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Wie ich meine Chance auf ein Kind fast selbst verspielte

Wie viele Generation-Y-Frauen bin ich mit Begriffen wie girl power und Phrasen wie „Du kannst alles erreichen, wenn du es nur willst“ großgeworden. Ich war der festen Überzeugung, jedes Problem hat eine Lösung. Ich muss sie einfach nur finden. Ich dachte, mit ein bisschen Kreativität und harter Arbeit kann ich jede Hürde überwinden und jedes Ziel erreichen. Das funktionierte auch ganz gut – bis ich versuchte, schwanger zu werden.
Mein Ehemann und ich wünschen uns beide schon lange eine Familie. In dem Moment, als wir die Eheurkunde unterschrieben hatten, setzte ich also die Pille ab und las Bücher mit Titeln wie Vom Kinderwunsch zum Wunschkind oder Endlich schwanger werden. Manche rieten zu peniblem Zyklus-Tracking, andere empfohlen Affirmationen und positives Denken. Und dann gab es noch Bücher, die besagen, „ältere“ Frauen (wie ich gelernt habe sind das, wenn es ums Thema Fruchtbarkeit geht, Personen über 34) sollten sich besser direkt an eine Ärztin oder einen Arzt wenden. Dennoch sendeten die meisten mehr oder weniger dieselbe Message: Schwanger werden ist etwas, das wir kontrollieren können – das in unserer Hand liegt.
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Für mich ergab das absolut Sinn. Als ich aufgeklärt wurde, lernte ich auch direkt auch alles über Verhütung. Meiner Generation wurde beigebracht, schwanger werden kann und sollte etwas sein, dass in unserer Hand liegt. Unser Bio-Lehrer ermutigte uns dazu, so lange zu warten, bis wir wirklich soweit sind. Was er uns allerdings nicht sagte ist, dass es vielleicht schon zu spät ist, wenn wir dann endlich soweit sind.
Weil ich noch ein paar Jahre Gnadenfrist bis zur bösen 34 hatte, war ich der Meinung, noch genügend Zeit zu haben, um auf dem vermeintlich richtigen Weg schwanger zu werden – spontan und natürlich. Ich hatte schon mal was von künstlicher Befruchtung und assistierter Reproduktion gehört, aber für mich war das immer nur eine Art Shortcut für alle, die zu faul sind, Zeit und harte Arbeit zu investieren. „Du schaffst das!“, feuerte mich mein innerer Gen-Y-Cheerleader motivierend, naiv und dickköpfig an. „Du kannst alles erreichen, wenn du es nur willst!“. Diese Stimme war nicht allein – sie hatte Background-Sängerinnen: Laut der Bücher musste ich einfach nur regelmäßig meine Temperatur messen, meinen Scheidenausfluss im Blick behalten und mich entspannen. Letzteres rieten mir übrigens auch meine Freund*innen, die es natürlich alle nur gut meinten: „Mach dir keinen Stress. Es passiert ganz von allein, sobald du aufhörst, es krampfhaft zu versuchen“.

Zum ersten Mal in meinem Leben gab ich 100 Prozent, hatte damit aber keinen Erfolg. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Das war nicht das, was man mir im Sexualkundeunterricht versprochen hatte.

Also versuchte ich, mich zu entspannen, aber trotzdem nicht faul zu sein. Ich achtete peinlich genau darauf, zum perfekten Zeitpunkt, Sex zu haben, gleichzeitig versuchte ich aber auch, den Spaß dabei nicht zu vergessen. Ich probierte alle möglichen fruchtbarkeitsfördernden Gleitgele und Stellungen aus und hielt meine Beine wie ein Brathähnchen eine halbe Stunde nach dem Sex in die Höhe. Zum ersten Mal in meinem Leben gab ich 100 Prozent, hatte damit aber keinen Erfolg. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Das war nicht das, was man mir im Sexualkundeunterricht versprochen hatte.
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Dennoch war ich immer noch entschlossen, natürlich schwanger zu werden. Also ging ich zu einer Akupunkteurin, die sich auf Fruchtbarkeit spezialisiert hat. Bei meinem ersten Termin untersuchte sie meine Zunge, meinen Puls und stellte mir tausende persönliche Fragen – von „Wie oft haben Sie Sex?“ bis hin zu „Wie ist die Konsistenz Ihres Kots?“. Erst hatte ich etwas Angst vor den Nadeln, aber die Behandlung war überraschend schmerzfrei und entspannend. Dazu kam, dass sie allerhand Ideen und Vorschläge für mich hatte, wie ich mein kleines Problem lösen könnte. In den nächsten Monaten verzichtete ich komplett auf Gluten, Milchprodukte, Zucker, Soja, Mais, Reis, kaltes Essen und industriell verarbeitete Lebensmittel. Das Fleisch musste von grasgefütterten Bio-Tieren stammen, der Fisch sollte wild gefangen und gekocht sein. Die Akupunkteurin schickte mich aber nicht nur mit einer langen Liste an verbotenem Essen nach Hause, sondern legte mir auch noch Nahrungsergänzungsmittel und Kräuter ans Herz, die insgesamt etwa 250 Euro kosteten. Außerdem riet sie mir, ein Tagebuch zu führen, in dem ich alles, was ich konsumiere, aufliste. Zusätzlich zu meinem inneren Cheerleader, den Schwangerschaftsbüchern und den wohlmeinenden Verwandten hatte ich nun also noch eine weitere Stimme in meinem Kopf: die meiner Akupunkteurin. Und die sagt mir plötzlich, alles, was ich am liebsten esse, darf ich ab jetzt nicht mehr essen. Weil ich sonst keine Chance habe, schwanger zu werden.
Ich stellte mich mutig der Herausforderung, wie ein Höhlenmensch zu essen und versuchte, mich an alle Regeln zu halten. Was ich damals allerdings nicht realisierte war, dass ich meine Chancen, schwanger zu werden verringerte, indem ich mir selbst unglaublich viel Druck machte. Die Last, die ich auf meinen Schultern trug und die ich mir auch noch selbst aufgehalst hatte, wurde immer größer. Zwei Mal wöchentlich ging ich zur Akupunktur, wo ich für meine Ernährung kritisiert (Warum essen Sie statt Süßkartoffelpommes nicht einfach nur Süßkartoffeln?) oder enttäuscht angeschaut wurde (weil ich mir an meinem Geburtstag einen Bagel gegönnt hatte). Aber wenigstens wurde mein Menstruationszyklus regelmäßiger und ich hatte mehr Energie – und das ist ja schon mal was. Doch auch nachdem ich fast ein ganzes Jahr lang penibel auf meine Ernährung geachtet und wirklich gesund gelebt hatte, war ich immer noch nicht schwanger.
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Jedes Mal, wenn ein kleines Minus-Zeichen auf einem Schwangerschaftstest erschien, gab ich mir selbst die Schuld daran. Hätte ich bloß keinen Wein zum Abendbrot getrunken. Hätte ich bloß auf den Cookie bei der Office Party verzichtet. Zucker kann schließlich mein Fortpflanzungssystem zerstören. Und wenn ich noch nicht mal genug Willensstärke habe, einem Oreo zu widerstehen, wie soll ich dann jemals eine gute, charakterstarke Mutter werden?
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich zwei Jahre lang erfolglos versucht, schwanger zu werden – doppelt so lange wie man es laut Expert*innen machen soll, bevor man sich professionelle Hilfe sucht. Der Gen-Y-Cheerleader war inzwischen von einem anderen Mitspieler meiner Vergangenheit verdrängt wurden: dem zynischen Goth-Teenie, der überzeugt davon war, dass es nicht klappte, weil ich nicht gut genug bin. Alle in meinem Freundes- und Bekanntenkreis bekamen Babys und ich konnte nicht anders, als mich ständig mit ihnen zu vergleichen. Vielleicht wäre ich ja jetzt schon schwanger, wenn ich in meinen 20ern nicht so viel gefeiert hätte oder nicht so slutty gewesen wäre. Objektiv betrachtet weiß ich, dass das Quatsch ist. Ich war nicht unfruchtbar, weil mich das Universum für irgendein Verhalten bestrafen wollte. Schwangerschaft und Muttersein sind keine Belohnung, die du nur bekommst, wenn du dich gemäß einem strikten Regelwerk benimmst – auch wenn es unsere Gesellschaft manchmal so aussehen lässt. Denk nur mal an die Märchen, die dir früher vorgelesen wurden: Die echte Mutter ist immer gut, die kinderlose Stiefmutter ist immer böse. Oder etwa unsere Besessenheit vom Celebrity-Babybauch, und der Fakt, dass in Deutschland für den Muttertag dieses Jahr um die 850 Millionen Euro ausgegeben wurden? Muttersein wird als uneigennützig und tugendhaft gesehen – der härteste, aber dankbarste Job, den eine Frau haben kann. Ist mein Gedankensprung da wirklich zu groß, wenn ich Angst habe, dass ich keine Mama bin, weil ich es nicht verdiene, eine zu sein?
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Ich hasste den Gedanken, mich in eine dieser faulen, verzweifelten Frauen verwandelt zu haben, die ich immer verurteilt hatte, weil sie künstlich nachhalfen.

Irgendwann gab ich dann doch nach und ging zu einem Endokrinologen. Ich hasste den Gedanken, mich in eine dieser faulen, verzweifelten Frauen verwandelt zu haben, die ich immer verurteilt hatte, weil sie künstlich nachhalfen. Aber ich war an einem Punkt, an dem ich mir so sehr ein Baby wünschte, dass es mir egal war, wie es passieren würde. Nach einem halben Duzend fehlgeschlagener Intrauterinen Inseminationen (assistierte Befruchtung) wurde ich mit „ungeklärter Unfruchtbarkeit“ diagnostiziert und man riet mir, In-vitro-Fertilisation (IVF) zu probieren. Für eine Frau, die denkt, ihre Unfruchtbarkeit sei ihre eigene Schuld, ist das die schlimmste Diagnose überhaupt. Sie löste einen gewaltigen Streit aus zwischen dem Gen-Y-Cheerleader, der darauf bestand, dass ich einfach nur noch gesünder leben und noch mehr positive Affirmationen brauchte, und dem zynischen Goth-Teenie, der einfach nur aufgeben wollte, weil es eh alles keinen Sinn macht. Das Ergebnis: Am Ende habe ich mein Kindle mit Büchern über künstliche Befruchtung gefüllt und mit IVF begonnen.
Als der erste Versuch schiefging, gab ich – natürlich – mir die Schuld. Ich hatte mich zwar vorbildlich ernährt und jeden Tag Yoga gemacht, aber einen großen Fehler hatte ich trotzdem gemacht: Ein paar Tage nach dem Embryotransfer, während einer sehr kritischen Phase der Einpflanzung, bin ich an einem Samstagabend im schlimmsten Verkehr mit einem nagelneuen Auto gefahren. Weil ich nicht regelmäßig selbst fahre, war ich überzeugt davon, mein pochendes Herz, die Sirenen um mich herum und die Taxis, die mir die Vorfahrt nahmen, hätten das arme kleine Embryo verschreckt. Zu meiner Überraschung teilte meine Ärztin diese Meinung nicht. Sie war sogar schockiert, dass es nicht geklappt hatte, weil das Embryo perfekt war. Und der Fakt, dass es sich nicht eingenistet hatte, lies sie denken, es könnte doch noch etwas anderes nicht mit mir stimmen. Also ordnete sie noch mehr Tests an.
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Meine Unfruchtbarkeit war, wie sich herausstellte, genauso wenig eine Sache der Moral wie mein Asthma oder mein Hohlfuß.

Fast drei Duzend Blutampullen später bekam ich nicht eine, sondern gleich zwei neue Diagnosen: eine seltene Blutgerinnungsstörung und ein Autoimmunproblem. Laut meiner Ärztin könnte beides der Grund dafür sein, dass ich bisher noch nicht schwanger geworden bin. Beide sind behandelbar, jedoch bedarf es einer komplizierten Kombination aus Tabletten und Injektionen. Diese beiden Diagnosen brachten die Stimmen in meinem Kopf schnell zum Schweigen. An diesen beiden Dingen war ich nicht schuld (zumindest die Blutgerinnungsstörung ist erblich; komischerweise war bisher kein Arzt und keine Ärztin auf die Idee gekommen, mich auf Thrombophilie zu testen, obwohl es in meiner Familie mehrere Fälle von Schlaganfällen gegeben hatte). Und dazu kam, dass ich beide Probleme nicht allein beheben konnte – ganz gleich, wie viele positive Affirmationen ich vor mir hersagte oder wie viel Wildlachs und Biogrünkohl ich esse. Meine Unfruchtbarkeit war, wie sich herausstellte, genauso wenig eine Sache der Moral wie mein Asthma oder mein Hohlfuß. Die ganzen Jahre hatte es nicht daran gelegen, dass ich mir nicht genug Mühe gegeben hatte oder daran, dass ich es nicht wert war. Es war an den Ärzt*innen gescheitert, die nicht wussten, wonach sie suchen sollten.
Heute habe ich eine neue Akupunkteurin. Eine, die mich dazu ermutigt, intuitiv zu essen. Ich darf sogar ab und zu mal Eis essen. Ich sage immer noch täglich meine Affirmationen, aber ich mache mich nicht fertig, wenn ich ab und zu auch mal einen negativen Gedanken habe. Ich weiß jetzt, dass meine frühere Meinung über künstliche Befruchtungstechnologien und Personen, die diese nutzen, nicht nur falsch, sondern sogar gefährlich waren. Durch sie habe ich mich selbst sabotiert und ich bin sehr froh, rechtzeitig die Kurve bekommen und mir professionelle Hilfe gesucht zu haben. Bevor es zu spät ist.
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Der Gen-Y-Cheerleader und der zynische Goth-Teenie werden immer da sein – nicht nur in meinem Kopf, sondern in gewisser Weise auch in meiner Umgebung. Die Gesellschaft erzählt vor allem Personen, die schwanger werden können, sie allein wären für ihre Fruchtbarkeit verantwortlich. Doch Kommentare wie diese sind nicht nur falsch, sie können sogar gefährlich sein und unsere Psyche negativ beeinflussen.
Es ist an der Zeit, Unfruchtbarkeit als medizinisches Problem anzuerkennen und Menschen mit Uterus nicht mehr dafür die Schuld zu geben. Wir sind nicht dafür verantwortlich; meistens liegt es nicht in unserer Macht. Es ist an der Zeit, die Leute aufzuklären und sie unvoreingenommen über mögliche Behandlungsmöglichkeiten zu informieren – damit sie informierte Entscheidungen treffen können. Unfruchtbare Menschen sollten weder Schuld noch Scham empfinden müssen.
Trotz der Jahre der Selbstsabotage ist es für mich noch nicht zu spät, ein Kind zu bekommen. Mein Job ist es jetzt, auf meine sehr kompetente Ärztin zu hören und mein Bestmögliches zu tun, ihre Arbeit zu unterstützen. Und meine zweite, vielleicht noch wichtigere Aufgabe ist es, zu akzeptieren, dass ich einen Großteil des Prozesses nicht in der Hand habe.

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