Nach meinem ersten Unijahr kam ich nach Hause und sagte zu meiner Stiefmutter, ich wäre dabei, dick zu werden.
Sie hatte mich gefragt, wie es in der Uni lief. Ich lehnte an unserem Esszimmertisch und sagte: „Ich habe Fettpolster an meinen Seiten bekommen und ich werde sie nicht mehr los.”
Sie sah mich an, als würde mir etwas total Offensichtliches entgehen. Ich stand da und wartete geduldig auf Mitgefühl.
„Die wirst du auch nicht mehr loswerden”, sagte sie. „Das ist kein Fett. Du hast Hüften bekommen. Das sind Hüften.”
Sie hatte recht. Ich war nicht fülliger geworden, sondern mit 18 einfach in die letzte Phase der Pubertät gekommen und hatte jetzt endlich Hüften. Ich war nicht begeistert.
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Als ich 14 war und klar, dass ich keine Gabby Douglas oder Kyla Ross werden würde, hatte ich meine Turnkarriere an den Nagel gehängt. Die 16 Stunden, die ich pro Woche auf der Matte verbrachte, bedeuteten nämlich auch, dass ich kein normales Sozialleben führen konnte. Ich hatte keine Zeit für Chor oder Schüler*innenvertretung, meine Noten wurden schlechter und ich wurde zu keinen freitäglichen Filmabenden eingeladen, weil jeder wusste, dass ich sowieso keine Zeit hätte. Ich hatte keine Lust mehr auf ein Leben, das sich nur um Gymnastikkleidung und Kreide, um Reckleder und Pomade drehte.
Als ich mit dem Turnen aufhörte, hatte es jedes andere Mädchen in meiner Klasse schon größtenteils durch die Schützengräben der Pubertät geschafft—aber bei mir hatte sie noch nicht einmal begonnen. Ich hatte meine Periode noch nicht bekommen, meine Brust war so flach wie sie nur sein konnte und ich hatte keine Hüften. Ich war stolz darauf, was mein Körper leisten konnte, aber obwohl ich bald in die 10. Klasse kommen würde sah ich aus wie ein zehnjähriges Mädchen mit Waschbrettbauch. In diesem Jahr sagte ein ausgewachsenes Mean Girl (der ihre Pubertät übrigens auch keine großen Brüste beschert hatte) zu mir, dass ich schön sein könnte, würden ich und meine Brüste nur ein bisschen wachsen. Das war zwar nicht der Grund, warum ich das Turnen aufgab, aber ich war schon ein wenig neidisch auf die Mädchen in meinem Umfeld, die alle plötzlich wie Frauen aussahen.
In den zwei Jahren danach nahm ich zehn Kilo zu. Ich bekam tatsächlich Brüste, aber sehr zu meinem Verdruss auch Dehnungsstreifen. Mein Six Pack blieb mir zwar noch eine Weile erhalten, aber nach und nach verschwand es dann doch. Meine Muskeln waren weniger stark definiert. Meine knochigen Wangen wurden runder. Es dauerte vier Jahre, bis ich 18 war, bis der letzte Teil meines erwachsenen, post-Athletinnen-Körpers sich bemerkbar machte: Meine Hüften.
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Ein Teil von mir hatte sich zwar darauf gefreut, endlich das zu haben, was ich als „normalen” Körper sah, einen Körper, dem man mein wahres Alter ansah, der mich nicht aussehen ließ, wie ein Mädchen, das noch auf ihre Zwölfjahrmolaren wartet. Aber als ich diesen Körper dann hatte, fühlte er sich fremd an—als passte ich nicht ganz in meine Haut, so wie eine Jeans nicht gut genug sitzt, um sie zu kaufen.
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Wenn man den Sport aufgibt, verliert man auch die Identität, die mit dem durchtrainierten Körper verknüpft war.
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Die Veränderungen hatten nicht nur mit Gewicht zu tun: Auch die Spuren, die der Sport auf meinem Körper hinterlassen hatte waren vollkommen verschwunden. Ich hatte keine Blasen mehr an meinen Händen, keine Blutergüsse an meinen Schienbeinen davon, gegen den Barren zu stoßen wenn ich den Aufgang nicht perfekt hinbekam. Die Tatsache, dass meine Handgelenke schwach waren, war nicht länger prägender Teil meiner Identität. Die Bauchmuskeln, die ich jahrelang aufgebaut hatte waren kaum noch bemerkbar. Ich brauchte sie ja schließlich nicht mehr um drei Sätze à fünfzehn Pull-ups zu machen. Theoretisch war es unwichtig. In meiner Realität aber nicht.
Wenn dein Körper jahrelang super fit war und sich kaum verändert hat, ist es merkwürdig, ihn so schnell so viele Veränderungen durchmachen zu sehen. Meine Pubertät traf mit meiner ersten Gewichtszunahme zusammen, zu einer Zeit, als die meisten meiner Mitschülerinnen ihre Entwicklung schon abgeschlossen hatten.
Und als ob das noch nicht genug gewesen wäre, trauerte ich wegen der physischen Veränderungen nun ein zweites Mal um meine Turnkarriere. Als Athletin konzentriert man sich stark auf seinen Körper: Man arbeitet pausenlos an ihm, um schneller laufen, weiter springen und länger durchhalten zu können. Und wenn man den Sport aufgibt, verliert man auch die Identität, die mit dem durchtrainierten Körper verknüpft war.
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Du hast also gar keine andere Wahl, als dir eine neue physische Identität aufzubauen, eine Identität, die auch zu deinem neuen Leben passt. Und du musst lernen, wie deine Beziehung zu deinem Körper—und deinem Leben—ohne Sport aussieht.
Ich fing an zu laufen und turnte sogar hin und wieder, ohne dabei an Leistung zu denken. Aber ich war auch offen für andere Hobbies. Das war schließlich einer der Hauptgründe gewesen, warum ich nicht länger jede Woche 16 Stunden trainieren wollte. Ich hatte mir gewünscht, dass mein Leben nicht mehr hauptsächlich aus Turnen bestand. Also schloss ich neue Freundschaften, konzentrierte mich wieder mehr auf meine Noten und fing an, Theater zu spielen. Und all das tat meiner Psyche gut, auch wenn es bedeutete, dass mein Körper nicht mehr so fit war, wie zuvor.
Um ehrlich zu sein glaube ich, dass ich einfach etwas Zeit brauchte, um meine neue Figur zu akzeptieren; es dauerte eine Weile, bis ich mich in meinem neuen Körper wohl fühlen konnte. Aber ich wuchs langsam in ihn hinein. Irgendwann hatte ich gelernt, in den Spiegel zu sehen und meinen neuen Körper anzuerkennen, mitsamt den ungeliebten Hüften. Und je länger ich meinen Körper wertschätzte, unabhängig von meinen sportlichen Leistungen, desto stärker veränderte sich seine Bedeutung für mich—sie wurde viel geringer. Mein Körper war nicht mehr dazu da, Wettkämpfe zu gewinnen, und konnte mich deshalb nicht länger definieren.
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