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Die Suche einer lesbischen Frau nach dem richtigen Spendersamen

Photographed by Aslan Eylul.
Ich bin Spätzünderin. 24 Jahre lang habe ich gedacht, dass ich Männer interessant genug finde, um eines Tages mit einem an meiner Seite zu enden. Dass das nicht stimmt, wurde mir bewusst, als ich merkte, wie sehr ich Frauen mag. Als ich mich outete, war das ein ziemlich befreiendes Gefühl. Mir eröffnete sich eine vollkommen neue Welt: ein frischer, interessanter Freundeskreis, Flirts mit attraktiven Dates und ein Verständnis dafür, was es wirklich bedeutet, sexuell erregt zu sein. Wo andere in meinem Alter auf Sinnsuche Eat, Pray, Love für sich entdeckten, entdeckte ich, um es mit den Worten von Lil Wayne zu sagen „Pussy, Money, Weed“. Und zwar genau in dieser Reihenfolge.
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In meiner kleinen lesbischen Blase fühlte sich alles ziemlich großartig an. Ab und an bekam ich mal einen verächtlichen Blick zugeworfen oder hörte, wie über mich geflüstert wurde, aber ansonsten konnte ich keine Nachteile feststellen. Meinen Hetero-Freund*innen erklärte ich stattdessen, welche Veränderungen mein neues Liebesleben mit sich brachte: Wenn nach einem ersten Date die Rechnung kommt, ist es noch schwieriger, die Situation elegant zu lösen, die Anzahl von Diskussionen über Actionfilme in meinem Leben hat sich drastisch reduziert, mittlerweile trage ich nur noch kurzgeschnittene Fingernägel (der Grund dafür erklärt sich von selbst). So viel hatte sich in meinen Augen also gar nicht verändert. Ich konnte immer noch eine feste Freundin sein und eines Tages eine Ehefrau.
Was ich mir allerdings auch wünschte und nun nicht mehr ohne Weiteres werden konnte: eine Mutter. Ich habe das große Glück, mit wunderbaren Eltern aufgewachsen zu sein, die sehr viel richtig gemacht haben. Gemeinsam haben meine Mutter und mein Vater mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden und unerschütterlich an mich geglaubt. Durch die guten Erfahrungen, die ich in meiner eigenen Kindheit gemacht habe, entwickelte sich bei mir der Wunsch, selber einen kleinen Menschen großzuziehen. Jetzt allerdings, wo ich nur noch Frauen datete, fehlte mir dazu eine winzig kleine Kleinigkeit: Sperma.
Diese Erkenntnis kam mir, nachdem ich bereits einige Jahre in der New Yorker Queer-Szene unterwegs gewesen war. Ich hatte seit meinem Coming-out viel rumgedatet, um herauszufinden, welche Charaktereigenschaften ich mir von einer neuen Partnerin eigentlich erhoffte. Da die Qualitäten, die jemand mitbringen sollte, nicht mehr an Gendervorstellungen geknüpft waren, erschlossen sich mir ganz neue Möglichkeiten. Nach meiner wilden Phase sehnte ich mich nun nach einer festen Beziehung, malte mir meine zukünftige Familie aus und wie ich mit einer tollen Partnerin zusammen unser Kind großziehen würde.
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In meinem Kopf hatte ich mein Happy End also schon geplant, in der Realität hingegen musste ich mir selbst eingestehen, dass das Privileg, dass sich die DNA zweier Liebender zu einem Kind vereinte, heterosexuellen Paaren vorenthalten war. Ein Baby zu bekommen ist in solchen Fällen das Gemeinschaftswerk zweier Menschen, die Teile ihrer Selbst in dem neuen Leben vereinen. Bei dem Gedanken, dass mir dieses Glück nicht beschieden sein würde, wurde ich nervös. Viel zu stark beschäftigte ich mich mit den Optionen, die mir jetzt noch übrig blieben.
Wer sollte der Vater des leiblichen Kindes werden? Sollte ich mir vielleicht doch einen Mann als Hauptpartner suchen und Frauen nur nebenbei daten? Das war definitiv keine Option. Dafür war ich einfach zu lesbisch. Konnte ich es eventuell mit einer Transfrau versuchen? Ich erinnere an die Lil Wayne Referenz am Anfang: „Pussy, Money, Weed“: Ich stand und stehe zu sehr auf Pussy. Diese Möglichkeit war also ehrlicherweise auch ziemlich unwahrscheinlich. Die Anziehungskraft, die von Frauen und ihren Körpern ausging, stand außer Frage, aber ihnen fehlten schlichtweg die richtigen Fortpflanzungsorgane. Die Kurven meiner Liebesobjekte fühlten sich zeitweise an, als würden sie mich von meinem Ziel, eine Familie zu gründen, ablenken.
Was sollte ich tun? Ich brauchte Sperma. Das zu finden, fühlte sich weniger an wie eine aufregende Reise auf der Suche nach einem seltenen, kostbaren Schatz. Vielmehr war es ein entmutigender Ein-Frau-Suchtrupp. Ich musste mich mit einer simplen Wahrheit abfinden: Das, was ich mir wünschte, würde ich aus rein biologischen Gründen nicht bekommen. Nun galt es, aus den verbleibenden Alternativen die beste zu wählen. Eingekreist von strahlenden Schwangeren im Wartezimmer meiner Frauenärztin ging ich im Kopf meine Liste mit Möglichkeiten durch.
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Ein Freund?
Ich habe anbetungswürdige männliche Freunde, welche mit tollen Uniabschlüssen und andere mit strahlend blauen Augen. Manche haben sogar beides auf einmal. Was mir Sorge bereitet, sind die vertraglichen Konditionen, die wir über unser Kind abschließen müssten. Würde der potenzielle Vater eine Bindung zu dem Baby spüren, wenn er es erst einmal eingewickelt im Arm halten würde, weil er wusste, dass er zu diesem kleinen Leben beigetragen hatte? Wie stark würde er in die Erziehung mit einbezogen werden wollen? Würde er seine Grenzen einhalten, und wo würden die eigentlich liegen? Wie würde seine Partnerin oder sein Partner sich damit fühlen, dass er seinen Samen einer anderen Frau gegeben hatte und nun bereits eine Nachkommin oder ein Nachkomme von ihm existierte? Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr Fragen kamen mir in den Kopf.
Ein Bekannter?
Dieser Mann wäre weniger nah und weniger involviert als ein Freund. Aber damit auch weniger gründlich auf Herz und Nieren geprüft. Wüsste ich genug von seinem Charakter, um zu erkennen, ob er geeignet ist? Was wenn er Geheimnisse hatte? Könnte ich mit ihm so etwas wie ein Bewerbungsgespräch führen? Einen Gentest machen? Oder einen Lügendetektortest? War das alles zu viel des Guten? Schließlich würde ich das Kind großziehen, nicht er. Dieses Gedankenexperiment war Teil der großen Frage, auf die die Wissenschaft bislang keine Antwort kennt: Was entscheidet mehr darüber, wie ein Mensch sich entwickelt, die Veranlagung oder das Umfeld? Ohne genaue Antwort auf diese Frage ist mir das Risiko einfach zu groß.
Ein Verwandter meiner Partnerin?
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Wenn meine zukünftige Partnerin einen Bruder oder männlichen Cousin hätte, könnten wir mit dessen Samen ein Kind zeugen, das mit ihr blutsverwandt wäre. Ich könnte mir mein kleines Bündel also ansehen und denken: „Oh, sie hat ihre Augen. Und meine Nase.“ Aber es bleibt der schaurige Gedanke, dass das Kind für meine Partnerin nur eine Nichte oder ein Neffe bleiben und sich nicht wie ihre Tochter oder ihr Sohn anfühlen würde. Oder uns, noch schlimmer, wie ein bizarres wissenschaftliches Experiment vorkommen würde, dass wir egoistischerweise eingehen, weil wir unsere reproduktiven Grenzen nicht wahrhaben wollen.
Ein Fremder?
Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt. Und da liegt das Problem. Intellekt? Physische Attraktivität? Gesundheitshistorie? Aussehen? Wenn ich mir den Spendersamen eines Mannes mit dunklerer Haut aussuchen würde, käme ich damit zurecht, dass Menschen denken könnten, mein Kind sei adoptiert? Würde seine Hautfarbe die Herkunft meines Kindes offenlegen? Wie könnte ich meinem Kind dann Sicherheit vermitteln und das Gefühl, dass es zu mir gehört? Einen Familienstammbaum meinerseits? Und auch einen des Vaters, der Vollständigkeit halber? Wäre das überhaupt möglich? Die meisten Samenbanken basieren auf dem Prinzip der Anonymität des Spenders.
Adoption?
Da kommen noch einmal ganz andere Fragen auf mich zu. Klar, ich würde einem Kind, das ein Zuhause braucht, eins geben. Aber egoistisch wie ich bin, möchte ich immer noch ein Kind, das meine Gene hat. Ich möchte die Erfahrung machen, schwanger zu sein und zu gebären. Ein adoptiertes Kind würde nach einigen Jahren nicht nur nach seinem Vater fragen, sondern auch nach seiner Mutter. Wie würde ich damit umgehen und was wären meine Rolle und die meiner Frau? Ich habe zu viel Angst, auf einmal als Mutter Nummer Drei zu enden. Außerdem sind Adoptionen auch kein problemfreies Terrain, nein, eigentlich eher ein Minenfeld. Denn vor allem hinter internationalen Adoptionsagenturen stecken häufig ganze Kartelle, deren Vorgehensweise nicht anders als mit „korrupt“ zu bezeichnen sind.
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Jedes mögliche Szenario war also mit einigen Nachteilen behaftet. Waren diese Nachteile schwerwiegend genug, um mir das Kinderkriegen ganz zu vermiesen? Würde die moderne Medizin in naher Zukunft eine Möglichkeit finden, zwei weibliche Eizellen zu einem Embryo zusammenzuführen? In einer Gesellschaft, die Menschen, die Kinder kriegen, als erfolgreich einschätzt, lösten all diese Fragen zwei sehr menschliche Gefühle in mir aus: Mangelhaftigkeit und Wut. War ich einfach nur eine engstirnige Lesbe, die sich ihres Privilegs, als Singlefrau in ihren Mittzwanzigern noch genug Zeit zu haben, sich in Ruhe einen Plan zu überlegen, nicht bewusst war?
Um es ganz ehrlich zu sagen: Es gibt durchaus Leute, denen es schlechter geht als mir.
Schwule Männer, die sich biologische Kinder wünschen, müssen sich eine Leihmutter suchen, die Lust hat, neun Monate lang ein Kind mit sich herum- und es dann noch auszutragen, nur um es dann wegzugeben. Ich hingegen bin schon im Besitz eines gesunden und hoffentlich fruchtbaren Körpers und brauche nur einen potenten Samen zu meinem Glück.
Und was ist mit heterosexuellen Paaren, die monatelang versuchen, schwanger zu werden und dann irgendwann feststellen müssen, dass eine*r der beiden keine Kinder bekommen oder zeugen kann? Ich fühle tief mit einer Frau, die vor dem Dilemma steht, ihren Partner zwar sehr zu lieben, der ihr aber keine Kinder schenken kann.
Oder die erfolgreiche Frau, die ihre Karriere über ihre Beziehungen gestellt hat und jetzt alleinerziehende Mutter werden möchte. Sie steht vor ähnlichen Fragen wie ich, muss sich aber wahrscheinlich schneller entscheiden, welche Option die richtige für sie ist. Und sich gleichzeitig der Realität stellen: dem Fakt, dass sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit kein Mann mehr vor ihr materialisieren wird, der Lust hat, mit ihr noch schnell eine Familie zu gründen, bevor ihre biologische Uhr abgelaufen ist.
Dass andere Menschen in Sachen Mutter- und Vaterschaft ein noch härteres Los gezogen haben als ich, bringt mich nur leider nicht weiter. Neben der Frage, welcher Kandidat für einen Spendersamen das kleinste Übel für mich ist, schleichen sich dafür noch andere Zweifel ein: Raube ich meinem zukünftigen Kind die Vaterfigur, weil es in einer Beziehung von zwei Frauen großwerden wird? Zwänge ich diesem Kind damit eine Art progressive Erziehung auf? Und wie viel Sinn ergibt das traditionelle Vater-Mutter-Kind-Modell heutzutage eigentlich noch? Eine US-amerikanische Studie kommt jedenfalls zu dem Schluss, dass die Kinder gleichgeschlechtlicher Eltern in der Regel eine glückliche Kindheit erleben und keine Unterschiede zu Kindern heterosexueller Eltern aufweisen. Ich jedenfalls bin fest entschlossen, dem Kind ein förderndes, finanziell stabiles und geschlechterneutrales Elternhaus zu bieten.
Bis es soweit ist, bleibt mir noch ein wenig Zeit. Ich hoffe, dass ich mich eines Tages mit den Möglichkeiten, die mir zur Verfügung stehen, wohl genug fühle, um eine wohlüberlegte Entscheidung zu fällen. Und dazu wird dann auch eine weitere Person, nämlich meine zukünftige Partnerin, auf den Plan treten, die selber auch ihre Meinung zu diesem Thema einbringen wird. Die ideale Kindererziehung beinhaltet für mich nämlich auch, dass sich zwei Menschen in einer gleichberechtigten Partner*innenschaft zu gleichen Anteilen um ein Kind kümmern, unabhängig von gesellschaftlich vorgegebenen Stereotypen. Es gibt keine Unterscheidung zwischen der Mutter- und der Vaterrolle. Ich bin bereit zuzuhören, Rücken zu massieren, Gemüseauflauf zu kochen und für ein Einkommen zu sorgen, das unserer Familie ein gutes Leben ermöglicht. Gleichzeitig werde ich natürlich, wie alle Eltern, Fehler machen und die falschen Sachen sagen. Aber das ist okay.

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