„Du hast dich verändert.“ Das ist ein Satz, der oft einen frustrierten oder wertenden Unterton hat; eine implizite Trauer um die Person, die du einmal warst, und eine Andeutung, dass die neue Version von dir wesentlich schlechter sei. Das ist etwas, was ich in letzter Zeit sehr oft zu mir selbst gesagt habe.
Die Pandemie hat den natürlichen Wandel des Lebens beschleunigt, der oft durch Gründe oder Dinge ausgelöst wird, die außerhalb unserer Kontrolle liegen – von Todesfällen bis hin zur Arbeitsplatzunsicherheit. Dieser Beschleunigungseffekt hat so manche von uns dazu bewegt, darüber nachzudenken, ob wir noch mit unseren Partner:innen zusammenbleiben wollen oder es lieber mit einer neuen Beziehung probieren sollten. „In vielerlei Hinsicht hat die Pandemie psychologische Bedingungen geschaffen, die uns dazu bewegen, unser Leben zu überdenken“, heißt es in einem Bericht des Think-Tanks Global Future aus dem Jahr 2021, der sie als „plötzlichen Schock“ beschreibt, der uns aus unserer Routine gerissen hat.
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Sechs Monate nach diesem Bericht und zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie, die laut Weltgesundheitsorganisation WHO „noch lange nicht vorbei“ ist, haben wir uns mittlerweile an diese neuen Umstände gewöhnt. Wir befinden uns in einer Zeit, in der wir unter Druck stehen, uns ständig weiterzuentwickeln, unsere Werte zu hinterfragen, mit einem Lockdown-Glow-up zu beeindrucken und etwas „Bedeutendes“ zu tun. All das sorgt für ein Gefühl ständiger Unsicherheit. Es ist schon schwierig genug, unsere eigene Identitätskrise zu bewältigen, ohne dass wir auch noch versuchen müssen, die Identität einer Beziehung aufrechtzuerhalten.
Ich verlobte mich Anfang 2019 und wie viele andere mussten wir wegen der Pandemie unzählige Hochzeitspläne ändern. Schließlich buchten wir etwas für August 2022. Dieses Jahr – mit einem Portemonnaie auf dem Schoß und im Begriff, eine Anzahlung für einen Ehering zu leisten – bin ich ein völlig anderer Mensch als 2019, als ich meinem Partner den Antrag machte. Jetzt habe ich einen neuen Job und habe mein früheres, ungesundes Verhältnis zur Arbeit geändert. Aus diesem Grund habe ich jetzt mehr Freizeit, um über alles nachzudenken (juhu!). Ich sehe sogar wie eine andere Person aus: Meine Haare sind gewachsen und ich habe aufgehört, sie zu färben. Außerdem habe ich zugenommen und habe deshalb eine ganz neue Garderobe. Er hat sich auch verändert. Er hat mit dem Trinken aufgehört (was vor der Pandemie ein wichtiger Bestandteil unseres sozialen Lebens war) und hat sich für eine ganz neue Karriere in einer neuen Branche entschieden. Auch die Dynamik zwischen uns hat sich ein wenig geändert. Als Paar sind wir jetzt zurückgezogener, ruhiger, weniger ehrgeizig und stärker voneinander abhängig.
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Die Pandemie hat viele Verlobungen mit sich gebracht. Für viele bedeutete sie aber auch das Beziehungsaus. Im Allgemeinen sind seit Corona aber sowohl Hochzeits- als auch Scheidungsraten gesunken. Dass weniger geheiratet wird, lässt sich auf die Hürden, mit denen Heiratswillige konfrontiert sind, zurückführen. Bei so manchen Paaren, die am Ende getrennte Wege gingen, war vor Beginn der Pandemie alles noch wie am Schnürchen gelaufen. Diese Tatsache alleine reicht aus, um kalte Füße zu kriegen. Das gilt vor allem für diejenigen unter uns, die sich gerade in der Verlobungsphase befinden. Was passiert, wenn eine lange Verlobungszeit in Kombination mit persönlichen Veränderungen und jenen unserer Partner:innen, die durch die globale Krise ausgelöst wurden, dazu führt, dass wir so wie Rachel Green in der ersten Staffel von Friends die Hochzeit abblasen wollen?
Eine lange Verlobungszeit „kann im besten Fall Angst auslösen“, sagt Rachel Vanderbilt, Moderatorin des Podcasts Relationship Doctor. Sie führt Pam und Roy aus The Office (USA) als Beispiele an, deren Verlobung zu Unzufriedenheit und schließlich zu ihrer Trennung führt. Sie fügt hinzu: „Es gibt keine Norm, die besagt, dass du nur so-und-so-viele Jahre verlobt sein solltest. Ein Hochzeitsdatum festzulegen und sich daran zu halten, kann aber die Wahrscheinlichkeit einer Trennung verringern.“ Seit der Pandemie war das aber unmöglich oder mit sehr vielen Hürden verbunden.
Laut einer US-Studie aus dem Jahr 2018, für die 1.000 Personen befragt wurden, werden 20 Prozent der Verlobungen aufgelöst. Je länger eine Person verlobt ist, desto größer das Risiko, dass es dazu kommt – und das ist vielleicht auch nicht unbedingt etwas Schlechtes. Für das Jahr 2020 wurde geschätzt, dass 64 Prozent aller Hochzeiten im Vereinigten Königreich verschoben oder ganz abgesagt werden. Andere Studien legen nahe, dass die meisten Ehen, die nicht halten, innerhalb der ersten zwei Jahre scheitern. Daher scheint es vernünftiger zu sein, länger verlobt zu bleiben und sich gegebenenfalls zu trennen, als den Bund fürs Leben vorschnell einzugehen und es dann möglicherweise zu bereuen. So sparst du dir außerdem viel Zeit, Energie und Geld. Allison Raskin, 33, sprach online offen darüber, dass sie Vorbehalte gegen eine lange Verlobungszeit habe, was mit ihren eigenen schlechten Erfahrungen damit zu tun habe. „Die Tatsache, dass mich mein Verlobter sechs Monate nach unserer Verlobung aus heiterem Himmel verließ, hat meine Einstellung zu Verlobungen völlig verändert“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich bin bereit, mich wieder zu verloben, aber nur unter der Voraussetzung, dass mich diese Person am nächsten Tag heiratet.“
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@allisonraskinbaby Bye bye long engagements. #fyp #abandoned #engaged #fiance ♬ original sound - Allison Raskin
Laut der lizenzierten Familien- und Eheberaterin Amie Harwick ist es normal und sogar empfehlenswert, eine Beziehung während der Verlobungsphase zu hinterfragen. „Wenn du das nicht tust, könnte das zu einem größeren Problem als einer Trennung führen“, sagte sie 2017 gegenüber R29. „Deshalb ist es wichtig, dich zu fragen, ob du tatsächlich heiraten willst, ob du und dein:e Partner:in ausreichend übers Eheleben gesprochen habt, und ob eine Ehe auch wirklich mit euren jeweiligen Zielen vereinbar ist.“
Meine Befürchtung ist, dass eine lange Verlobungszeit dazu führen kann, dass sich Bedenken verstärken und hinziehen. Am Ende stellst du dir vielleicht dieselben Fragen immer und immer wieder, stellst Dinge unnötig in Frage und suchst nach Fehlern, die nicht vorhanden sind, was dir am Ende nichts bringt. „Lange Verlobungszeiten sind ein Symptom der Pandemie“, erklärt Beziehungstherapeutin Charisse Cooke gegenüber R29. „Die Pandemie hat bei Paaren zu Verärgerung, Enttäuschung und auch zu erheblichem finanziellen Stress geführt, was viele Beziehungen auf die Probe gestellt hat.“ Sie fügt hinzu: „Wenn es keine zeitlichen Einschränkungen gibt, kann eine lange Verlobungszeit eine besondere Zeit sein; eine Zeit, in der sich die Paare in ihrer Partnerschaft sicher fühlen, ihr Zusammensein genießen können und keine Unsicherheiten in Bezug auf die Zukunft haben.“
Das klingt wunderbar. Wie gelingt es uns, so eine sichere Bindung zu schaffen? Immerhin scheint das schwer erreichbar. Charisse empfiehlt, neugierig auf jene Veränderungen zu sein, die dein:e Partner:in durchlebt – selbst, wenn du dich gerade mit deiner eigenen Entwicklung überfordert fühlst. „Wir – und unsere Partner:innen – verändern uns im Laufe unseres Lebens“, sagt sie. „Veränderungen können sich zwar beängstigend anfühlen, sie zu akzeptieren, kann aber die Dinge leichter machen. Wenn wir offen bleiben für das, was unsere Partner:innen tun und wozu wir uns hingezogen fühlen, bleibt alles interessant und wir können unsere Liebe füreinander auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck bringen.“
Vielleicht haben wir in letzter Zeit genug von Veränderungen, aber Charisse erlebt oft, dass sich Paare aufgrund eines Mangels an genau dieser voneinander trennen. „Wenn Paare sich trennen, liegt das oft daran, dass vieles sehr vorhersehbar geworden ist“, sagt sie. „Bequemlichkeit macht sich bemerkbar. Um das Feuer neu zu entfachen, sind keine großen Änderungen notwendig. Es reicht, sich wieder so viel Mühe zu geben und zu der Verspieltheit zurückzukehren, die den Beginn einer Beziehung für gewöhnlich auszeichnet.“
Vor der Pandemie hatte ich Angst davor, mich weiterzuentwickeln, denn Kommentare wie „Du hast dich verändert“ gaben mir das Gefühl, dass ich alles eigentlich schon von Anfang perfekt hätte machen sollen. Aber tatsächlich ist es oft schwieriger, dieselbe Person zu bleiben – vor allem, wenn die ganze Welt auf den Kopf steht. Seit der Pandemie ist mir eine Sache klar geworden: Wenn zwei Menschen einander heiraten, verpflichten sie sich dazu, einander für immer zu lieben. Damit schließt du nicht nur den Bund der Ehe mit der Person, die du kennengelernt hast oder die vor dem Altar steht, sondern auch mit all ihren Versionen im Laufe ihrer Weiterentwicklung.
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