Schwanger- und Mutterschaftsdiskriminierung sind keine neuen Phänomene. Die offensichtliche Voreingenommenheit am Arbeitsplatz gegenüber schwangeren Menschen ist schon lange eine Tatsache, mit der wir uns häufig abfinden müssen. In den letzten Jahren werden die Stimmen gegen diese Vorurteile allerdings immer lauter – und eine von ihnen gehört Joeli Brearly, die 2015 die britische Organisation Pregnant Then Screwed gegründet hat und sich damit für die Rechte von Schwangeren und Müttern am Arbeitsplatz einsetzt.
Aber weil deren Diskriminierung eben keine neue Story ist, liegt die Vermutung nahe, in den letzten Jahrzehnten habe sich das Blatt zum Positiven gewendet. Eine Schwangerschaft im Jahre 2022 würde sich ja bestimmt nicht so stark auf die Karriere auswirken wie noch vor fünf oder zehn Jahren – oder?
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Leider ist das nicht der Fall. Über diese traurige Realität hat Joeli das Buch The Motherhood Penalty (z. Dt.: „Die Strafe des Mutterseins“) geschrieben und uns in einem Interview erzählt, wie stark eine Schwangerschaft auch heute noch die Karriere beeinflussen kann.
Inwiefern wirkt sich eine Schwangerschaft auf die Karriere aus?
Direkt zu Beginn einer Schwangerschaft setzen im beruflichen Umfeld der schwangeren Person die Vorurteile ein: Kolleg:innen und Vorgesetzte stempeln dich direkt als abgelenkt und weniger bemüht ab, weil du ein Baby bekommst. In den meisten Fällen geschieht das sehr subtil. Vielleicht wirst du in deinen Bewertungen plötzlich nicht mehr exzellent, sondern unterdurchschnittlich bewertet, oder bekommst Kommentare zu hören, in denen beispielsweise hinterfragt wird, ob du überhaupt zum Job zurückkehren wirst; vielleicht wirst du auch von Projekten oder Fortbildungsmöglichkeiten ausgeschlossen. Die Diskriminierung kann aber auch ganz offene Formen annehmen, wie es bei mir der Fall war. Als ich meinen Vorgesetzten von meiner Schwangerschaft erzählte, wurde ich am nächsten Tag am Telefon entlassen [Anm. d. Red.: In Deutschland ist das gesetzlich nicht erlaubt. Vorausgesetzt, der:die Arbeitgeber:in weiß von der Schwangerschaft, gilt von deren Beginn an bis vier Monate nach der Entbindung ein absolutes Kündigungsverbot].
Außerdem kommt es hinter verschlossenen Türen oft zu Mobbing und Diskriminierung. Das ist leider meist nirgendwo dokumentiert, wodurch sich so etwas nur schwer gerichtlich nachweisen lässt. Dabei haben gemeine Kommentare oft eine direkte Auswirkung und geben dir ein Gefühl der absoluten Wertlosigkeit. Uns wurde schon von besonders extremen Fällen erzählt, bei denen die Wehen vor lauter Stress frühzeitig einsetzten und die Kinder daraufhin gesundheitlich beeinträchtigt waren.
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Welche Faktoren spielen bei dieser Diskriminierung eine Rolle?
Die gesellschaftliche Schicht scheint eine große Rolle zu spielen: Wenn du beispielsweise keinen festen, sondern einen Gelegenheitsjob hast, wirst du nach Bekanntwerden deiner Schwangerschaft womöglich nicht für weitere Schichten eingeteilt. Wenn dein Job körperliche Anstrengung verlangt, traut man dir vielleicht keine riskanten Aufgaben mehr zu. Wir hören oft von Frauen, die in ihren Gelegenheitsjobs nicht mehr bei der Schichtverteilung bedacht werden, aber absolut nichts dagegen tun können. Dasselbe gilt, wenn du freiberuflich beschäftigt bist: Deine Verträge laufen irgendwann aus und werden womöglich nicht erneuert. Auch das Alter macht einen Unterschied: Wenn du schon lange in einem Job arbeitest oder eine ranghohe Position hast, wirst du als schwangere Person wahrscheinlich weniger diskriminiert. Und letztlich spielen auch die Hautfarbe und körperliche Be_hinderungen eine Rolle: Als weißer Mensch ohne Be_hinderung ergeht es dir während einer Schwangerschaft im Beruf vermutlich besser.
Wie wirkt sich das auf die Gesundheit der Schwangeren aus?
Es gibt noch nicht viele Daten, die das belegen, aber in meinem Fall – und denen vieler Frauen, mit denen ich gesprochen habe – hat sich der Stress dieser Diskriminierung auf meine Schwangerschaft und körperliche Gesundheit ausgewirkt. Nachdem ich das durchgemacht hatte, erfuhr ich, dass meine Schwangerschaft als „hochriskant“ eingestuft wurde; meine Wehen hätten jederzeit einsetzen können. Es gibt auch Studien, die vermuten lassen, extremer Stress dieser Art könnte noch schlimmere Konsequenzen haben. Die Verbindung zwischen Diskriminierung und ernsthaften gesundheitlichen Problemen schwangerer Menschen sollte wirklich gründlicher untersucht werden.
Der Großteil der schwangeren Menschen, mit denen ich zu tun habe, sagt außerdem, dass sie diese Diskriminierung während oder kurz nach der Schwangerschaft für sehr lange Zeit beschäftigt. Die Wut darüber ist auch Jahre später noch da – das ist ein richtiges Trauma. Es gibt keine Studien, die das belegen, aber ich würde behaupten, dass diese Diskriminierung während der Schwangerschaft die Wahrscheinlichkeit erhöht, nach der Geburt oder während des Mutterschutzes unter postpartalen Depressionen zu leiden.
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Ich sage ungern, dass dich die Schwangerschaft verletzlich macht – viele Menschen bezeichnen sich nicht gern so –, aber das ist eine Tatsache. Während einer Schwangerschaft bist du total erschöpft; sie stellt dein Leben komplett auf den Kopf. Die einzige Konstante ist da für viele der Job. Der bleibt nach der Geburt derselbe, oder sollte es zumindest. Wenn dieser Fixpunkt aber wackelig und instabil wird, kann dich das richtig aus der Bahn werfen und dir das Gefühl geben, dich auf nichts verlassen zu können.
Natürlich wirkt sich das auch langfristig auf dein berufliches Selbstbewusstsein aus. Ganz egal, ob du in deinen alten Job zurückkehrst oder einen neuen beginnst: Wenn du solche Diskriminierung erfährst, kann das dein Selbstvertrauen dem Erdboden gleich machen. Dabei ist es ja schon schwer genug, nach monatelangem Mutterschutz wieder zu arbeiten – wenn du dann noch zusätzlich diese furchtbare Diskriminierung durchmachen musst, macht das alles nur noch schlimmer. Es kann dann sehr lange dauern, bis du dich wirklich wieder wie du selbst fühlst.
Was hat sich in den letzten Jahren an dieser Situation geändert?
Aus kultureller Sicht hat sich da einiges verändert. Als ich das durchmachte, wusste ich noch nicht mal, wie verbreitet diese Schwanger- und Mutterschaftsdiskriminierung sind. Ich glaube aber, dass sich die Leute heute viel deutlicher bewusst sind, dass das Kinderkriegen oft ein Opfer erfordert. Viele Schwangere wissen, was es sie beruflich kosten kann, ein Baby zu bekommen. Ich denke außerdem, dass einige Arbeitgeber:innen eingesehen haben, dass sie werdenden Eltern im Arbeitsumfeld bessere Möglichkeiten bieten müssen, und bemühen sich darum. Dabei ist das gar nicht schwer. Es ist einfach eine Frage der Prioritätensetzung.
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Inwiefern hat sich Corona auf diese Situation ausgewirkt?
Die Pandemie hat quasi ein Licht darauf geworfen, dass Schwangere häufig gar nicht bedacht werden. Es dauerte beispielsweise über ein Jahr bis nach Pandemiebeginn, bis die Corona-Impfung auch für Schwangere empfohlen wurde. Viele Schwangere waren deswegen auch am Arbeitsplatz völlig verunsichert; einige mussten ihr Einkommen gegen potenzielle Gesundheitsrisiken für sich und ihr Baby abwiegen. Und natürlich bedeuteten die Lockdown-Vorschriften auch, dass viele Schwangere allein – ohne ihre Partner:innen – entbinden mussten. Mal ganz davon abgesehen, dass Schul- und Kitaschließungen vielen Frauen zusätzliche unbezahlte Arbeit im Haushalt aufhalste.
Bei Pregnant Then Screwed ist all das deutlich zu spüren. Wir bekommen so viele Anrufe von Menschen, die mit den Nerven völlig am Ende sind. Sie haben es gerade so geschafft, den vermutlich schlimmsten Teil der Pandemie durchzustehen – und jetzt, wo sich die Situation vermeintlich wieder beruhigt, sitzen sie in einem Scherbenhaufen. Die psychische Gesundheit ist bei vielen am Boden, insbesondere bei denen, die während der Pandemie ein Kind bekommen haben. Das wird sich langfristig auf ihre Karriere auswirken. Wenn deine geistige Gesundheit nicht die beste ist, kannst du deinen Job nicht gut machen, ganz klar. Das macht uns große Sorgen.
Was kann ich tun, wenn ich während oder nach der Schwangerschaft diskriminiert werde?
Das Erste, was ich Betroffenen rate, ist: Dokumentiere alles. Notiere dir Daten und Gespräche, mach Screenshots von Chatverläufen, speichere E-Mails ab. In vielen größeren Firmen gibt es auch Betriebsräte oder Frauen-Supportgruppen, die in genau solchen Fällen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Als Gruppe kann man den Vorgesetzten viel stärker gegenübertreten, und wenn zehn oder gar 20 Menschen dieselben Vorwürfe äußern, kann man euch nicht ignorieren oder zur Zielscheibe machen.
Auch in kleineren Betrieben lassen sich Verbündete finden! Vielleicht hat jemand aus deinem Kolleg:innenkreis ja schon ein Baby bekommen – sprich mit ihm:ihr über deine Erfahrungen und finde heraus, ob andere Ähnliches erlebt und gegebenenfalls Tipps für dich haben. Und wenn alle Stricke reißen und du es dir leisten kannst, solltest du auf jeden Fall die Option eines Jobwechsels in Betracht ziehen. Die Situation ist für Schwangere – zum Glück! – nicht überall dieselbe.