Sophie Allen war 29 und hatte gerade ihr erstes Kind auf die Welt gebracht, als sie zum ersten Mal eines der Symptome von Multipler Sklerose – wie sie mittlerweile weiß – bemerkte.
„Alles lief wie am Schnürchen“, sagt Sophie, die jetzt 38 Jahre alt ist. „Ich hatte eine natürliche Geburt und alles verlief großartig. Doch dann, als Felicity etwa sechs Wochen alt war, fing ich plötzlich an, ‚weißzusehen‘. Es war so, als ob ich ein bisschen zu lange in der Sonne gewesen wäre und sich meine Augen drinnen erst wieder an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnen müssten.“
Zuerst ignorierte Sophie diese Anzeichen, aber nach ein oder zwei Tagen waren sie immer noch da. Nach einem Arztbesuch wurde sie ins Krankenhaus überwiesen. Trotz tagelanger Aufenthalte und zahlreicher Tests konnten Ärzt:innen auch zwei Jahre nach ihrer Entlassung nicht klar festlegen, was mit Sophie los war.
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Diese war sich nicht sicher, ob sie ein weiteres Kind bekommen sollte, da nicht sicher war, ob ihre Sehstörungen möglicherweise auf ihre erste Schwangerschaft zurückzuführen waren. Nach drei Jahren entschied sie sich jedoch, es zu wagen: Ihre Schwangerschaft verlief gut, aber ein Jahr später verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand wieder.
„Ich hatte komische Empfindungen in meinen Beinen, die sich wie Nadelstiche anfühlten“, erinnert sie sich. „Es fing zuerst in nur einem Bein an, das so angespannt war, dass ich irgendwann ein wenig zu hinken begann.“ Sie fühlte sich oft müde und fand Dinge wie den Elternlauf am Sporttag ihrer älteren Tochter auf einmal zu anstrengend. Die Müdigkeit führte sie auf das Stillen der Zwillinge zurück, die mangelnde Beweglichkeit auf ihre durch den Kaiserschnitt geschwächte Körpermitte.
Sophie gibt zu, dass sie sich dagegen sträubte, einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen, weil sie es gehasst hatte, nach der Geburt ihrer älteren Tochter so viele Tests durchführen lassen zu müssen. Außerdem hatte sie Angst. MS war zwar erwähnt worden, aber nicht diagnostiziert, als sie das erste Mal im Krankenhaus war. Da sie während ihres Studiums eine klinische Ausbildung gemacht und deshalb alles rund ums Thema neurologische Krankheiten wie MS gelernt hatte, war eine solche Diagnose ihr schlimmster Albtraum.
Glücklicherweise bestand ihre Mutter auf einen weiteren Arztbesuch. Nach einer Überweisung, weiteren Tests und einem MRT-Scan wurde dieses Mal bei Sophie MS diagnostiziert.
„Am Anfang war ich ein bisschen benommen“, sagt sie. „Um ehrlich zu sein, hatte ich diese Diagnose irgendwie erwartet. Weil ich solche Angst davor gehabt hatte, hatte ich mich vor weiteren Arztbesuchen gedrückt und den Kopf in den Sand gesteckt.“
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Nach der Diagnose fühlte sie sich von sich selbst entfremdet: „Ich fühlte mich nicht mehr wie die Person, die ich immer zu sein geglaubt hatte. Das war ein beunruhigendes Gefühl. Davor hatte ich zu jenen Menschen gehört, die immer sehr intuitiv mit ihrem eigenen Körper umgehen. Das änderte sich aber, als ich plötzlich von ihm im Stich gelassen wurde.“
Das Interesse an MS wurde kürzlich wieder in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit gerückt, nachdem Schauspielerin Selma Blair, 46, ihre Diagnose auf Instagram enthüllte. Wie Sophie lebte sie jahrelang mit dem, was sie jetzt als Symptome von MS erkennen kann. Im Moment gibt es keine Heilung, aber Behandlungen können das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen und dafür sorgen, dass die Beschwerden eines Rückfalls kontrolliert werden können. Im schlimmsten Fall führt MS zu schweren Behinderungen und einer verkürzten Lebenserwartung. Bei den meisten Menschen, so auch bei Sophie, wird „wiederkehrende“ MS diagnostiziert, die mit der Zeit fortschreitet. Leider ist diese Erkrankung schwer zu diagnostizieren. Deshalb ist es so wichtig, dass Hausärzt:innen in der Lage sind, Patient:innen an Neurolog:innen zu überweisen. Die Symptome sind von Person zu Person unterschiedlich. Was aber alle Fälle gemein haben, ist, dass die Krankheit dadurch verursacht wird, dass das Immunsystem die Schutzhülle der Nerven (Myelin) angreift. In Deutschland leiden etwa 130.000 Menschen an MS, wobei Frauen weit häufiger daran erkranken als Männer.
MS ist eine Erkrankung, die überwiegend bei Frauen – meist in ihren 20ern und 30ern – diagnostiziert wird. Dr. Susan Kohlhaas, Forschungsdirektorin der MS Society UK, kennt die Angst, die eine solche Diagnose auslösen kann: „In einer Zeit, in der Betroffene viel über zukünftige Entscheidungen, die mit der Karriere oder der Familienplanung zu tun haben, nachdenken, kann eine ungewisse Prognose wirklich beunruhigend sein.“
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Es gibt jedoch eine Reihe von Mythen in Zusammenhang mit dieser Krankheit, die unnötig zu dieser Angst beitragen können. Erstens sagt sie, dass Frauen mit MS die Option nicht ausschließen müssen, eine Familie zu gründen. Wenn eine Person MS in ihrer Familie hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie daran erkrankt, (nur) zwei- bis dreimal so hoch als ohne MS-Erkrankte in der Familie. Einfach ausgedrückt: Das Kind einer Person mit MS hat immer noch eine viel höhere Chance, die Krankheit nicht zu bekommen, als daran zu erkranken – das ist aber keine sichere Sache. Zweitens: Eine Schwangerschaft verschlimmert die Symptome in Zusammenhang mit MS einer Frau nicht. Wie Sophie herausfand, sinkt die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls während der Schwangerschaft und steigt dann für kurze Zeit wieder an. Es gibt ein paar häufige Krankheitszeichen, die MS-Patient:innen während eines Relapses erleiden können: Probleme mit dem Sehvermögen, Schwierigkeiten beim Gehen und Sprechen, „Gehirnnebel“, Schmerzen, Steifheit, Zittern, Blasen- und Darmprobleme und Mühe, zu schlucken. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Relapse nach einer Schwangerschaft langfristige Auswirkungen haben. Weitere gute Neuigkeiten sind, dass es im Bereich der MS-Forschung eine Reihe neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse gibt, die helfen könnten, das Fortschreiten der Krankheit zu stoppen.
Für Sophie waren die ersten zwölf Monate nach ihrer Diagnose die schwersten. Die Wartezeit bis zum Beginn der Behandlung war zwar kurz, dafür war die Angst vor dem Auftreten neuer Symptome aber groß. Direkt nach der Diagnose erlitt sie einen Rückfall, wie es Ärzt:innen zufolge oft der Fall ist. Mit der Unterstützung anderer Menschen schaffte sie es aber, wieder ein „normales“ Leben zu führen. An jenen Tagen, an denen sie ihre Kinder nicht allein zur Schule bringen konnte, stützte sie sich zum Beispiel beim Gehen auf ihren Vater. Drei Jahre später ist sie immer noch fit und aktiv und fährt an den Wochenenden oft mit ihrem Mann Rad, obwohl er zugegebenermaßen immer noch für das Beladen des Fahrradträgers am Auto zuständig ist.
Angesichts des enormen Stresses und der Veränderungen ist Sophie erstaunlich optimistisch. „Die Krankheit hat mein Leben verändert“, fasst sie zusammen. „Ich musste mich zwar zuerst an die neuen Umstände gewöhnen, aber im Endeffekt hat es mein Leben zum Besseren verändert. Davor war ich nämlich immer ein Mensch gewesen, bei dem das Glas halb leer war. Jetzt habe ich eine ganz andere Lebensauffassung als früher.“
Hier findest du eine Orientierungshilfe, falls du vermutest, an MS zu leiden oder damit bereits diagnostiziert wurdest.
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