Ich habe mich noch nie so machtlos gefühlt wie bei meinem ersten Beratungsgespräch mit meiner Chirurgin, in dem sie mit mir die Ergebnisse meiner zahlreichen Untersuchungen der letzten Tage durchgehen wollte. Eine Woche zuvor hatte ich eine Darmspiegelung gehabt, und der Arzt hatte mich daraufhin an diverse Spezialist:innen überwiesen. Auf dem Bluttestformular, das er mir danach in die Hand drückte, stand etwas von „Stadienbestimmung von Kolorektalkrebs“. Das Wort „Krebs“ hatte er mir gegenüber nie in den Mund genommen. Du weißt, dass etwas ganz doll schief läuft, wenn man dir dieses Wort nicht mal sagen kann.
„Die gute Nachricht ist: Sie haben gute Chancen, das zu bekämpfen“, teilte mir meine Chirurgin mit, während sie von ihrem Bildschirm zu mir hochschaute. Erleichterung machte sich in mir breit. Sie sprach weiter: „Es wird aber nicht einfach, den Krebs zu besiegen. Sie müssen mindestens für das nächste Jahr kämpferisch bleiben. Machen Sie keine großen Pläne.“
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Ich war verängstigt und völlig überfordert. Wie sollte ich „kämpferisch“ sein? Die Vorstellung, mutig und zäh zu sein, entsprach genau dem Gegenteil von dem, was ich fühlte. Es war, als hätte mich mein Körper gerade verraten. Wie sollte ich ihm also überhaupt zutrauen können, für mich zu „kämpfen“? Ich war zu stark überwältigt, um mir selbst Stärke und Macht einzureden. Immerhin war mir meine Sterblichkeit plötzlich viel bewusster denn je – und im Laufe der Zeit störte es mich immer mehr, wie Wohltätigkeitsorganisationen, die Medien und auch Mediziner:innen im Zusammenhang mit Krebs immer wieder auf Kampf-Metaphern setzen. Ich selbst hatte nämlich den Eindruck, nichts weiter tun zu können, als dem Behandlungsplan meiner Ärzt:innen zu folgen – und erst recht nicht zu kämpfen.
„Die Vorstellung von einem Kampf, einem Krieg, einer Reise… Das finde ich alles furchtbar. Ich hatte ja keine Wahl“, meint Anthony Ellison, der mit 39 Jahren die Diagnose Darmkrebs im 4. Stadium bekam – die tödlichste Krebsform unter Millennials. „Mir wurde einfach vom Schicksal etwas vor die Füße geworfen, das ich nicht ändern kann. Alles, was ich tun kann, ist, das Beste aus einer beschissenen Situation zu machen.“ Anthony steht derzeit kurz vor seiner 40. Runde Chemotherapie. Er hat schon vier OPs hinter sich, bei denen Krebsgeschwüre entfernt wurden; eine am Darm und drei an der Leber. „Wenn Leute diese Worte verwenden, meinen sie es ja eigentlich nur gut. Ich weiß ja, dass die Person versucht, mich zu unterstützen“, sagt er.
Ich gebe es zu: Es gibt durchaus Indizien dafür, dass „kämpferische Sprache von Krebserkrankten tatsächlich als inspirierend und unterstützend empfunden wird“, laut einer Studie von 2001. Diese Kampf-Metaphern werden also nicht zwangsläufig immer negativ aufgenommen. Sie können aber sehr wohl verharmlosen, wie furchteinflößend Krebs sein kann, sowie die gelebte Erfahrung der betroffenen Person entwerten.
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Wenn wir Krebs als etwas darstellen, das bekämpft und sogar besiegt werden kann, vermenschlichen wir ihn und machen ihn zum Feind. Wir tun dadurch so, als hätten diejenigen, die nicht gewinnen, einfach härter kämpfen können.
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Dr. Kristen McCarter ist Dozentin und Psychologin an der University of Newcastle und erklärt, einige ihrer Patient:innen hätten ihr selbst schon von ihrer Frustration mit den Kriegs-Metaphern erzählt.
„Die Person, die diese Worte verwendet, hat oft nur ein beschränktes Verständnis [von der Situation der Betroffenen] und fragt meist nicht nach, ob diese Sprache überhaupt okay ist. Meiner Meinung nach kann diese Sprache nicht hilfreich sein, wenn sie gebraucht wird, um die komplexe Erfahrung einer Krebserkrankung zu vereinfachen oder zu verharmlosen“, sagt sie.
„Eine derartige Metapher kann die zahlreichen Herausforderungen einer Krebserkrankung nämlich runterspielen. Stattdessen sollten wir den jeweiligen Betroffenen die Entscheidung überlassen, wie sie von ihrer Erfahrung sprechen wollen. Das gilt übrigens zum Beispiel auch für Betroffene von Drogenmissbrauch, mentalen Krankheiten oder Traumata.“
Das Problem dabei, diese grundsätzlich gewaltsam und machtbasierten Kampf-Metaphern zu verwenden, um über Erfahrungen mit einer Krankheit zu sprechen, ist, dass sie uns in „Gewinner:innen“ und „Verlierer:innen“ aufteilen. Nachdem ich selbst meine Behandlung begann, fühlte ich mich schwach und traurig und alles andere als wie eine Gewinnerin, obwohl mir mein Behandlungsteam versicherte, dass meine Behandlung durchaus eine gute Chance auf Heilung hatte. Aber was ist mit denen, die eben nicht geheilt werden können? Deren Körper vielleicht nicht auf die Behandlung anspringen? Hätten die etwas besser machen können? Sich mehr Mühe geben können? Wenn wir Krebs als etwas darstellen, das bekämpft und sogar besiegt werden kann, vermenschlichen wir ihn und machen ihn zum Feind. Wir tun dadurch so, als hätten diejenigen, die nicht gewinnen, einfach härter kämpfen können. Dabei ist dieser „Kampf“ ja nichts, wofür du dich anmeldest oder aktiv entscheidest, wie eine 30-tägige Squat-Challenge oder eine schlechte Gewohnheit, die du ablegen möchtest. In Wahrheit ist natürlich niemand ein:e Verlierer:in, wenn der Krebs nicht geheilt werden kann oder die chronische Krankheit nie abklingt.
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Der Krebs ist kein Kampf, sondern ein Überfall – weil er überhaupt nicht fair ist.
TAYLOR KIRKWOOD
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Größtenteils ist das Ganze nämlich einfach ein brutales Glücksspiel, bei dem vieles vom Timing und einem kompetenten medizinischen Team abhängt.
Die 35-jährige Ashleigh Dixon steckt gerade mitten in der Behandlung gegen Darmkrebs. Sie sagt, wenn sie Sprüche hört wie „Er:sie hat den Kampf verloren“ oder „Er:sie muss jetzt nicht mehr kämpfen“, klingt das für sie fast so, als hätte die Person eine Wahl gehabt.
„Das hört sich an, als hätten die Betroffenen aufgegeben oder seien zu schwach gewesen, um weiterzumachen. Oder so, als seien sie aus einem schmerzhaften Leben entlassen worden, das für einfach zu viel wurde“, meint sie. „Und wenn sie nicht ‚gewonnen‘ haben, sagt man damit dann nicht automatisch, dass sie ‚Verlierer‘ oder ‚Verliererinnen‘ sind?“
Taylor Kirkwood war 27, als sie ihre Krebsdiagnose bekam, und weiß ebenfalls, dass das Endergebnis keine Entscheidung ist. „Das hat nichts damit zu tun, wie hart du kämpfst. Ansonsten gäbe es ja Leute, die nicht sterben würden, weil sie wirklich alles geben“, meint sie. „Als meine Krebs-BFF Megy dem Ende ihres Lebens näher kam, dachte ich immer: ‚Ich habe noch nie eine Frau getroffen, die sich so sehr darum bemüht, nicht zu sterben‘“, erzählt sie. „Ich bin mir sicher, sie fand es aber dennoch nicht schön, als ‚Kämpferin‘ oder ‚Kriegerin‘ bezeichnet zu werden. Sie siechte immerhin wirklich so dahin. Sie starb, ganz langsam, direkt vor den Augen ihres Mannes und ihrer Tochter.“ Megy starb 2021, im Alter von 33.
Wie würde Taylor den Krebs denn stattdessen bezeichnen, wenn nicht als „Kampf“? „Als Überfall. Ein Kampf soll immerhin fair sein. Deswegen ist der Krebs ein Überfall – weil er überhaupt nicht fair ist.“
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Diese Kampf-Metaphern können auch noch viel tiefere Auswirkungen haben. „Wenn du sowas hörst, fokussierst du dich noch mehr darauf, gegen deinen Körper zu kämpfen, anstatt dich auf all die tollen Dinge zu konzentrieren, die dein Körper schaffen kann. Und viele junge Frauen haben ohnehin schon ein negatives Körperselbstbild. Sie ‚kämpfen‘ schon vorher gegen ihren eigenen Körper, und viele von ihnen hassen ihn sowieso schon genug. Da fällt es dann umso schwerer, auch noch gegen etwas in dir anzukämpfen“, meint Ashleigh.
Krebs-Erkrankte wollen natürlich aber auch nicht, dass sich andere für ihre Wortwahl schlecht fühlen, obwohl sie es ja eigentlich gut meinten – oder weil sie einfach nicht genug Erfahrung im Umgang mit Krebs hatten und nicht wussten, was sie sonst hätten sagen können. Die Kampf-Metapher ist im Zusammenhang mit Krebs einfach so tief in unserem Vokabular verwurzelt, dass es viel Mühe erfordert, das zu ändern. Dennoch sollten wir uns alle um eine Sprache bemühen, die eine Person, die die jeweilige Erfahrung gerade macht, als angebracht empfindet. Immerhin hast du ja sicher auch noch nie gesagt, jemand habe den „Kampf“ gegen einen Herzinfarkt verloren, oder gegen einen Autounfall. Warum also beim Krebs?
Ashleigh sieht das genauso. „Ich glaube, dass sich viele Leute auf diese Sprache verlassen, um einfühlsam und verständnisvoll zu wirken. Ich würde mir aber wünschen, dass sie mich stattdessen fragen, welche Sprache für mich am besten wäre. Immerhin sind wir alle verschieden! Ich möchte einfach, dass ihnen bewusst ist, dass die ganze Kampfsprache für manche Leute sehr triggernd sein kann.“
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Taylor ergänzt: „Mich stört es sehr, wenn Leute ganz stark betonen, was ich doch für eine ‚Kämpferin‘ sei, ohne meine Gefühle zu berücksichtigen. Dann wird das Ganze nämlich zur toxischen Positivität: wenn Leute Dinge sagen wie: ‚Du packst das!‘, und du dich aber überhaupt nicht so fühlst.“
„Stattdessen wünsche ich mir, dass man mir etwas sagt wie: ‚Es tut mir so leid, dass du das durchmachst. Das ist wirklich schlimm und beschissen und ich hasse es, dass dir das passiert.‘“
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