Die amerikanische Fotografin Mary Beth Koeth hat ein kleines, pinkes Notizbuch, in dem sie Pläne und Inspiration zu ihrer Arbeit notiert. Darin schrieb sie vor einigen Jahren eine Idee auf, die ihr spontan einfiel: „Fotografier doch mal Mütter, die in der Porno-Branche arbeiten.“
Sie interessierte sich dafür, wie deren Welt aussah – ganz anders als die, in der sie selbst aufgewachsen war? – und wie sich ihre Perspektive durch ein Kind verändert hatte. Sie wollte sie fragen, wie sie das Mutterdasein mit der Arbeit vereinbarten, und wie sie von anderen Müttern, die nicht in der Porno-Industrie arbeiten, bei sozialen Events wie Elternabenden behandelt wurden.
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Lange war sie aber zu nervös, um das Projekt anzugehen. „Ich hatte Angst, weil ich nicht wusste, wie ich meine Subjekte finden sollte, oder ob die Frauen überhaupt ihre Geschichten mit mir würden teilen wollen“, erklärt Koeth. Daher ließ sie die Idee zwei Jahre lang ruhen und konzentrierte sich stattdessen erstmal auf andere Projekte. So knipste sie beispielsweise Weihnachtsmänner im Sommerurlaub, den indonesischen Senior:innenclub in Queens, New York, und die Rentner von Miami, die sie während einer Reise kennengelernt hatte.
Es dauerte bis 2017, bis sie endlich wieder zu der Idee zurückkehrte, die sie damals notiert hatte; eines kühlen Novembermorgens mietete sie sich dann nach ein wenig Recherche ein Auto und fuhr nach Edison, New Jersey. Ihr dortiges Ziel: die Exxxotica Expo, eine Erotik-Kunstmesse. Dort unterhielt sie sich mit mehreren Frauen – und ihr Projekt Porn Momswar geboren.
Koeth wuchs selbst in einer großen, katholischen Familie auf, als jüngstes von fünf Kindern. Ihre Eltern hatten sich in ihren 30ern kennengelernt und ihre Kinder in Cleveland, Ohio, aufgezogen, bevor sie nach Dallas in Texas zogen, als Koeth ein Jahr alt war. Sie selbst betrachtet sich also als Vollbluttexanerin. Für den Großteil ihrer Kindheit besuchte sie eine katholische Schule und beschreibt ihre Familie als warm, liebevoll und behütend. „Obwohl meine Eltern in ihren Familienansichten ziemlich konservativ sind, sind sie in anderen Bereichen wiederum total offen und liberal“, erzählt sie. „Ich bin definitiv ein Produkt dieses Umfelds. Ich war schon immer offen und neugierig.“
Bei dieser ersten Messe traf Koeth eine junge Frau namens Emily Mena. Die arbeitete in der Porno-Branche, hatte eine dreijährige Tochter und war schwanger mit einem Sohn. Die beiden sprachen über Koeths Projektidee, und Emily war direkt enthusiastisch dabei. Wie viele der Frauen in ihrer Branche ist sie es gewohnt, ihr Privatleben sehr privat zu halten, um sich selbst und ihre Kinder zu schützen; es hat aber einen hohen emotionalen Preis, der Gesellschaft immer nur eine Seite von sich selbst zu zeigen. Darüber wollte sie offen sprechen. Emily und ihre Tochter waren die Ersten, die Koeth fotografierte – und durch Emily und weitere Messen traf die Fotografin schließlich ihre anderen Subjekte.
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Um diese Frauen zu Hause zu fotografieren, reiste Koeth quer durch die USA, von Colorado Springs nach Las Vegas, und verbrachte viel Zeit damit, sie alle persönlich kennenzulernen. Ihre Fotos sind einfühlsame, menschliche Einblicke; sie fühlen sich fast an wie Film-Standbilder, getaucht in üppiges Licht. Die Aufnahmen zelebrieren kleine Momente der Liebe und Freude zwischen den Frauen und ihren Kindern. Die Kleinen springen auf Betten rum, hantieren mit ihrem Spielzeug herum oder machen Nickerchen, immer unter den wachsamen Augen ihrer Mütter. Für ihr Projekt arbeitete Koeth mit der Schriftstellerin Laura Lee Huttenbach zusammen, die zu jedem Foto eine kleine Geschichte schrieb, basierend auf den eigenen Worten der Frauen. Um die einzufangen, baute Koeth zu jedem Fotoshooting auch eine Videokamera auf und führte ein Interview. „Ich liebe das, weil es mir erlaubt, mich einfach mit jemandem hinzusetzen und ein privates Gespräch zu führen, ohne dauernd weggucken und mir Notizen machen zu müssen.“ Diesen natürlichen Fluss nicht zu brechen, war ihr sehr wichtig. Die Idee für jedes Bild ergab sich dann oft daraus, wie die Frauen ihren Alltag beschrieben; jede trug die Klamotten, die sie auch sonst zu Hause tragen. „Ich fotografiere Menschen gern so, wie sie sind. Das ist viel interessanter, als irgendeine Story zu fabrizieren.“
Auf die Frage, wie die Erwachsenenfilmbranche mit Schwangerschaften umgeht und ob es dafür innerhalb der Community den nötigen Support gibt, antwortet Koeth: Es ist kompliziert – und sie hatte das Gefühl, eine Schwangerschaft sei in der Industrie nicht gern gesehen. „Eine der Frauen erzählte mir, ihr:e Agent:in habe ihr nach der Geburt ihrer Kinder nicht mal gratuliert. Eine andere sprach davon, wie unsicher sie am Set war, nachdem sie zur Arbeit zurückkehrte. Sie sah sich um, um herauszufinden, ob jemandem auffiel, dass ihr Körper anders aussah“, erzählt sie. „Eine andere Mutter meinte, es gäbe sogar ein eigenes Genre für [Frauen, die Kinder geboren haben]. ‚Es gibt für alles ein Genre‘, sagte sie.“
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Von all den Familien, die sie fotografiert hat, meint Koeth, dass die wenigsten der Kinder vermutlich schon verstehen, was ihre Mütter beruflich machen. „Zwei der Frauen – Makayla und Nickey – haben schon ältere Töchter, die glauben, dass ‚Mommy modelt‘. Ich habe sie gefragt, wann sie mit ihnen darüber sprechen wollen. Makayla meint, sie denkt gar nicht, dass das mal nötig sein wird, weil sie sehr offen mit ihrer Tochter umgeht. Nickey hingegen ist supernervös deswegen und wird es vermutlich in ein, zwei Jahren mal ansprechen, bevor ihre Tochter es von jemand anderem erfährt.“ Jede Situation ist anders und kompliziert – und wird im Laufe der Zeit neu angegangen werden müssen.
Koeth hat sich schon immer zu lockereren Storys hingezogen gefühlt, in denen Humor und Verspieltheit eine große Rolle spielen. Dieses Projekt fühlte sich anders an, und ihre emotionale Bindung daran hat sich definitiv darauf ausgewirkt, wie sie seitdem an ihre Fotografie herangeht. Sie hat aus dem Projekt gelernt, wie schwer es wirklich ist, mit den heftigen und dauernden Vorurteilen anderer Familien und Fremden umzugehen, sowohl on- als auch offline. „Für die meisten der Frauen ist das nicht der Job fürs Leben, aber sie alle wollten ihre persönlichen Geschichten supergerne mit mir teilen, weil der Fokus da mal zur Abwechslung nicht auf ihrem Leben vor der Videokamera lag.“ Was sich Koeth von dem Projekt am meisten wünscht, ist, dass es den Frauen den Respekt gewährt, den sie von der Gesellschaft oft nicht bekommen, und dass es ihren Alltag so gut wie möglich normalisiert. „Das Mutterdasein ist eine Herausforderung – ganz egal, wie alt du bist oder wie dein Leben aussieht. Es hat mich bewegt, wie offen und ehrlich diese Frauen mit mir umgingen. Dafür bin ich so dankbar. Es war eine echte Zusammenarbeit, und ich glaube, mit dem Ergebnis sind wir alle sehr glücklich.“ Hier teilt Koeth ihre Fotos und die persönlichen Geschichten der darauf zu sehenden Frauen.
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Makayla Cox, 35, Las Vegas, Nevada, eine siebenjährige Tochter
Cox meint, ihre Tochter sei in der Schule sehr beliebt. „Sie ist für alle die beste Freundin“, erzählt sie. „Sie hat so viel Energie.“ Der Kalender der beiden ist voller Geburtstagspartys für die Mitschüler:innen ihrer Tochter. Ihre Beziehung zu deren Müttern hängt ganz von der jeweiligen Person ab. Einige Frauen wollen gar nichts von ihrem Job wissen; andere hingegen sind da offener. Cox will ihre Tochter jedenfalls nicht anlügen. „Sie wird mit dem Wissen aufwachsen“, sagt sie. „Das wird was ganz Normales sein, zu wissen: ‚Oh, okay, Mommy verdient ihr Geld mit Pornos.‘“ Der Alltag als alleinerziehende Mutter ist für sie aber sehr schwer. Ihr Traum wäre es, mit ihrer Tochter nach Los Angeles zu ziehen und dort ein Haus in der Nähe vom Strand zu kaufen, in dem sie wie Hippies leben können.
Tiffany Brookes, 31, Dallas, Texas, ein einjähriger Sohn
Brookes wollte nach der Geburt ihres Sohns eigentlich nicht in die Porno-Branche zurückkehren. „Aber man tut, was man muss“, sagt sie. „Nachdem ich meinen Sohn bekam, wurde mir klar: ‚Ich bin alleinerziehend. Oh Shit, womit soll ich mir jetzt das Geld verdienen?‘“ Sie hasste die Vorstellung, ihren Sohn den ganzen Tag in einen Kindergarten zu geben, um dann in einem Vollzeitjob zu arbeiten. Obwohl sie zugibt, dass die Arbeit in der Porno-Industrie schwierig sein kann und sie damit nicht mehr so viel Geld verdient wie früher, erlauben ihre Arbeitszeiten mehr Zeit zu Hause mit ihrem Sohn. „Dadurch kann ich eine aktive, involvierte Mutter sein, die sich selbst um ihr Kind kümmert“, sagt sie. „Er ist mein Ein und Alles. Alles, was ich tue, plane ich um ihn herum.“ Die Rückkehr ans Filmset mit einem postnatalen Körper war aber eine emotionale und körperliche Herausforderung. „Deine normalen Unsicherheiten sind dadurch nochmal verstärkt“, erzählt Brooke. Sie dachte, jede:r würde sofort erkennen, dass sie ein Baby zur Welt gebracht hatte. „Ich mache mir jedes Mal Sorgen, wenn ich mich vor der Kamera ausziehe, und achte auf die Reaktionen der Leute.“ Wenn ihr Sohn ein bisschen älter ist, hofft sie, eine neue Karriere außerhalb der Porno-Industrie zu finden. Bis dahin gilt: „Sobald die Kamera aus ist und ich das Set verlasse, bin ich wieder eine Mom.“
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Cameron Canela, 24, Las Vegas, Nevada, ein neugeborener Sohn
„Alle meine Freund:innen und Verwandten wussten, dass ich eigentlich nie Kinder haben wollte“, erinnert sich Canela. „Ich wollte keine Mutter sein. Ich konnte Kinder auch gar nicht leiden.“ Als sie aber herausfand, dass sie schwanger war, überraschte sie ihre erste Reaktion selbst. „Ich dachte, ich würde so ähnlich reagieren wie: ‚Was ist das für ein Blutsauger in meinem Körper? Ich will den nicht.’ Aber da war direkt diese Verbindung zwischen uns.“ Die Geburt ihres Sohnes entlockte Canela eine ganz neue Seite. „Ich hatte das Gefühl, ein neuer Mensch zu werden – auf gute Art. So kitschig sich das auch anhört, aber dein Herz wird sofort viel größer.“ Sie findet, dass sie durch das Muttersein reifer geworden ist. Außerdem hat sich ihre Sicht auf ihre Porno-Karriere seitdem verändert. „Vorher war ich in der Branche ganz ich selbst, und es war mir ziemlich egal, was andere davon hielten. Ich hatte die Einstellung: ‚Das bin ich, und das mache ich gerne.‘ Heute habe ich gerne ein konservativeres Image und bin gerne Mutter. Das war für mich die größte Veränderung: zu begreifen, dass es in mir noch diese ganz andere Seite gibt.“ Wie es mit ihrer Karriere weitergeht, weiß sie noch nicht. Zu Schulzeiten konnte Canela immer gut mit Zahlen umgehen und wollte eigentlich Buchhalterin werden. Sie lacht, wenn sie hört, dass dieser Job als „langweilig“ gilt, weil sie glaubt, dass die Arbeit sehr spannend sein könnte. „Selbst ein:e Therapeut:in weiß nur das, was du erzählst“, sagt sie. „Aber dein:e Buchhalter:in weiß, wofür du dein Geld ausgibst – er:sie kennt alle deine finsteren Geheimnisse.“
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Emily Mena, 25, Phoenix, Arizona, eine vierjährige Tochter und schwanger mit einem Sohn
„Ich bin Chauffeurin“, antwortet Mena auf die Frage, wie sie ihren Alltag als Mutter beschreiben würde. Nach der Schule stehen für ihre Tochter Football, Gymnastik, Schwimmen und manchmal Tanzen an. Wenn Mena sie von der Schule abholt, geht es direkt weiter zu einer dieser Aktivitäten; danach wird zu Hause das Abendessen gekocht, dann bei den Hausaufgaben geholfen. „Und ich lese ihr gerne was vor, bevor sie schlafen geht“, sagt Mena. „Mein Leben dreht sich um sie. Das ist viel Arbeit, aber ich liebe es. Außerdem ist es teuer – aber langfristig zahlt sich das aus. Sorg dafür, dass deine Kinder aktiv bleiben und sich in der Community oder der Schule beteiligen, anstatt auf der Straße zu landen.“ Sie strahlt, wenn sie von ihrer Tochter erzählt, und beschreibt sie als frech, energisch, extrovertiert, liebevoll, gesprächig und clever. „Und sie liebt Süßkram“, ergänzt Mena. Zum Zeitpunkt des Fotoshootings war sie im siebten Monat mit ihrem Sohn schwanger; kurz zuvor hatten ihre Freund:innen und Verwandten für sie eine Babyparty veranstaltet. „Mein Mann und ich freuen uns schon sehr“, sagt sie. „Und meine Tochter freut sich darauf, eine große Schwester zu sein.“ Menas Traumjob wäre der einer Schauspielerin im Film und Fernsehen; sie überlegt aber auch, eine Ausbildung zur Pflegerin zu machen. „In der Porno-Industrie zu arbeiten, schadet dir ein bisschen. Daher: Wer weiß?“, sagt sie. „Es ist mir egal, was andere über mich sagen. Ich will bloß nicht, dass sich das auf meine Kinder auswirkt. Das ist das Einzige, was mir wichtig ist.“ Ihre Hoffnung für ihre Kinder ist es, dass sie „ehrlich glücklich, erfolgreich und gesund sind und wissen, dass ihnen die Welt gehört. Dass sie alles erreichen können, worauf sie hinarbeiten. Und dass sie in Sicherheit sind. Es gibt da draußen so viel Übles.“
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Nickey Huntsman, 26, Colorado Springs, Colorado, eine neunjährige Tochter
Huntsmans Tochter kam zu früh zur Welt und musste die ersten Wochen ihres Lebens auf der Neugeborenen-Intensivstation verbringen. Als Mutter und Tochter entlassen wurden, brauchte die Kleine noch einen Monat lang einen Sauerstofftank. „Als sie noch ganz klein war, war ich extrem beschützerisch und klammerte mich sehr an sie“, erinnert sich Huntsman. „Jetzt, wo sie älter ist, hat sie mehr Freiraum.“ Als kleines Mädchen war Huntsman bei den Pfadfinder:innen, im Theater-Club und machte bei Talentshows mit. „Ich war sehr aktiv in der Kunst-Community“, sagt sie. „Meine Tochter tritt da ein bisschen in meine Fußstapfen, das ist ziemlich cool.“ Das Mädchen liebt es, zu zeichnen und zu malen, und hat vor Kurzem mit Karate begonnen. Huntsman selbst macht neuerdings Mixed Martial Arts. „Ich bin kein Profi oder so, aber ich kann mich selbst verteidigen, und das ist das Wichtigste“, betont sie. Zur Mutter zu werden, fühlte sich für sie sehr natürlich an, erzählt Huntsman. Es fiel ihr leicht, die Bedürfnisse ihrer Tochter zu verstehen. „Als ich sie bekam, hatte ich plötzlich diese ganzen Mutter-Skills“, sagt sie. „Manchmal spürst du einfach, dass du für etwas geschaffen bist.“
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