#mumboss: laut Instagram eine Frau, die werdende oder bereits Mutter ist und ihr Leben mehr als nur im Griff hat. Auf der Social-Media-Fotoplattform scheint es zwischenzeitlich so, als würden Eltern ihr bloßes Dasein zu Geld machen. Bloggen, bläken und bossy sein – und das am besten schon während der Elternzeit. Dabei bleibt die Tatsache auf der Strecke, dass, während die ambitionierten Super-Moms of Instagram schon in den ersten Wochen nach der Entbindung das nächste #Careergoal ins Auge fassen, sehr, sehr viele Frauen damit beschäftigt sind, Narben verheilen zu lassen und sich an einen neuen (nicht existierenden) Schlafrhythmus zu gewöhnen. Die dabei Schwierigkeiten haben, morgens überhaupt aus dem Bett zu kommen, geschweige denn, die Kleidung sauber und den Haushalt intakt zu halten.
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„Es wird einfach erwartet, dass wir das schaffen“, so Harriet Jones, eine 33-jährige Mutter, die kürzlich erst an ihren Arbeitsplatz zurückging. „Mittlerweile herrscht so ein unterschwelliger Druck vor, den Mutterschutz nach der Geburt so effektiv und lukrativ wie möglich zu gestalten. Dabei geht es um die Optimierung des eigenen Lebens, im Idealfall auch um die der Karriere, und darum, zu beweisen, dass man weiterhin Ambitionen und Ziele hat.“ Das alles zu schaffen – die Versorgung des Neugeborenen, die eigene Fürsorge, den Haushalt zu schmeißen und dabei am besten noch einen Strickkurs zu besuchen, während man schon am Businessplan für das nächste Startup sitzt – ist ohne weitere Hilfe schier unmöglich. Und Hilfe kostet, ob nun Haushaltshilfe oder Kindermädchen.
„Viele Menschen sind sich der Arbeit nicht bewusst, die hinter Kindern steckt. Viele denken, dass man nur zu Hause sitzt und nichts tut“, so Emily Simmons, eine 33-jährige Mutter zweier Kinder. Sie glaubt, dass ohne Nanny eigentlich nichts geht: „Menschen, die dieses Bild propagieren, müssen Hilfe haben. Anders ist es faktisch nicht möglich, während der ersten Monate all diese Meetings, Reisen und Unternehmungen zu bewältigen. Online wird das ‚was‘ zelebriert, aber das ‚wie‘ dahinter verheimlicht.”
Ähnlich sieht es auch Lea Sophie-Cramer, CEO von Amorelie, und spricht ganz offen darüber, dass sie, vor allem als Selbstständige und Geschäftsführerin eines eigenen Unternehmens Hilfe braucht, um sich auf Arbeit und Job gleichzeitig zu konzentrieren. „Zu Hause habe ich neben meinem Partner, der Kita und meiner Mutter auch ein tolles Aupair-Mädchen, die bei uns lebt und mir sehr viel Arbeit abnimmt“, so Sophie-Cramer im Interview. Auch in der Anfangsphase musste sie improvisieren, weil sie ihrer Arbeit nicht ohne Weiteres fernbleiben konnte: „In den ersten acht Monaten hatte ich meinen Sohn mit in der Firma. Zum Glück haben wir ein Büro, in dem er ganz wunderbar dabei sein konnte.“
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Denn die Realität ist doch die: Viele Frauen fühlen sich unter Druck gesetzt, schnell wieder zur Arbeit zurückzukehren, um den Sprung zur Karriere wieder zu schaffen. „Es ist wahr. Gefühlt hat dieser Trend der Super-Moms in Deutschland zwar noch nicht ganz so Überhand genommen wie etwa in den USA oder Australien, wo auch die Gesetzeslage zum Mutterschutz eine andere ist. Man hat aber trotzdem nicht mehr das Gefühl, eine Zeit lang einfach mal Mama sein zu dürfen“, so Anna*, 31, die mit ihrem 6-Monate alten Sohn und ihrem Partner in Berlin lebt und selbstständig ist, „Als junge Mutter bekommt man schnell ein schlechtes Gewissen, wenn man nach der Geburt nicht sofort anfängt, Mutter-Kind-Kurse zu besuchen. Wer das nicht tut, sollte legitime Gründe haben: nebenbei drei Sprachen lernen, neue Hobbies entdecken und natürlich schnellstmöglich wieder so aussehen wie vor der Schwangerschaft. Das kann einen schon ziemlich schnell einschüchtern.“
Der Mutterschutz kann zwar gesetzlich verankert sein und in der Theorie durchaus großzügig ausfallen, findet Caroline Gatrell von der Universität Liverpool. Ohne garantierten Anspruch auf den alten Arbeitsplatz bei Rückkehr hebe sich der Schutzfaktor jedoch auf. Mütter, aber auch Väter, die in Elternzeit gehen, würden indirekt dazu gezwungen, ihre Auszeit so kurz wie möglich zu halten, beziehungsweise diese berufsbezogen effektiv zu nutzen.
Schwierig wird es vor allem dann, wenn Mütter selbstständig oder freiberuflich sind. Der Mutterschutz ist dann noch gefährdeter. „Viele Mütter, die aus festen Arbeitsverhältnissen kommen, haben zumindest rechtlich die Möglichkeit auf die volle Dauer. Und auch finanziell schlägt sich das anders nieder. Frauen, die freiberuflich arbeiten, haben es da schwieriger, da sie auftragsbasiert arbeiten“, so Gatrell. Für viele dieser Frauen, wie auch für Alleinstehende, ist der möglichst lückenfreie Übergang zurück zur Arbeit oft die einzige Möglichkeit.
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Größere Schwierigkeiten haben dabei vor allem Frauen, die zum ersten Mal Mutter werden. Mütter, die bereits ein oder mehrere Kinder haben, gingen oftmals gelassener an die Situation heran. „Besonders neue Mütter, die noch kein Kind haben, nehmen den gesellschaftlichen Druck als immens wahr. Den Druck, dass Arbeit und Mutterschaft möglichst zügig und einfach miteinander zu kombinieren sind“, so Gatrell.
Gleichzeitig zeigten Studienergebnisse des University College London (UCL), dass Frauen, die schnell wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehrten, oft Schuldgefühle haben, dass sie nicht mehr Zeit mit ihrem Kind verbacht haben. „Die vorherrschende Annahme ist, dass Frauen, so sie denn ihren Job temporär verlassen, sich wirklich zu 100% auf ihr Kind und auf seine Entwicklung und die Meilensteine, die es durchmacht, konzentrieren. Wenn das vorbei ist, soll man sich wieder voll und ganz auf die Arbeit konzentrieren können“, so Katherine Twamley von der UCL Fakultät für Sozialwissenschaften. Für diejenigen, die frühzeitig wieder zu arbeiten begannen, wirkte sich die „verlorene Zeit mit dem Kind“ demnach psychisch negativ aus. Auch Anna ist dieser Meinung: „Während man sich im Mutterschutz befindet, sollte man dann bitte auch die Übermama sein und alles soll sich um das Kind drehen – so lautet der allgemeine Konsens.“
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Der Mutterschutz darf nicht zum neuen Home Office werden
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Twamley bemerkt außerdem, dass es sich auch mit Männern, die in Elternzeit gehen, nicht anders verhält oder durch höheren Leistungsdruck sogar noch prekärer ist. Twamley und ihre Forschungsteam fanden heraus, dass „fast alle“ an der Studie teilnehmenden Männer während der Auszeit eindeutige Ziele hatten. Der Druck, „etwas zu erreichen“ sei unter Vätern noch weitaus höher, erzählt Twamley. Dabei drehe es sich primär um private Anliegen wie etwa das Erlernen eines Instruments oder Handwerksarbeiten.
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Umsetzbar fanden das jedoch die wenigsten: „Fast jeder von ihnen hat weit weniger geschafft als anfangs erhofft. Das lag unter anderem daran, dass der Zeitaufwand eines Kindes schwer unterschätzt wird und einem sehr viel weniger Zeit bleibt für Dinge, die man sich ursprünglich vorgenommen hatte. Einige der Teilnehmer berichteten außerdem davon, dass ihre Vorgesetzten explizit „extra Arbeit“ verlangten, damit die Angestellten nicht hinterher hinken würden“, so Twamley.
Natürlich habe diese Entwicklung auch positive Seiten. Man könne zum Beispiel sehr schnell Gleichgesinnte finden oder Tipps und Tricks über diverse soziale Plattformen austauschen. Auch die Tatsache, dass man sich arbeitende Frauen zum Vorbild nehmen können, sei zweifellos großartig. „Ich denke jedoch, dass der Mutterschutz wirklich auch dem Schutz der Mutter dienen sollte“, so Harriet Jones. „Dass sie sich in dieser Zeit sich selbst und ihrem Kind widmen kann und vielleicht ab und zu aus dem Haus kommt, um anderen Menschen zu begegnen und darüber zu reden. Bei all dem Glück und der Liebe brauchen eben auch Mütter ganz besonders am Anfang jemanden zum Reden.“
Wir gehen vollkommen mit: Der Mutterschutz darf nicht zum neuen Home Office werden!
*Name wurde auf Wunsch der Befragten von der Redaktion geändert
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