„Es ist nur ein Rückfall“, sagte mir mein Hausarzt, in diesem beruhigenden, sympathischen Ton, für den ich immer so dankbar war. Aber in diesem Moment, gab es für mich kein “nur“. Es fühlte sich katastrophal an. Ein elender Misserfolg. Das Ende meines neu aufgebauten Lebens.
Natürlich war das nicht die Wahrheit. Aber mit einem Rückfall klarzukommen, war fast schon schwieriger als der Rückfall selbst.
Ich habe eine lange und komplizierte Beziehung Antidepressiva. Seit 2013 nehme ich die Medikamente schon. Angefangen habe ich mit 20 mg – eine relativ niedrige Dosis. Aber ich fand, das reichte aus, um mich auf einem ausgeglichenen Niveau zu halten.
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Dann, 2017, hatte ich einen schrecklichen Autounfall. Danach waren meine Gedanken genauso außer Kontrolle wie mein Auto zum Unfallzeitpunkt. Innerhalb von wenigen Stunden im Krankenhaus hatten mich meine Depression wieder im Griff und ich fühlte mich wie in einem sehr dunklen und beängstigenden Ort gefangen. Alle sagten mir, wie viel Glück ich doch hatte, überlebt zu haben. Und in den ersten sechs Stunden nach dem Unfall war ich auch wirklich froh darüber. Danach verbrachte ich aber die nächsten sechs Monate damit, mir zu wünschen, ich wäre gestorben.
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Mit einem Rückfall klarzukommen, war fast schon schwieriger als der Rückfall selbst.
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Als ich fünf Tage später mit einem schwer zertrümmerten linken Handgelenk und zwei gebrochenen Wirbeln entlassen wurde, verschrieb mir der Krankenhauspsychiater Valium, um die Fahrt nach Hause ohne Angst antreten zu können. Aber trotz der Tablette war ich immer noch ein zitterndes Wrack und griff die Hand meines Mannes, als ob mein Leben davon abhinge – während mein Schwiegervater langsamer und vorsichtiger fuhr als je zuvor in seinem Leben.
In den darauffolgenden Monaten diagnostizierte man bei mir eine posttraumatischen Belastungsstörung. Mein Antidepressivum wurde von 20 auf 40 und später sogar auf 60 mg – der Höchstdosis – erhöht. Gleichzeitig wurde mir gegen die Ängste ein Betablocker verschrieben und ich kam auf die Warteliste für eine hochintensive, auf Traumata fokussierte, kognitive Verhaltenstherapie.
Meine Genesung, sowohl körperlich als auch mental, dauerte sehr lange, war frustrierend und manchmal recht trostlos. Aber die Antidepressiva hielten mich am Leben und langsam, aber sicher änderten sich die Dinge für mich zum Besseren.
Mein Mann und ich entschieden schon früher aus London wegzuziehen und in einem grünen und ruhigen Vorort Ruhe zu finden. Damit wären wir auch näher bei Familie und Freund*innen, was mir viel Halt geben würde. Und als mein Körper es zuließ, begann ich wieder zu trainieren. Ich fing an, besser zu essen und weniger Alkohol zu trinken – das hatte sich nämlich schnell zu einer ungesunden Bewältigungsstrategie entwickelt. Ich nahm neue und aufregende Jobs und Herausforderungen an, arbeitete einmal pro Woche ehrenamtlich und integrierte Selfcare in meinen Alltag. So langsam fand ich wieder zu einer richtigen Routine zurück.
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Dann, im April 2018, fühlte ich mich bereit, wieder von den Antidepressiva wegzukommen. Ich wusste aber, ich will es langsam angehen, damit ich ja keinen Rückfall provoziere. Also achtete ich darauf, dass ich für jede einzelne Etappe wirklich bereit war. Mein Hausarzt empfahl mir, die Dosis alle zwei Wochen in 10 mg-Schritten zu verringern. So wäre ich eigentlich in drei bis sechs Monaten bei Null gelandet – aber bei mir dauerte es ganze 14 Monate.
Im Juni 2019 verabschiedete ich mich endlich von den Medikamenten und fühlte mich unaufhaltbar. Meine Freelance-Karriere ging durch die Decke, ich trainierte für einen Halbmarathon und dank des regelmäßigen Sports, der Massage-Sitzungen und der Therapie fühlte ich mich rundum zufrieden. Ich fand sogar neue Freund*innen in meiner Nähe. Und da wir uns einen Hund zugelegt hatten, war ich praktisch gezwungen, jeden Tag das Haus zu verlassen. Ich arbeitete auch seht hart daran, mich wieder ans Steuer setzen zu können. Mein neues Tattoo „And still I rise“ (ein Zitat von Maya Angelou) sollte das Symbol für meinen Fortschritt sein.
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Im Juni 2019 verabschiedete ich mich endlich von den Medikamenten und fühlte mich unaufhaltbar.
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Und dann: Boom! Innerhalb von sechs Monaten fiel alles wieder wie ein Kartenhaus in sich ein. Ich hatte plötzlich das Gefühl, jemand hätte mich in die Magengegend gekickt. Alles, was ich fühlen konnte war tiefe Trauer, Schock, Angst und Verzweiflung. In meinem Job versuchte ich nur noch die wichtigsten Deadlines einzuhalten. Und neue Herausforderungen kamen für mich definitiv nicht in Frage.
Ich versuchte mir einzureden, es wäre nur vorübergehend. Ich würde mich spätestens nach unserem Urlaub wieder fangen – aber das tat ich nicht. Ich glaubte, die zwei Wochen über Weihnachten und Neujahr würden mir aber auf jeden Fall helfen – das stimmte auch nicht. Bis Ende Januar (kurz vor dem dritten Jahrestag meines Unfalls) war ich ein psychisches Wrack. Also ging ich wieder zu meinem Hausarzt. Er riet mir, wieder 20 mg Antidepressiva zu nehmen.
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Rational gesehen weiß ich natürlich, dass solche Rückfälle normal sind. Die Genesung verläuft nie linear ab. Unsere mentale Gesundheit schwankt oft und deshalb muss man sich auch nicht schämen, wieder Medikamente einnehmen zu müssen. Genau das hätte ich auch jeder anderen Person in meiner Situation gesagt. Aber da es hier um mich ging, hatte ich einfach nur das Gefühl, ich hätte versagt. Ich hatte alles richtig gemacht. Ich befolgte jeden Rat und alle Schritte – und trotzdem ist mir das passiert. Ich fühlte mich wieder wie am Anfang. So, als wäre die ganze harte Arbeit völlig umsonst gewesen. Wie naiv war ich zu glauben, ich wäre geheilt? Was mir an der ganzen Sache aber am meisten Angst machte, war der Gedanke, dass ich anscheinend immer wieder einen Rückfall haben könnte und jedesmal von vorne anfangen müsste.
Aber nach einigen Wochen Pillen schlucken, war die Welt um mich herum nicht mehr so grau. Ich verstand, dass Antidepressiva auch nur Medikamente sind und dass ich nicht schlimmer dran war, als vor meinem Rückfall.
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Unsere mentale Gesundheit schwankt oft und deshalb muss man sich auch nicht schämen, wieder Medikamente einnehmen zu müssen.
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Stephen Buckley, der Head of information bei der Organisation Mind, hat dazu Folgendes zu sagen: „Unsere psychische Gesundheit ist so wie die körperliche. Sie kann mal gut und mal schlecht sein und wir müssen uns um sie kümmern. Viele Menschen versuchen es mit einer Kombination aus Therapie-Methoden wie Meditation, psychotherapeutische Betreuung und Sport, um ihre mentalen Probleme wieder in den Griff zu kriegen.“
„Du musst versuchen, herauszufinden, wie dich diese Probleme beeinflussen. Und sobald du merkst, dass es dir schlecht geht, solltest du ärztlichen Rat aufsuchen. Und wenn du Antidepressiva oder ähnliches einnehmen musst, solltest du dich definitiv nicht dafür schämen. Zwar wirken sie nicht bei jedem Menschen und sie können dich auch nicht heilen, aber sie helfen zumindest, deine Laune zu verbessern und das ist ein guter Langzeit-Support“, fügt er hinzu.
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„Wenn du die Medikamente absetzen willst, muss das in kleinen Schritten geschehen und nur unter ärztlicher Aufsicht. Falls sich deine psychische Gesundheit in der Zukunft verschlechtern sollte und du wieder deine Medikamente nehmen musst, solltest du das nicht als einen Rückschlag sehen. Jeder Mensch ist anders. Manche haben nur einen Rückfall und bei anderen kann es ein paar Mal passieren. Bei Letzterem empfiehlt es sich, die Medikamente weiter zu nehmen.“
Doch obwohl wir mittlerweile so viel über unsere mentale Gesundheit reden, schämte ich mich immer noch sehr für meine gestörte Psyche. So würde ich natürlich nie über mein Immunsystem denken, nur weil es immer wieder gegen Erkältungs- und Grippeinfektionen ankämpfen muss.
Diesen Artikel zu schreiben, hat mich viel Überwindung gekostet. Aber ich weiß, wie wichtig es ist, das mit der Welt zu teilen. Wir lesen so viel darüber, wie Menschen versuchen ihre psychischen Krankheiten loszuwerden. Dabei wird aber nur selten erklärt, dass es sich um eine dauerhafte Reise handelt und nicht um eine einmalige Schlacht, die es zu gewinnen gilt. Rückfälle sind hart und machen dich fertig. Aber sie sind nur Unebenheiten auf der Straße, kein Gräben.
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