Ich war 17, als ich mir die Pille verschreiben ließ, ohne wirklich zu wissen, was sie in meinem Körper bewirken würde. Schon vorher hatte ich meine Freundinnen dabei beobachtet, wie sie in der Hofpause die Plastik-Blisterpackungen aus der Tasche zogen und sich eine der kleinen Pillen in den Mund warfen. Sie nahmen die Pille, weil sie Akne oder Sex hatten (oder auch beides). Als ich also meine erste ernste Beziehung mit einem Jungen hatte, war es ganz selbstverständlich, dass ich einen Termin bei meiner Gynäkologin buchte und selbst um die Pille bat.
Als ich diesen Termin machte, befand ich mich gerade in einer ziemlich entscheidenden Phase meines Lebens. Ich war damals noch auf der Oberschule. Kurz danach zog ich aber aus meiner Heimatstadt weg, um zur Uni zu gehen, wo ich plötzlich gleichzeitig einen völlig neuen Bekanntenkreis, ein Sexleben und natürlich das Studium zu managen hatte. Während dieser Zeit veränderte sich auch mein Körper: Ich schlug mich auf einmal regelmäßig mit Angstzuständen rum, entwickelte ein Reizdarmsyndrom, nahm an Gewicht zu und bekam mit der Zeit absolut reine Haut. Ich habe keine Ahnung, ob all das mit der Pilleneinnahme zusammenhing – oder nur damit, dass ich die Pubertät hinter mir gelassen hatte. Während der sechs Jahre, die seitdem vergangen sind, habe ich aber oft darüber nachgedacht, welcher Mensch ich wohl heute wäre, wenn ich nicht während meiner letzten Teenie-Jahre und frühen 20er hormonell verhütet hätte. Nachdem mir meine Ärztin aber vor Kurzem empfiehl, wegen meiner Migräne auf die Minipille umzusteigen (die nur Gestagen enthält), beschloss ich, diese Chance zu nutzen, um mal eine komplette Pillenpause einzulegen.
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Bei meinem letzten Kontrolltermin bei der Gynäkologin versicherte sie mir, es sei wenig riskant, die Pille über lange Zeit hinweg einzunehmen, und dass das Absetzen weder meine Langzeit-Fruchtbarkeit fördern noch das Potenzial zukünftiger Gesundheitsprobleme reduzieren würde. Solange ich aber auf andere Verhütungsmöglichkeiten setzte, gab es keinen Grund dafür, die Pille nicht abzusetzen, wenn ich das wollte. Ich konnte die Einnahme sogar noch am selben Tag stoppen. Ein weiterer Faktor in meiner Entscheidung war der, dass ich schon seit Jahren davon gelesen hatte, wie enorm sich die Pille auf ihre Einnehmenden auswirken kann. Als ich sie mit 17 zum ersten Mal verschrieben bekam, warnte mich meine Ärztin lediglich vor dem geringen Risiko ernsthafter Gesundheitsprobleme (wie Thrombosen oder Gebärmutterhalskrebs), und in Gesprächen mit meinen Schulfreundinnen hatte ich mitbekommen, dass die Pille zu einer Gewichtszunahme führen könnte (obwohl es dafür bisher nicht genügend wissenschaftliche Belege gibt). Was ich damals aber noch nicht wusste: dass die synthetischen Hormone in der Pille womöglich meinen Sexualtrieb, meine Stimmung und sogar meine Hirnfunktion beeinflussen konnten.
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Während der sechs Jahre, die seit meiner ersten Pille vergangen sind, habe ich oft darüber nachgedacht, welcher Mensch ich wohl heute wäre, wenn ich nicht während meiner letzten Teenie-Jahre und frühen 20er hormonell verhütet hätte.
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Die Psychologin Dr. Sarah E. Hill hat sich auf Frauengesundheit spezialisiert. In ihrem Buch Wie uns die Pille verändert: Alles, was Frauen über die Pille wissen müssen befasst sie sich mit dem Einfluss der hormonellen Verhütung auf das Gehirn und den Körper. „Ich denke, wir sollten es sehr ernst nehmen, dass wir die Fruchtbarkeit von Frauen zu regulieren versuchen, indem wir ihre Hormone verändern. Unsere Hormone tun nämlich noch so viel mehr, als nur unsere Periode zu beeinflussen“, sagt sie.
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Dr. Hill bestätigt mir, dass ein großer Teil des Social-Media-Contents, der mir in letzter Zeit in den Feed gespült wird, potenzielle Panikmache ist. Viele dieser Posts behaupten zum Beispiel, die Pille sei wissenschaftlich überhaupt nicht belegt. In einem TikTok-Clip aus einem Podcast wird beispielsweise behauptet, dein Körper denke unter dem Einfluss der Pille, du seist schwanger. Und dann wird dort sogar gesagt, es sei „vielleicht keine gute Idee, unter dem Einfluss von Drogen eine:n Lebenspartner:in zu finden“.
„Natürlich ist es gut, vorsichtig zu sein und gründlich darüber nachzudenken, bevor wir unserem Körper neue Dinge zuführen“, meint Dr. Hill. Ihre Forschung beschäftigt sich unter anderem damit, warum so vielen Leuten empfohlen wird, die Pille zu nehmen, ohne sie ausreichend über deren potenzielle Nebenwirkungen zu informieren. Trotzdem betont sie, dass sich die Pille auf jeden Menschen verschieden auswirkt, und dass allgemeine Behauptungen wie die in diesem TikTok-Video nicht (immer) stimmen.
Noch dazu gibt es sehr viele verschiedene Anti-Baby-Pillen – einer der Gründe dafür, warum sie verschiedene Menschen unterschiedlich beeinflusst. Das hat aber auch mit unserem individuellen Hormonspiegel zu tun. „Die normalen Hormone mancher Personen unterscheiden sich sehr von denen, die sie mit der Pille einnehmen. Dadurch sind sie besonders anfällig für die Wirkungen dieser Hormone, die dann sehr stark ausfallen können“, erklärt die Gynäkologin Dr. Sarah Welsh, Mitbegründerin von HANX, einer Marke für sexuelle Wellness. Bei anderen Personen unterscheiden sich die Hormone in der Pille kaum von ihrem normalen Hormonspiegel, weswegen sie davon womöglich nicht so stark beeinflusst werden.
Als ich die Pille im Oktober absetzte, wollte ich einen Überblick darüber behalten, wie sich das auf meinen Körper auswirken würde. Also lud ich mir die Zyklus-Tracking-App Clue runter, mit der ich tägliche Gewohnheiten, Gefühle und meine körperliche Gesundheit dokumentieren konnte. Gleichzeitig notierte ich mir ungewöhnliche oder wiederkehrende Symptome. Natürlich sind die Auswirkungen der Pilleneinnahme und -absetzung höchst individuell, und es ist manchmal schwer zu wissen, ob einige meiner Beobachtungen wirklich mit dem Entzug von hormoneller Verhütung zu tun hatten oder einfach Zufall waren – vor allem, weil ich meine Symptome nicht ärztlich überwachen ließ. Trotzdem möchte ich im Folgenden die Veränderungen mit dir teilen, die mir aufgefallen sind, seit ich vor drei Monaten zum letzten Mal die Pille genommen habe.
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Libido
Ich hatte schon immer viel Lust auf Sex, aber meine Libido hat definitiv nochmal zugelegt, seit ich die Pille nicht mehr nehme. Laut Dr. Welsh ist das eine sehr häufige Nebenwirkung des Pillenverzichts. Studien zufolge könne das damit zusammenhängen, dass die Pille den natürlichen Testosteronspiegel im Körper senkt. „Einige Frauen bemerken den Libido-Unterschied wirklich stark, wenn sie die Pille absetzen – ob die Lust nun zu- oder abnimmt“, sagt sie. Das hängt komplett vom natürlichen Hormonspiegel ab.
Es ist schwer zu sagen, ob meine stärkere Libido nun Zufall ist oder mit den hormonellen Veränderungen in meinem Körper zusammenhängt. Trotzdem habe ich bemerkt, dass meine Lust auf Sex während der ganzen drei Monate seit der letzten Pille durchgehend stärker war.
Akne
Die größte sofortige Veränderung, die mir seit dem Absetzen der Pille aufgefallen ist, zeigte sich in meinem Gesicht. Ich hatte plötzlich mehr Pickel, als ich seit Schulzeiten erlebt hatte. Schon als Jugendliche hatte ich mich mit milder Akne herumgeschlagen, die sich aber beruhigte, als ich die Pille bekam. Ich war mir aber nie sicher, ob beides wirklich zusammenhing.
Nach diesen ersten Pickelausbrüchen nach dem Absetzen kehrte meine Haut aber doch recht schnell wieder zu ihrem Normalzustand zurück, abgesehen von ein, zwei Pickeln in der Woche vor meiner Periode. Dr. Welsh erklärt mir, dass die Akne, die ich während des ersten Monats nach dem Absetzen beobachtete, vermutlich eine Entzugserscheinung gewesen war. Mein Körper hatte sich während der Pilleneinnahme nämlich einfach an die synthetischen Hormone gewöhnt.
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Sex
Ich hatte nie Sex gehabt, bevor ich die Pille zum ersten Mal einnahm, und habe schon immer unter einer leichten Form des Vaginismus gelitten – das heißt, penetrativer Sex kann für mich manchmal schmerzhaft sein. Obwohl ich mit den Jahren gelernt habe, das ein wenig in den Griff zu bekommen, habe ich doch manchmal noch Probleme damit. Ich war neugierig herauszufinden, ob die Hormone der Pille dabei eine Rolle gespielt hatten.
Meine Erfahrung mit penetrativem Sex hat sich aber seit dem Pillenverzicht nicht sonderlich verändert. Der größte Unterschied in meinem Sexleben ist der, dass ich vorher nicht daran gewöhnt war, jedes Mal Kondome zu benutzen – abgesehen vom Sex mit neuen Partnern, die sich nicht auf Geschlechtskrankheiten hatten untersuchen lassen.
So sehr ich seit dem Absetzen auch auf Safer Sex achte, vergaß ich doch einmal kurz darauf, beim Sex ein Kondom zu benutzen. Ein paar Stunden später nahm ich die Pille Danach – und das machte mich ganz schön nervös, weil ich sie vorher noch nie gebraucht hatte. Abgesehen von einer sehr leichten Blutung eine Woche später hatte ich aber keine Nebenwirkungen. Dr. Welsh erklärt mir, dass das daran lag, dass die Pille Danach eine synthetische Version des Hormons Progesteron enthält (das den Eisprung stoppt, bevor er einsetzt), das sich auch auf einige der Dinge auswirken kann, die ich beobachtete.
Verdauung, Aufgeblähtsein und Reizdarmsyndrom
Ich entwickelte ein Reizdarmsyndrom, kurz nachdem ich mit 17 die Pille verschrieben bekam, und habe seitdem immer wieder Magenkrämpfe und einen Blähbauch. Keines dieser Symptome ist komplett verschwunden, seit ich die Pille abgesetzt habe – obwohl ich doch während der zwei Wochen nach dem Ende meiner Periode weniger aufgebläht war, während und in der Woche vor meiner Periode hingegen viel schlimmer als sonst.
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„Dein Darm ist der Gebärmutter sehr nah“, meint Dr. Welsh. Deswegen kann sich der Menstruationszyklus ihr zufolge auf die Verdauung auswirken – vor allem, wenn sich die Gebärmutter während der Periode zusammenzieht.
Periode
Ich hatte die Pille immer durchgehend eingenommen, ohne zwischendurch eine Pause einzulegen, um mir die Zwischenblutung komplett zu ersparen. Meine Ärztin sagte mir, das sei absolut sicher, und für mich war es einer der größten Vorteile der Pille. Meine Entzugsblutung setzte ein paar Tage nach der letzten Einnahme ein. Dr. Welsh erklärt, dass das nicht dasselbe ist wie eine normale Regelblutung: „Während dieser Entzugsblutung löst sich zwar die Gebärmutterschleimhaut, aber weil du während der Einnahme keinen Eisprung hattest, werden dabei keine Eizellen freigesetzt. Dazu dient die Periode ja eigentlich.“ Diese Blutung fiel außerdem sehr leicht aus und dauerte nur ein paar Tage.
„Sobald du mit der Einnahme der synthetischen Hormone aufhörst, setzt deine normale Hormonfunktion wieder ein“, erzählt Dr. Welsh. Bei manchen Einnehmenden beginnt das direkt nach dem Absetzen, und ihr Menstruationszyklus kehrt schnell zu seinem Normalzustand zurück. Bei anderen hingegen dauert das durchaus ein paar Monate. Dabei spielen für gewöhnlich diverse Faktoren eine Rolle, die sich auf den Menstruationszyklus auswirken – wie Körpergewicht, Stress und Ernährung. Wenn es etwas länger dauert, bis du nach dem Absetzen zum ersten Mal wieder blutest, solltest du dir deswegen aber nicht direkt Sorgen machen, rät Dr. Welsh.
Meine erste „echte“ Periode begann exakt einen Monat nach dem Absetzen und war deutlich heftiger als jede Blutung zuvor. Sie dauerte rund fünf Tage und war fast durchgehend schmerzhaft – und das gilt für alle drei Regelblutungen, die ich seitdem hatte. Laut Dr. Welsh können die Schmerzen und Intensität der Periode damit zusammenhängen, weil ich die Pille gerade erst abgesetzt habe und sich mein Körper noch daran gewöhnen muss; es kann aber auch sein, dass mein natürlicher Zyklus heute eben so aussieht. Die Zyklen der meisten Menstruierenden verändern sich im Laufe der Jahre. Es ist also möglich, dass sich auch mein Zyklus verändert hat, während ich die Pille einnahm.
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Ich sollte auch erwähnen, dass die Periode, die ich ein paar Wochen nach der Pille Danach bekam, extrem schmerzhaft und heftig war. In der Woche davor war mir schlecht, ich quälte mich mit üblen Krämpfen und musste mich sogar mehrmals übergeben. „Viele Leute berichten nach der Pille Danach von einer besonders schmerzhaften, schweren Periode. Das ist sehr weit verbreitet und liegt daran, dass deine Hormone erst wieder ins Gleichgewicht kommen müssen, nachdem du so lange diese synthetischen Hormone eingenommen hast“, erklärt Dr. Welsh.
Wie es mir heute geht – drei Monate, nachdem ich die Pille abgesetzt habe
Die Auswirkungen auf meinen Körper sind tatsächlich harmloser ausgefallen, als ich erwartet hatte. Meine Stimmung, meine Energie, mein Stresspegel und mein Körpergewicht sind weitestgehend noch dieselben wie während der Pilleneinnahme. Dennoch sind sich Dr. Welsh und Dr. Hill darin einig, dass mein Körper und mein Gehirn womöglich noch ein paar Monate brauchen, um sich wieder komplett zu regulieren – selbst wenn mein Zyklus wieder ganz der alte zu sein scheint.
Ich würde gern noch ein paar Monate auf die Pille verzichten, werde dieses Jahr aber wohl doch wieder zur Minipille zurückkehren. Das liegt vor allem daran, dass ich die Pille als Verhütungsmittel gegenüber Kondomen vorziehe. Ich möchte mir die Periode auch gern ersparen, wenn ich kann – Binden und Tampons sind schließlich teuer! Die Unterschiede zwischen Vorher und Nachher, die ich bisher bemerkt habe, sind noch nicht stark genug, um diese Pro-Pille-Faktoren zu übertrumpfen.
Trotzdem habe ich in den letzten drei Monaten den Eindruck gehabt, meinen Körper klarer „lesen“ zu können. Ich verstehe meine Gefühle und Empfindungen heute besser – sowohl die körperlichen als auch mentalen. Zu erkennen, was mein Körper braucht und möchte – und wie das mit meinen Hormonen zusammenhängt –, ist eindeutig der größte Vorteil eines Lebens ohne hormonelle Verhütung, finde ich. Vor allem, weil PMS die perfekte Ausrede dafür ist, zehn Stunden am Stück zu schlafen und mir dann zum Frühstück erstmal ein bisschen Schokolade zu gönnen.
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