Im Mai erkannte die Weltgesundheitsorganisation das Burn-out als Krankheit an, die durch „nicht erfolgreich verarbeiteten chronischen Stress am Arbeitsplatz entsteht“. Das ist zwar schon mal ein Schritt in die richtige Richtung, doch es gibt immer noch viel zu tun. Zum Beispiel sollten wir uns unbedingt mal mit den unterschiedlichen Arten von Burn-outs beschäftigen und damit, wie sie ausgelöst werden. In diesem Bereich haben nämlich viele immer noch große Wissenslücken. Beispielsweise hatte ich bis vor kurzem keine Ahnung, was ein Representation Burn-out ist. Wenn es dir genauso geht, bringt dieser Artikel vielleicht etwas Licht ins Dunkel.
Aber fangen wir von vorn an: Beim Representation Burn-out handelt es sich um einen Erschöpfungszustand, der entsteht, wenn man die einzige Person mit einer bestimmten Identität oder Eigenschaft in einer Gruppe ist. Man hat also das Gefühl, allein dazustehen und nicht verstanden oder überhaupt wahrgenommen zu werden. Wichtig zu wissen ist, dass sich der Begriff nicht nur auf Menschen verschiedenener ethnischer, religiöser oder sozialer Backgrounds bezieht. Exklusion kann auch bei Personen entstehen, die etwa weniger Geld verdienen als andere oder an einer Krankheit leiden, die entweder selten oder nicht ersichtlich ist, oder beides. Oder weil sie deutlich kleiner, größer, kräftiger oder schlanker sind als der Durchschnitt. Diese Liste könnte ich noch endlos weiterführen, aber der Punkt sollte klar sein.
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Zwei Frauen, die sich schon länger mit dem Thema Representation Burn-out beschäftigen sind Marah Lidey und Naomi Hirabayashi. Die beiden Women of Color lernten sich bei einem Businessmeeting kennen und fühlten sich direkt verbunden, weil sie in der Vergangenheit ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Sie beschlossen, eine App zu launchen, die der Community mentale und emotionale Unterstützung bietet: „Wie es ist, die einzige Frau in einem Raum zu sein, wird wenigstens ab und zu mal thematisiert. Aber wie es ist, die einzige queere Person in einem Raum zu sein oder die einzige Schwarze Person oder die einzige Person mit einer Behinderung, darüber wird noch nicht genug gesprochen“, so Lidey. Die Idee für die Self-care-App Shine war geboren.
Soweit zur Theorie. Doch was kannst du in deinem Alltag machen, wenn du selbst vom Representation Burn-out betroffen bist oder aber Kolleg*innen oder Mitarbeiter*innen von dir möglicherweise darunter leiden könnten?Diese und weitere Fragen haben wir den beiden App-Gründerinnen gestellt.
Wie können Arbeitgeber*innen Angestellte unterstützen, die möglicherweise unter einem Representation Burn-out leiden?
Marah Lidey: Es reicht nicht aus, wenn Unternehmen beim Zusammenstellen von Teams auf Diversity achten. Sie müssen auch sicherstellen, dass vom ersten Tag an auch an einem Gefühl der Zusammengehörigkeit und Inklusivität gearbeitet wird. Im ersten Schritt müssen sie die nuancierte Bedeutung des Begriffs Repräsentation verstehen. Will heißen: Diversity bezieht sich nicht nur auf den Aspekt von Race, sondern beispielsweise auch auf unterschiedliche sozioökonomische oder andere nicht sichtbare Komponenten. Das sollte sowohl beim Bewerbungsprozess als auch in bereits bestehenden Teams bedacht werden. Ein Beispiel: Du willst versuchen, eine Unternehmenskultur aufzubauen, die niemanden wegen ihres sozioökonomischen Backgrounds ausschließt? Dann verlange von deinen Mitarbeiter*innen nicht, Reisekosten – oder auch nur ein Mittagessen – vorab zu bezahlen und erst später rückerstattet zu bekommen. Nicht jede*r kann es sich leisten, Geld auszulegen. Das vergessen wir schnell mal.
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Representation Burn-out entsteht nicht nur durch fehlende Diversity, sondern auch durch fehlende Systeme. Dinge wie Interessengruppen und Mentor*innenschaften können dem entgegenwirken. Sie können verschiedene Menschen innerhalb des Unternehmens zusammenbringen oder Beziehungen zu hilfreichen Personen außerhalb des Unternehmens aufbauen. Sie können eine Anlaufstelle bieten, wenn du dich ausgeschlossen fühlst, weil du die oder der einzige bist, die oder der bestimmte Erfahrungen macht.
Wichtig ist, dass den guten Absichten auch Taten folgen. Oder anders gesagt: Viele Führungskräfte haben tolle Ideen für ein höheres Level an Inklusion, doch am Ende kommt wenig dabei rum – weder was die Zusammensetzung der Teams angeht, noch was die Gefühle der betroffenen Mitarbeiter*innen betrifft. In diesem Fall kann es hilfreich sein, sich Hilfe von außen zu holen und Expert*innen heranzuziehen.
Naomi Hirabayashi: Bei Shine gibt es eine unbefristete Urlaubspolitik, was bedeutet, dass es keine vorgeschriebene Anzahl an Urlaubstagen gibt. Wenn du also mal einen Tag Pause brauchst, kannst du dir freinehmen, ohne dich rechtfertigen zu müssen. Ein Grund dafür ist, dass wir wissen, dass marginalisierte Gruppen häufiger psychische Probleme haben als nicht-marginalisierte Gruppen. Sie sollten sich einen Tag ausruhen können, ohne ihrem Chef oder ihrer Chefin erklären zu müssen, was sie dazu bewegt. Statt die Arbeit unserer Mitarbeiter*innen zu tracken, geben wir ihnen lieber Raum, um ihren Job zu machen und gleichzeitig auf ihre mentale Gesundheit zu achten.
Welchen Ratschlag würdet ihr Menschen geben, die sich in einem eher traditionellen Arbeitsumfeld bewegen, in dem Themen wie seelische Gesundheit und Burn-out nicht angesprochen werden?
Lidey: Versuch Leute zu finden, denen du dich anvertrauen kannst, wenn du Unterstützung brauchst. Das können zum Beispiel Menschen sein, die wie du sind und die du in Interessengruppen kennenlernst. Du kannst dir aber auch Verbündete suchen, die anders als du sind und der Mehrheit angehören. Sie können dann gegebenenfalls für dich sprechen und deine Meinung vertreten, wenn du dich selbst nicht traust.
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Mein zweiter Tipp ist, auf Warnzeichen zu achten. Sagen wir mal, du willst zu einer Konferenz gehen und googelst sie vorher. Bei der Recherche fällt dir auf, dass es wahrscheinlich nur sehr wenig Besucher*innen geben wird, die wie du sind. Jetzt musst du entscheiden, welche Schlüsse du daraus ziehst. Wenn du ohnehin schon ein mulmiges Gefühl hast und dich unwohl beim bloßen Gedanken an das Event fühlst, solltest du vielleicht nicht hingehen. Wenn du jedoch nur etwas nervös bist und leichte Bedenken hast, könntest du an der Konferenz teilnehmen, dir aber vorher selbst Grenzen setzen. Du kannst zum Beispiel von vornherein festlegen, wie lange du bleiben willst oder worüber du (nicht) reden möchtest.
Unsere Welt baut auf verschiedenen Systemen auf. Und auch, wenn es natürlich der effektivste Weg wäre, diese grundlegend zu ändern, ist dies auf individueller Ebene manchmal nicht möglich. Außerdem dauert es oft seine Zeit, bis sich Veränderungen durchsetzen. Du musst also Wege finden, mit bestimmten Situationen umzugehen, solange das System noch nicht an dem Punkt angekommen ist, den du dir wünschst. Dir selbst Grenzen zu setzen, auf Warnsignale zu achten und dir Vertrauenspersonen zu suchen kann ein sehr guter Anfang sein. Diese Micro-Aktionen können dazu beitragen, dass du dich sicherer und wohler in deiner Haut fühlst.
Abgesehen davon leben wir in einer digitalen Welt, in der wir ständig mit schlimmen News überflutet werden. Auch diese können ihren Teil zu einem Representation Burn-out beitragen. Manchmal hören wir in den Nachrichten von rassistischen Taten, manchmal sehen wir in den sozialen Medien Videos. All diese Informationen können uns Angst machen und uns stressen. Mach dir bewusst, dass es vollkommen okay ist, auch mal eine digitale Pause einzulegen! Es ist okay, sich mal nicht einzubringen – das heißt nicht automatisch, dass dir alles egal ist. Ich glaube, das ist eins der größten Missverständnisse unserer Zeit, in der Aktivismus weiter verbreitet ist. Versteh mich nicht falsch: Es ist super, wenn sich Menschen für etwas einsetzen und für ihre Rechte und für Veränderungen kämpfen. Doch dabei dürfen wir nicht vergessen, auf uns selbst zu achten. Sonst haben wir irgendwann keine Kraft mehr, uns für all die Dinge, die uns wichtig sind, stark zu machen.