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Selbsthilfegruppen, Hypnose, Klinik – Mein langer Weg aus der Essstörung

Heute stehe ich nackt vor meinem Badezimmerspiegel, schaue mir tief in die Augen und denke dabei: „Ich liebe dich!“ Für mich sind das große Worte, denn das war gewiss nicht immer der Fall. Vor mittlerweile zehn Jahren fing ich an, mich, meinen Körper und mein ganzes Leben zu hassen. Die Essstörung war dabei für mich die Strategie, meinen Hass nicht zu spüren.
Ich war 14, als ich begann, mich mit meinem Körperbild zu beschäftigen, denn mein Körper war nicht so weit entwickelt wie der anderer Mädchen in meinem Alter, jedenfalls war das mein Eindruck. In der Umkleide verglich ich mich und schlussfolgerte: Meine Brüste sind kleiner, ich habe noch keinen Freund und auch keine Erfahrungen mit Sex. Damals ging es los, dass ich mich fragte, was denn an mir falsch sei. Ich war ein Teenager, der es vorzog, sich in den Schatten zu stellen. Ich tat das ganz bewusst, damit die anderen nicht sahen, dass ich schlecht war. Heute weiß ich, dass auch das eine Sache war, die nur ich wahrgenommen habe. Mit jemandem darüber gesprochen hatte ich nie.
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Foto: Aslan Eylul
Was stimmt nicht mit mir?
Nachdem ich mit 15 oder 16 das erste Mal die Erfahrung gemacht habe, dass Diät und Sport einen positiven Effekt auf mein Äußeres haben, startete ich verschiedene Selbstexperimente und wog mich jeden Tag mehrmals, stets mit dem Ziel, dass die Zahl auf der Waage kleiner wird. Für mein Aussehen bekam ich plötzlich Anerkennung und Lob und auch die Jungs fingen an, sich für mich zu interessieren; ich fühlte mich sehr viel wohler in meiner Haut. Ich wollte mehr von der Bestätigung von außen und den damit einhergehenden positiven Gefühlen. Ich dachte, dass ich diesen Zustand nur aufrecht erhalten kann, wenn ich weiterhin abnehme und noch schöner, also dünner werde.

MEIN ESSVERHALTEN ENTWICKELTE SICH ZU EINEM TEUFELSKREIS, EINER SUCHT NACH ANERKENNUNG UND LIEBE, die letztlich zu EINER ESSSTÖRUNG wurde

Kira Siefert
Am Anfang meiner Essstörung war Magersucht das Symptom. Natürlich hatte ich Angst, dass ich damit auffallen würde, zumal meine Mitmenschen irgendwann anfingen, mich zu fragen, ob mit mir alles in Ordnung sei. Ich aß dann zumindest nach außen hin ganz normal und erbrach mich anschließend auf der Toilette. Oder ich trieb exzessiv Sport, damit ich die Kalorien wieder los wurde. Um nicht enttarnt zu werden, nicht darüber sprechen zu müssen und weiterhin meinen Alltag leben zu können, kam mir das nur logisch vor. Meine Essstörung war meine Sicherheit und meine Strategie für Geborgenheit und Liebe.
Als ich mit 17 das erste Mal so richtig verliebt war, dachte ich: „Jetzt wird alles gut, denn jetzt kann ich einen anderen Menschen lieben und glücklich sein.“ Dem war dann aber doch nicht so. Ich hatte das Dreieck aus Angst, Essen und Selbsthass bereits als festes Muster abgespeichert. Ich definierte mich nur über mein Äußeres – mein Erscheinungsbild, die Zahl meiner Freunde, das Lob von außen, die Leistungen im Sport und in der Schule. Innen war ich leer. Ich hatte mich bereits so weit von meinen eigentlichen Wünschen und Bedürfnissen entfernt, dass ich nicht hätte sagen können, was ich brauchte oder wollte. Auch wenn ich dachte, lieben zu können, stellte sich schnell für mich heraus, dass ich vor allem eifersüchtig war, wofür ich mich dann noch mehr hasste.
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FÜR MEINE ESSANFÄLLE KLAUTE ICH MEINER MITBEWOHNERIN ESSEN UND VERSUCHTE, DIESELBEN PRODUKTE NACHZUKAUFEN UND AN IHREN URSPRÜNGLICHEN PLATZ ZU STELLEN, BEVOR SIE ES MERKEN KONNTE

Kira Siefert
Meine Essstörung hatte sich inzwischen zur reinen Bulimie entwickelt. Weil ich dachte, dass meine Eltern schuld an meinen Fressattacken sind, entschied ich mich, nach dem Abitur eine Ausbildung in München zu machen. Ich brauchte Abstand. Ich wechselte also die Stadt, doch die Essstörung blieb. Ich entfernte mich noch weiter von mir selbst, war nur noch bei Freunden oder feierte, aus lauter Angst davor, ganz alleine zu sein. Alleinsein – das war meine Panik, wie ich aus heutiger Perspektive weiß. Ich war abhängig von den Menschen, die ich liebte, denn sobald ich mit mir alleine war, gab es nur noch ein schwarzes Loch.
Foto: Aslan Eylul
Hilfe! Holt mich hier raus
Nach etwa zwei Jahren in der Angst, dass die Fressattacken und das Erbrechen doch nicht von selbst aufhören würden, schrieb ich meinen Eltern, meiner Schwester und meinem damaligen Freund einen Brief. Dass ich ihnen von der Essstörung erzählte (und sie mir dadurch auch selbst eingestehen konnte), war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ich wollte etwas tun, doch vor allem erwartete ich, dass mich jemand rettet. Ich besuchte eine Beratungsstelle in München, wurde darüber aufgeklärt, welche Therapiemöglichkeiten es gab, und bekam eine klassische Ernährungsberatung.
Danach folgte die Suche nach einem Therapieplatz. Als ich ihn nach Monaten endlich hatte, besuchte ich einmal pro Woche eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie. Nach zwei Jahren brach ich sie aber auf eigenen Wunsch hin ab, weil sie mir wie reine Zeitverschwendung vorkam. Auch wenn ich damals verzweifelt war und nicht weiter wusste, schlummerte immerhin ein Funken Vertrauen in mir, dass es einen besseren Weg für mich gab, irgendwo und irgendwann. Es folgten Selbsthilfegruppen, Hypnose, die Besichtigung von therapeutischen Wohngruppen und Tageskliniken – ich wollte alles wissen und kennenlernen, doch fand mich nirgends wieder und beschloss, allein weiterzumachen.
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Ich bin allein!
Das Leben lief eine ganze Weile so vor sich hin. Ich beendete erfolgreich meine Ausbildung in München, wurde übernommen und entschied ein halbes Jahr später, einen tollen Job in Hamburg anzunehmen. Nach fünf Jahren ging die Beziehung mit meiner ersten großen Liebe zu Ende. Für mich war das ein sehr schmerzhaftes Erlebnis, denn es war unterbewusst der Beweis, dass ich allein war. Ich war Nichts.

MEIN ALLTAG BESTAND AUS ARBEIT, SPORT, PARTY, ALKOHOL, FRESSANFÄLLEN UND ERBRECHEN

Kira Siefert
Ende 2013 gab es dann nur noch zwei Möglichkeiten: leben oder nicht leben. Da ich im Kern ein fröhlicher und positiver Mensch bin, entschied ich mich fürs Leben und gab mir eine letzte Chance, indem ich mich von einem Neurologen auf eigenen Wunsch in eine Psychosomatische Klinik einweisen ließ. Das war einer von vielen wichtigen Schritten auf meinem Weg.
Zu meinen Eltern brach ich den Kontakt ganz ab, da ich noch immer dachte, dass sie meine Essstörung auf irgendeine Art und Weise beeinflussten. Ich wollte mich nur um mich kümmern und herausfinden, wer ich bin. Was mag ich? Was wünsche ich mir? Welche Bedürfnisse habe ich? Der Aufenthalt in der Klinik hat mir ein ganz neues Verständnis von mir selbst ermöglicht. Auch wenn meine eigentliche Entwicklung erst nach der Klinik begann und es viele Rückfälle gab, habe ich darauf vertraut, meinen Weg zu finden und ihn weiter zu gehen.
Foto: Aslan Eylul
Was bleibt ohne Essstörung?
Ich fing an, mich intensiv mit meiner Essstörung auseinanderzusetzen. Ich versuchte, sie zu spüren, sie anzuhören, zu schauen, wer sie ist und was sie braucht. Ich lernte sie kennen wie eine beste Freundin. Es ging also nicht mehr darum, sie loszuwerden, zu bekämpfen, zu hassen oder abzulehnen. Denn all das, was ich über die Essstörung gedacht habe, waren Dinge, die ich auch über mich selbst dachte. Ich identifizierte mich mit der Essstörung, sie war ein fester Teil von mir. Ich begann also, mich ihr liebevoll zu nähern, sie zu akzeptieren. Heute bin ich sogar sehr dankbar für die Lektion, die ich durch die Essstörung lernen durfte. Durch verschiedene Seminare, mein Umfeld, diverse Workshops, berufliche Weiterentwicklungen (ich wechselte seit meinem Ausbildungsende fünf Mal den Job), Achtsamkeit, Coachings bis hin zur eigenen Coaching-Ausbildung bin ich so gestärkt, so dass ich Schritt für Schritt Verantwortung für mich, mein Leben und mein Handeln übernommen habe.
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NACH ALL DEr Zeit IN SCHAM, SCHWEIGEN UND SELBSTHASS HABE ICH MICH VOR ALLEM IN DEN LETZTEN DREI JAHREN AUF EINEN WEG RICHTUNG FREIHEIT, LEICHTIGKEIT UND SELBSTLIEBE BEGEBEN

Kira Siefert
Foto: Aslan Eylul
Meine Name ist Kira, ich bin 27 Jahre alt, hatte über zehn Jahre eine Essstörung und liebe mich heute so, wie ich bin, mit allem was war, ist und wird. Deshalb bin ich heute SoulFood Coach. SoulFood ein selbst entwickelter Ansatz, der auf verschiedenen Wissenschaften und persönlicher Erfahrung basiert, weil ich mir nichts mehr wünsche, als das alle Frauen lernen, sich selbst und ihren Körper so zu lieben, wie er im Hier und Jetzt ist, anstatt ihn zu sabotieren und zu hassen.
Ich weiß, dass in jeder Frau ein individueller und persönlicher Weg verborgen liegt. Jeder kann durch Training lernen, den passenden Schlüssel zu seinem Herzen zu finden, es zu öffnen und sich auf den Weg zur eigenen Wahrheit zu machen.

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