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Meine Nachbarin tyrannisierte mich mit unzähligen Nachrichten an der Tür – jetzt schreibe ich ihr auch eine

Es ist Mittwochabend, 19.30 Uhr. Müde vom langen Tag im Büro schließe ich die Haustür auf, stiefel bis in den dritten Stock, mit dem Ziel, in meiner Wohnung erschöpft aufs Sofa zu fallen. Doch dann hängt er da wieder. Der weiße DINA4-Zettel, gefaltet, mit einem Tesa-Streifen an die braune Holztür geklebt.
"Hallo Nachbarn über mir, waschen Sie eigentlich für die ganze Straße? Beim Schleudern fährt bei mir ein Motorrad durch die Wohnung. Dabei sind sie auch tagsüber so VIEL zu Hause. Mehr Rücksicht bitte."
Oh Mist, sie hat ja recht. Meine Mitbewohnerin und ich sollten dringend mehr Rücksicht nehmen und weniger zu Hause sein. Wie können wir es auch wagen, um 7.30 Uhr das Haus zu verlassen, irgendwann zwischen 19 und 24 Uhr wieder zurückzukommen und am Wochenende Freunde und Familie zu besuchen?
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"Der ewige Lärm ist auf Dauer nicht zu ertragen"

Aber das mit dem Motorrad fahren in der Wohnung ist ein interessanter Gedanke. Vielleicht lege ich mir aber erst einmal eine Vespa zu.
"Der ewige Lärm ist auf Dauer nicht zu ertragen über meinem Kopf. Heute Sonntagmorgen schon 2 Stunden."
Diese Beschwerde habe ich an der Tür gefunden, nachdem ich an besagtem Sonntag vor der Arbeit folgenden Lärm in der Wohnung verursacht hatte: Kaffeegekocht, geduscht, angezogen, Tür aufgeschlossen, Tür wieder abgeschlossen. Ja, ich weiß, das ist auch wirklich unverschämt von mir.
Aber mein Lieblingsschreiben enthält folgende Botschaft:
"Ich bitte Sie, im Sommer nicht barfuß zu laufen. Mit jedem Schritt landet ihre Ferse mit Gewummer in meiner Wohnung."
Hm, ja, ich hatte sowieso überlegt, endlich mal fliegen zu lernen. Oder ob es wohl besser ist, wenn ich mir bei 30 Grad Wollsocken überziehe?
Ich kann es kaum mehr zählen, wie oft ich schon solche Zettel von der Nachbarin unter uns an der Wohnungstür gefunden habe.

Ich habe einen Vorschlag für Sie

Aber wenn sich die nette Dame so viel Mühe mit Handgeschriebenem gibt, ist es jetzt an der Zeit, ihr auch mal einen Brief zu schreiben. Hier ist er:
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"Verehrte Dame unter uns. Zunächst einmal vielen herzlichen Dank für Ihre hartnäckigen Bemühungen, uns niemals vergessen zu lassen, dass es Ihnen am liebsten wäre, wenn wir weder laufen, essen, trinken, duschen oder generell existieren würden. Diese Botschaft ist angekommen.
Ich muss Sie aber leider enttäuschen. Ich habe nicht vor, mir ständig neue Klamotten zu kaufen, damit ich sie nicht waschen muss. Ich habe auch nicht vor, über den Boden zu krabbeln, anstatt zu gehen. Und ich möchte auch nicht mit dem Duschen und Kaffeetrinken aufhören – beides wäre wohl äußerst unangenehm für alle anderen Menschen, mit denen ich zu tun habe. Das kann ich leider nicht verantworten.
Ich kann verstehen, dass Sie sich einsam fühlen, so ganz alleine in Ihrer Wohnung. Ich habe Sie noch nicht oft gesehen, aber ich würde Sie auf mindestens 65 Jahre schätzen – vielleicht sind Sie auch schon älter. Ich habe bei meinen Großeltern erlebt, wie schnell Alleinsein traurig und verbittert machen kann.
Deshalb habe ich einen Vorschlag: Wie wäre es, wenn Sie, anstatt uns anonyme Briefe zu schreiben, mal auf einen Kaffee zu uns kommen würden? Ich backe auch einen Kuchen (und versuche, möglichst leise zu sein).
Ich würde Sie gerne kennenlernen. Vielleicht verstehe ich Sie dann besser. Und Sie mich auch.
Und wer weiß, vielleicht kommen Sie danach sogar öfter vorbei.
Liebe Grüße,
die Nachbarin von oben"
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