Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich zum ersten Mal diese Worte hörte. Ich war 16 und es ging mir richtig dreckig, weil ich in einer Fernbeziehung steckte und meinen damaligen Freund schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. Ich machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter und schlich todtraurig durchs Haus, als meine Mutter zu mir sagte: „Hör auf, dein Leben zu verwarten.“ Wahrscheinlich hatte sie es satt, mich beim Warten auf meine Teenieliebe zu beobachten. Mir war damals gar nicht bewusst, dass ich genau das machte. Heute würde die Feministin in mir mein damaliges Ich am liebsten anbrüllen: „Du brauchst keinen Mann, um das Leben zu genießen!“. Es muss unglaublich frustrierend für meine Mutter gewesen sein zuzusehen, wie ich meine freie Zeit verschwendet habe.
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Das zweite Mal hörte ich den Spruch, als ich schon erwachsen war und einen Vollzeitjob hatte, den ich hasste. Ich schleppte mich von Wochenende zu Wochenende, nur um mich Freitagabend volllaufen zu lassen und anschließend komatös und brutal verkatert im Bett rumzuliegen. Am folgenden Montag ging das Ganze dann wieder von vorn los. Eine Freundin fasste es ganz gut zusammen: Jede Woche belohnte ich mich dafür, die Arbeitswoche hinter mich gebracht zu haben, versaute mir dadurch aber mein komplettes Wochenende. Das macht sieben Tage voller Hass und Übelkeit – abgesehen von ein paar wenigen Stunden angeschwipster Glückseligkeit. Sie riet mir dazu, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich diese verhassten Montage, die schrecklichen Mittwoche oder die viel zu langen Freitage irgendwie angenehmer gestalten könnte. Die Idee war so einfach, so offensichtlich, aber manchmal steckst du so tief drin in der Misere, die deine Routine ist, dass du einen kleinen Reminder brauchst – jemanden, der dich wachrüttelt und dir die Augen öffnet. Wenn du willst, kannst du nämlich versuchen, glücklicher zu sein. Wenn du willst, kannst du dich selbst aus dem Teufelskreis wieder herausziehen und nicht mehr nur noch für das Wochenende leben.
„Was du jeden Tag machst, zählt mehr als das, was du ab und zu mal machst“, erklärt Gretchen Rubin, die Autorin von The Happiness Project. Und genau deswegen ist ihr Buch auch so erfolgreich: Sie propagiert keine Eat Pray Love-Abenteuer, die dich erst um 5000 Euro ärmer machen und dich dann an deine Grenzen bringen. Ihr geht es darum, das kleine Glück im Alltag zu finden. Darum, nicht auf diese eine aufregende Veranstaltung oder auf eine große Veränderung zu warten, die alles wie von Zauberhand besser macht: Mach Dienstag zum Pizzatag, heb dir deine Lieblingsklamotten nicht für einen besonderen Anlass auf, laufe zur Arbeit (oder zumindest ein paar Stationen) und atme die frische Luft ein, sag einer fremden Person, dass du ihre Schuhe toll findest.
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Immer, wenn eine schwangere Freundin sagt, sie wünscht, ihr Baby würde schon eher kommen, muss ich mir auf die Zunge beißen, um nicht rauszubrüllen: Das ist das letzte Mal, dass du allein bist! Du solltest das genießen und The Handmaid's Tale bingewatchen, anstatt dir zu wünschen, Monate deines Lebens zu überspringen. Das sage ich natürlich nicht, weil ich nicht verbittert klingen will (was ich leider auch bin). Ähnlich ist es bei Kindern, die sich wünschen, schneller erwachsen zu werden: Du musst noch dein halbes Leben erwachsen sein. Sei froh, dass du Mittagsschlaf machen darfst und keine Verantwortung übernehmen musst!
Das Leben besteht aus verschiedenen Phasen und wenn eine vorbei ist, ist sie vorbei. Niemand kann die Zeit zurückdrehen. Wir schieben unser Glück permanent auf. Wir glauben, ein glücklicheres Leben würde in naher Zukunft auf uns warten – wir müssen nur noch ein paar Stunden, Tage oder Wochen Geduld haben. Und wenn der Zeitpunkt dann endlich gekommen ist? Finden wir einen neuen Grund dafür, unglücklich zu sein. Ist das nicht traurig? Versteh mich nicht falsch: Vorfreude ist eine schöne Sache! Wenn es dich glücklich macht, deinen Mädels Noch vier Mal schlafen bis zum Wellnesswochenende! zu schreiben, dann tu es! Aber sei gleichzeitig froh, genau in dieser Minute am Leben zu sein. Auch wenn du noch drei Stunden bis zum Burrito-Lunch durchhalten musst oder acht Tage, bis das Gehalt auf deinem Konto ist. Es klingt melodramatisch, aber unsere Zeit auf der Erde ist begrenzt. Und ich bin mir sicher, spätestens in zehn Jahren würde ich mich unglaublich über mich selbst ärgern, wenn ich mir heute nicht noch einen Becher Ben & Jerry's und ein Schaumbad gönne – einfach so, weil Dienstag ist. Und weil ich kann.
Auf die Gefahr hin wie ein Wandtattoo oder ein besticktes Kissen zu klingen: Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen. Sorry, aber so ist es halt. Und das wusste auch schon meine Mama. Zwar hat sie mir weder jemals eine Carpe-Diem-Tasse noch Achtsamkeitsmagneten für den Kühlschrank geschenkt, aber sie ermutigte mich mit ihren eigenen Worten dazu, im Hier und Jetzt zu leben und den Moment zu genießen. Recht hat sie.
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