Vor kurzem wurde ich auf einem Foto auf Facebook markiert, das mich vor eine meiner größten Ängste stellte. Auf dem Foto war das Publikum eines Stand-Up-Comedy-Auftritts mit lächelnden Gesichtern zu sehen. Und dort in der ersten Reihe saß ich – mit gerunzelter Stirn, zusammengezogenen Augenbrauen und -gekniffenen Augen.
Statt wie alle anderen auszusehen, als ob mir die ätzende Improvisation Spaß macht – oder zumindest so zu tun als würde sie mir Spaß machen (Kunst braucht immer Unterstützung!) – sagte mein wütender Gesichtsausdruck eher: „Gut! Du kannst alles haben! Aber ich behalte die Kinder!“. Ein perfektes Beispiel von dem, was häufig als ein sogenanntes „Resting Bitch Face“ – also ein permanentes Zickengesicht – bezeichnet wird. Plötzlich gewannen alle Situationen, bei denen Männer mir auf der Straße „Schenk mir ein Lächeln, Kleines“ gesagt haben, an unangenehmer Bedeutung.
Den Begriff „Resting Bitch Face“ gibt es seit einiger Zeit, aber wie alles, was wir kennen und lieben und hassen, ist der Begriff nur dank des Internets verbreitet worden. Die Komikerin Taylor Orci sagt in einem Witz „Resting Bitchy Face ist eine Krankheit, unter der Millionen Frauen täglich leiden“. Sie scherzt „aber zusammen können wir das Problem angehen“. Orci war zumindest taktvoll genug, auch eine männliche Variante zu erwähnen: Das Arschloch Resting Face (ARF). Trotz ihres Humors und ihrer Objektivität ist selbst die Idee des RBF genderspezifisch. Und das hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack in meinem selbstverständlich bereits schmollenden Mund.
Also, was ist mein Problem? Vielleicht habe ich keinen Sinn für Humor? OK, ich gebe zu, dass ich die Comedy-Klubs Londons oder den Begriff „Resting Bitchy Face“ nicht besonders lustig finde. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass ich keinen Humor hätte. Ganz im Gegenteil. Ich kann zumindest drei Witze von „Frasier“ zitieren! Für mich liegt das Problem darin, dass – ganz zu schweigen von dem ziemlich bedenklichen Wortlaut von RBF – die Medien sich nur auf die Gesinnung des „schönen Geschlechts“ konzentrieren. Und dabei wird das männliche Temperament völlig ignoriert. Fast täglich diagnostiziert die Presse „Resting Bitchy Face“ bei Promis wie z. B. Kristen Stewart und Emma Watson. Lächelt ein weiblicher Promi nicht, wird sie als launisch und miserabel bezeichnet.
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FRAUEN LÄCHELN TATSÄCHLICH MEHR ALS MÄNNER: DAS BEDEUTET ABER NICHT; DASS SIE UNBEDINGT GLÜCKLICHER SIND.
DR. MARIANNE LAFRANCE, PROFESSORIN FÜR PSYCHOLOGIE UND FRAUEN-, GESCHLECHTER- UND SEXUALITÄTENFORSCHUNG AN DER YALE UNIVERSITÄT
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Ich unterhielt mich mit Dr. Marianne LaFrance, Professorin für Psychologie und Frauen-, Geschlechter- und Sexualitätenforschung an der Yale Universität und Autorin des tollen Buchs „Why Smile“, das die Wissenschaft des Gesichtsausdrucks untersucht. Dr. LaFrance sagt: „Frauen lächeln tatsächlich mehr als Männer. Das bedeutet aber nicht, dass die unbedingt glücklicher sind“. Tatsächlich spiegelt dies wahrscheinlich ein Machtungleichgewicht wider. Die Studien von LaFrance haben festgestellt, dass Menschen mit einem niedrigen Status in der Regel mehr lächeln, um ihre Unterwürfigkeit vor denjenigen mit höherem Status zu zeigen. Und in den meisten Ländern und Umgebungen haben Frauen weniger Macht als Männer.
Ein weiterer Grund dafür, dass Männer möglicherweise weniger lächeln als Frauen, liegt in ihrer Verbindung von Lächeln mit Schwachheit. Laut Dr. LaFrance werden Frauen traditionell erzogen, mehr sozial zu sein. Daher gibt es die Tendenz für Frauen, in Berufen wie z. B. als Lehrerin, Krankenschwester, Assistentin und in der PR-Branche tätig zu sein, bei denen Lächeln einen alltäglichen Teil des Berufs darstellt. Aber auch wenn Frauen in der Regel mehr lächeln, scheint die Zuordnung des Begriffs RBF einer Frau, die nicht lächelt, eine Erweiterung des schon bestehenden Phänomens, bei dem Männer erwarten, dass Frauen immer lächelnd und glücklich aussehen sollten.
‘Cheer up, love’ – why is Harriet Tubman being told to smile 100 years after her death? https://t.co/Kr3TOVOH7m
— EverydaySexism (@EverydaySexism) May 3, 2016
Die Reaktion zur Ankündigung im letzten Monat, dass Harriet Tubman – die Abolitionistin und Philanthropin, die ihr eigenes Leben zum Zweck der Sklavenbefreiung vielmals riskiert hat – das neue Gesicht auf dem 20 $-Geldschein sein wird, zeigt deutlich die Uneinigkeit der Geschlechter beim Thema Lächeln. Die Nachricht wurde von vielen Männern auf Twitter mit der Reaktion begrüßt, dass sie nicht so sauer aussehen soll. Die ständigen Kommentare männlicher Kommentatoren über das Aussehen und Verhalten von Hilary Clinton im Laufe ihrer Kampagne ist noch ein weiteres Beispiel für das subtile Vorurteil, das nur für das eine Geschlecht im Präsidentschaftsrennen aufgespart wird.
Wir müssen uns jedoch nicht nur auf die Medien beschränken, wenn wir nach Sexismus suchen; auf der Straße werden Frauen ständig gefragt: „Schenk mir ein Lächeln“ oder „warum so ernst?“. Diese herablassende Weise scheint vielleicht nicht besonders schädlich, aber sie ist eine heimtückische Erinnerung für eine Frau, dass ihr Körper ihr nicht 100 % gehört, sondern der ästhetischen Unterhaltung von Männern dient. Erst in den letzten Tagen war ich auf der Straße unterwegs, als mir ein Mann entgegenkam und sagte: „Kopf hoch, wird schon nicht so schlimm werden!“. Ehrlich! Muss ich die ganze Zeit grinsen? Ich antwortete, dass meine Mama gerade gestorben ist, und sah, wie sein Gesicht völlig blass wurde – bevor ich stolperte und meine neuen Turnschuhe abwetzte. Damit war mein kleiner Sieg ruiniert.
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Es ist aber schwierig zu wissen, wie man sich mit diesen scheinbar kleinen Ärgernissen fühlen und darauf reagieren sollte. Es ist leicht, sie zu ignorieren und einfach als einen weiteren Nachteil des Frauseins zu betrachten: Zusammen mit unnötigen Sorgen über unsere Handschrift, der Erwartung, uns mit Audrey Hepburn-Zitaten identifizieren zu müssen, und dem monatlichen Blutabfluss aus unseren Vaginen. Aber wie können wir diese Art von Kommentaren anfechten, wenn sie uns stören?
Initiativen wie Hollaback sowie das Everyday Sexism Project haben das Ziel, tägliche Beispiele von Sexismus aufzuzeichnen. Sie haben Stellen eingerichtet, wo du deine Erfahrungen dokumentieren kannst. Gleichgültig, wie schwer oder klein das Ärgernis ist oder wie viel oder wenig es dich stört. Diese Stellen ermöglichen es Frauen, ihre Geschichten mit anderen zu teilen und der Welt zu zeigen, dass Sexismus besteht; dass Frauen jeden Tag von ihm konfrontiert werden und es ein echtes zu besprechendes Problem darstellt.
In letzter Zeit hat die Plattform Hollaback mitgeholfen, das hervorragende Projekt von Tatyana Fazlalizadeh „Hör auf Frauen zu sagen, dass sie lächeln sollen“ nach Großbritannien zu bringen. Die Künstlerin aus Brooklyn nutzt Straßenkunst, um die Geschichten von Frauen zu erzählen, denen hinterhergepfiffen wurde. Damit will sie alltäglichen Sexismus bekämpfen. Die Künstlerin spricht zuerst mit Frauen über deren Belästigung auf der Straße. Danach zeichnet sie ihre Porträts mit einer Bildunterschrift, die direkt von ihren Geschichten inspiriert ist. Die provokative Kunst stellt sie dann auf die Straße.
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EINER FRAU ZU SAGEN, DASS SIE LÄCHELN SOLL, STELLT EINEN SEXISTISCHEN MIKROAKT DAR – WEIL ES SCHEINBAR KLEIN IST, SCHEINT ES KEINE GROSSE SACHE ZU SEIN. DAS IST ES ABER.
TATYANA FAZLALIZADEH, KÜNSTLERIN
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Tatyanas Arbeit hat nicht das Ziel, Interaktion zwischen Männern und Frauen zu beenden: Sie versucht aber, die richtige Art von Gesprächen zu fördern. Beim Thema Lächeln sagt die Künstlerin: „einer Frau zu sagen, dass sie lächeln soll, stellt einen sexistischen Mikroakt dar – weil es scheinbar klein ist, scheint es keine große Sache zu sein. Das ist es aber. Wenn sowas jeden Tag vielmals passiert – wie bei vielen Frauen – sehen wir schließlich die Auswirkungen“.
Der Vorteil dieser großen Initiativen liegt in ihrer Ermunterung, sich sorgfältige Gedanken über die Auswirkungen der lockeren Erniedrigung von Frauen zu machen. Auf einer persönlicheren Ebene bleibt es aber schwierig zu wissen, wie man produktiv und positiv reagieren sollte. Dr. LaFrance sagt, wenn wir nach einem Lächeln gefragt werden, „sollten Frauen den (wahrscheinlich männlichen) Fremden anstarren und an ihm, ohne ihn eines zweiten Blickes zu würdigen, vorbeigehen“.
In einer meiner Lieblingsszenen aus dem Sitcom „Broad City“ reagieren Ilana und Abbi auf so einen Kommentar, indem sie sarkastisch grinsen. Es muss daran erinnert werden, dass es nicht Frauen sind, die ihr Verhalten ändern müssen; es sind die Täter, die umerzogen werden müssen. Niemand hat das Recht, einer Frau zu sagen, dass sie lächeln soll, wenn sie nach 25-minutiger Warterei im Postamt nicht grinst.
Es gab einen sehr positiven Anstieg der Anzahl an Frauen (und Männern), die alltäglichen Sexismus anfechten und auf Vorurteile über soziale Medien reagieren. Es ist unerlässlich, dass wir diesen Kurs voranbringen. Damit können wir diese scheinbar harmlosen, aber tatsächlich schädlichen Ereignisse ausmerzen. Und – und hierin liegt die Ironie – wenn mir weniger Schleimer erzählen, dass ich lächeln soll, hätte ich tatsächlich einen Grund, glücklich zu sein.
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