und Zurückweisungen herausgefordert wird, hilft uns Selbstmitgefühl ihr zufolge aber dabei, wieder auf die Beine zu kommen.
Ich fand die Reaktionen auf meinen Tweet zunächst zwar irgendwie deprimierend, letzten Endes spendeten sie mir aber Trost. Sie erinnerten mich daran, dass ich in der Tat nicht der einzige Mensch bin, der sich nur allzu gerne rechtfertigt und entschuldigt. Die meisten Frauen verspüren den Drang, sich klein zu machen und zu entschuldigen, wenn sie um etwas bitten, was ihnen eigentlich zusteht. Wir haben das Gefühl, dass wir unhöflich rüberkommen, wenn wir uns so schroff und unverblümt wie Männer geben. Traurigerweise ist das oft tatsächlich der Fall. Das ist der gleiche Impuls, der mich dazu bringt, „Vielen Dank!!!“ zu sagen, wenn ein Mann mir zu wenig bezahlt, und E-Mails mit Küsschen und Smileys zu versehen.
Diese Erfahrung hat mich aber auch dazu angespornt, damit aufzuhören, mich zu entschuldigen, mir meinen eigenen Wert klarzumachen und mir meiner beruflichen Kompetenz bewusst zu werden. Ich möchte lernen, gleichzeitig höflich zu sein, ohne mich dabei ständig für mein Verhalten zu rechtfertigen. Das sollte doch im Rahmen des Möglichen sein, oder? Ich hoffe es sehr stark, denn ich möchte die Phrase „Kein Problem, wenn nicht!“ für immer aus meinem Vokabular streichen. Schließlich will ich mich nicht auch noch in zehn Jahren so unterwürfig und verzweifelt anhören wie Teenies, die um eine Mitfahrgelegenheit bitten.
Nichtsdestotrotz: Kein Problem, wenn nicht!
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