Schwarz-sein in einer weißen Familie: Wenn du realisierst, dass du Schwarz bist, aber deine weiße Familie nicht
Dieser Artikel erschien zuerst bei RosaMag
Mit Fischbrötchen in der Hand und dem Deich vor der Nase – meine Kindheit.
Wie viele afrodeutsche Menschen, bin auch ich das Kind einer weißen Mutter und eines Schwarzen Vaters. Meine Mutter war alleinerziehend und zu der Seite meines Vaters bestand kaum Kontakt. Aufgewachsen bin ich in Norddeutschland, mit dem Deich vor der Nase und einem Fischbrötchen in der Hand. Auf meiner Kleinstadt-Schule gab es außer mir bloß eine weitere Person of Color. Mein Umfeld war sehr weiß und meine Familie ist es auch.
Wie ich als Afrodeutsche automatisch zur Afrika-Expertin wurde
In Kindheit und Jugend hätte ich niemals behauptet, ich sei diskriminiert oder gar unterdrückt. Dennoch dämmerte mir unterschwellig, dass ich mich von meinen Mitschüler*innen und Familienmitgliedern unterscheide. Schwer war die Schulzeit für mich zwar nicht, aber Kommentare zu Leistungen im Sportunterricht (besonders Tanzen) gab es häufig. Ich erinnere mich, dass wir im Geschichtsunterricht einen Essay über Sklaverei während des Kolonialismus schreiben sollten, in dem das Für und Wider abgewogen werden sollte (absurd!). Auch hier war ich direkt Afrika-Expertin, wie jedes Mal, wenn wir im Unterricht irgendwie auf den Kontinent zu sprechen kamen. Dass ich kein afrikanisches Land je betreten hatte, bis ich 21 war, spielte keine Rolle.
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Typ Olive, Caramel oder Creme-Brûlée: Wenn du dich nicht wiederfinden kannst
Die Pubertät brachte die gängigen Unsicherheiten und den Kampf mit dem eigenen Äußeren und dem Gewicht. In sogenannten “Mädchen-Zeitschriften” orientierte ich mich immer an dem Typ “Olive”, denn dunkler wurde es nicht und mein erstes Make-Up hieß vermutlich “Caramel” oder “Creme-Brûlée”, mit Sicherheit aber nicht “Manhattan”. Ich erinnere mich an einen Sommer, ich war ungefähr 15, in dem ich mich absolut nicht in die Sonne legen wollte, um zu vermeiden, dass ich dunkler werde. Welche Zwänge von westlich-weißen Schönheitsidealen auf mir lasteten, war mir zu dem Zeitpunkt nicht bewusst.
Heute weiß ich, warum
Mir ist mittlerweile klar, warum mein Politik-Lehrer in der Oberstufe mich konsequent schlechter bewertete, als alle anderen. Auch verstehe ich mittlerweile, warum ich als 12-jährige mein ganzes Zimmer mit Beyoncé Postern tapezierte und gerade das eine Bild, auf dem sie ihren Afro trug, mir heilig war. Meine Haare habe ich allerdings jahrelang geglättet und im Regen nach draußen zu gehen, war deshalb das Schlimmste für mich. Es gab Phasen, in denen ich mein Glätteisen mit in die Schule genommen habe, damit ich im Bad während der Pause nachglätten kann.
“Afrohaare sind ein Gegenstück, zu den uns umgebenden Schönheitsstandards.”
Haare sind politisch
Ich wollte dazu gehören, die gleichen Frisuren wie meine weißen Freundinnen tragen und hatte keine Lust auf das damals schmerzhafte Kämmen. Es gab keine Person in meinem Umfeld, die mir hätte zeigen können, wie meine Haare am besten zu pflegen sind und welche Produkte vielleicht eher schädlich sind. Als ich klein war, hat meine Mutter Abende lang ihr bestes gegeben, das Frisieren so schmerzfrei wie möglich für mich zu gestalten. Es gab keine Frauen mit Afrohaar in meinem Umfeld, die uns gute Ratschläge hätten geben können. Meine Oma und meine Mutter finden bis heute, dass mir geglättetes Haar besser steht. Denn Afrohaare sind ein Gegenstück, zu den uns umgebenden Schönheitsstandards. Sie sind im dominanten Diskurs mit vielen negativen Assoziationen verknüpft (chaotisch, ungepflegt). Afrohaar zu tragen, egal ob Fro, Braids, Twists oder andere Formen, bedeutet stetige Veranderung und eine sichtbar noch stärkere Abweichung von der weißen-glatten Norm. Dass gerade Haare ein emotionales sowie politisches Thema für mich sind, ist für meine Oma und meine Mutter schwer zu verstehen.
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“All diese Stereotype, waren nicht die Person, die ich in mir selbst sah.”
Wenn ich zurückschaue, habe ich überwiegend positive Erinnerungen an meine Kindheit. Einige von ihnen veränderten sich aber auch, nach stärkerer Auseinandersetzung damit, was es heißt eine Schwarze cis-Frau in Deutschland zu sein. Nach meinem Schulabschluss, verbrachte ich ein Jahr auf den Philippinen. Während dieser Zeit beschäftigte ich mich viel mit der deutschen Kolonialgeschichte und Kolonialrassismus. Als ich mit meinem Studium begann, versuchte ich durch Seminare, mein Verständnis kolonialer Kontinuitäten zu verstärken. Es begannen Freundschaften mit anderen BIPoC´s, durch die ich viel gelernt habe: Haarpflege, afrodeutsche Geschichte, politische Aspekte des Schwarzseins. Als mir bewusster wurde, wo sich überall Rassismus versteckt und wie ich als Schwarze Person von Außen wahrgenommen werde, fühlte ich mich gelegentlich sehr unsicher mit mir selbst und wollte vieles nicht wahrhaben. Denn all diese Stereotype, die ich zu erkennen begann, waren nicht die Person, die ich in mir selbst sah.
“Das kann ich mir nicht vorstellen”
Rassismus anzusprechen und kritisch in den Fokus von Beziehungen zu tragen ist gerade im weißen Mehrheitsdeutschland tabuisiert. Es gibt wenige Familienmitglieder gegenüber denen ich meine afrodeutsche Lebensrealität thematisiere und wenn ich es tue, kommt bei meinem Gegenüber meist ein Gefühl des Vorwurfs auf. Es folgt Abwehr à la: “Wir können nicht rassistisch sein, denn wir lieben dich.” Als ich von meinen Rassismuserfahrungen innerhalb einer Theaterproduktion erzählt habe, hörte ich: “Das kann ich mir nicht vorstellen, du verstehst dich doch immer so gut mit allen.”
“Schwarz werden, bedeutet auch immer ein Brechen mit alten Denk- und Handlungsstrukturen.”
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“Mit alten Denkmustern brechen bedeutet Verluste und Konflikte”
Mich heute als Schwarze Deutsche zu bezeichnen und meine Familie als weiß anzusehen, war ein langer Prozess und ist mit vielen Verletzungen innerhalb der Familie verbunden. Schwarz-sein und vor allem auch Schwarz-werden, bedeutet auch immer ein Brechen mit alten Denk- und Handlungsstrukturen. Es bedeutet mich meiner Selbst bewusster zu werden und zu verstehen, dass das was ich erlebe und erlebt habe, kein Einzelfall ist oder mit meiner Persönlichkeit zu tun hat. Dass ich jeden Tag Rassismus erlebe, ist Ausdruck der deutschen Gesellschaftsstruktur. Im Privaten bedeutet es auch durchaus den Verlust weißer Freundschaften und auch immer schwelende Konflikte innerhalb der Familie. Denn niemand möchte Täter*in sein und bei weißen Menschen führt die Konfrontation mit dem eigenen Rassismus meist zu aggressiver Ablehnung, Wut und Anschuldigung der Betroffenen (Stichwort: White Fragility). Diese Auseinandersetzung mit meinen weißen Freund*innen und engen Verwandten sind auch für mich sehr schmerzhaft, aber mittlerweile unvermeidbar.
Aktiv sein und sich verbünden
Denn erst durch mein Schwarz-sein, verstehe ich mich selbst besser und bin stärker geworden. Ich kann Bündnisse eingehen mit anderen Schwarzen und of Color Frauen, sowie Queers und mich artikulieren. Für mich ist es etwas politisches, es ist das Rütteln an Normen und Idealen, die nicht für mich gemacht sind und mich nicht repräsentieren. Es ist ein Protestieren gegen eine Mehrheitsgesellschaft, die mich nicht annimmt und immer wieder meine Identität in Frage stellt. Eine Gesellschaft, die weiß-christlich sein als Norm setzt und die Schwarz-sein und deutsch-sein nicht zusammen kriegt.
Auch ich habe das lange nicht zusammen bekommen, dachte als Kind lange, dass ich adoptiert sein müsse, so häufig wie ich danach gefragt wurde. Und auch ein sich immer wiederholendes “Und wo kommst du eigentlich her?” führte unumgehbar zu dem Gefühl sich entscheiden zu müssen zwischen hier und dort, Schwarz und weiß, deutsch und nicht deutsch.
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Deutschland schwarz-weiß:
Rassistische Bilder sind allgegenwärtig und es ist ein Prozess diese abzulegen und sich immer wieder zu hinterfragen. Um dies weiter anzustoßen, brachte ich meiner Mutter im letzten Jahr Noah Sows “Deutschland Schwarz-weiß” mit. Zuvor wurde mir immer klarer, dass eskalierende Diskussionen nicht förderlich sind, sondern eher zu Verschlossenheit und einem Bündel negativ aufgeladener Gefühle führen. Sie hat es gelesen, gesagt sie könne nun einiges besser verstehen, stimme aber nicht mit allem überein. Rassismus ist allerdings keine Meinungsfrage, sondern ein globales System und die Lebensrealität aller nicht-weißen Personen in Deutschland.
Viele Gespräche machen mich wütend und traurig. Ich wünsche mir, dass mehr Verständnis kommt, wenn ich kulturelle Aneignung anspreche, mehr Wut, wenn ich von rassistischer Polizeigewalt berichte und mehr Enthusiasmus, wenn ich von Schwarzen Polit-Aktionen erzähle, die wir planen.
Und jetzt?
Für mich stellt sich die Frage: “Wie können wir auf Dauer weiterhin eine gute Beziehung führen?”. Meine Familie ist mir wichtig und immer eine große Stütze gewesen. Meine Mutter war als starke, selbstbewusste Frau immer ein Vorbild für mich und dennoch: Es geht nicht darum, wie sehr meine Familie mich liebt oder wie gut ich mich mit ihnen verstehe, es geht darum, anzuerkennen, dass Rassismus immer Teil meines Alltages ist und dass auch sie, meine Familienmitglieder, Teil dieser Machtstruktur sind.
“Eine Schwarze Feministin zu sein, ist für mich die logische Konsequenz aus der Unterdrückung”
Schwarz-sein und mein Bewusstsein über meine afrodeutsche Identität, die Beschäftigung mit afrodeutscher Geschichte und der Schwarzen Frauenbewegung in Deutschland, gemeinsam mit anderen BIPoc`s politisch aktiv zu sein, all dies sind Dinge, die den Menschen ausmachen, der ich heute bin und mir verständlicher machen, wo in der Gesellschaft ich stehe. Eine Schwarze Feministin zu sein, ist für mich die logische Konsequenz aus der Unterdrückung, die ich und viele Frauen of Color erleben, mit der wir umgehen müssen und gegen die wir uns immer wieder wehren.
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Es muss die Arbeit von weißen Menschen sein, besonders von denen in unserem nahen Umfeld, besonders von denen, die uns lieben und denen wir wichtig sind, sich ernsthaft, intensiv und immer wieder mit Rassismus auseinander zu setzten und zuzuhören, wenn Schwarze Menschen und People of Color sprechen.
Begriffserklärungen:
weiß: “weiß “wird im diesem Text kursiv geschrieben, denn weiß meint keine Hautfarbe, sondern eine gesellschaftlich dominante (Macht-)Position, die mit Privilegien verbunden ist.
Schwarz: “Schwarz” wird in diesem Text groß geschrieben, da es eine Selbstbezeichnung ist und die politische Positionierung einer Person beschreibt.
Veranderung: “Veranderung” beschreibt, dass rassifizierte Menschen immer als “das Andere” wahrgenommen werden und immer eine Abweichung von der Norm darstellen.
white Fragility: “white Fragility” beschreibt, inwiefern, weiße Personen Stress empfinden und die Beschäftigung mit ihrem weiß-sein ablehnen, da sie, als Träger*innen der gesellschaftlichen Norm, nie gezwungen sind sich damit auseinander zu setzten (Empfehlung: “White Fragility. Why It`s so Hard For White People To Talk About Racism” von Robin DiAngelo)
Queer: “Queer” ist ein Sammelbegriff für bspw.: Homo- und Bi- und Pansexuelle Menschen, sowie Trans-, Inter- und nicht-binäre Personen, diese vereinen ihre Kämpfe gegen Unterdrückung gemeinsam zu führen.
cis: Die Vorsilbe “cis” bedeutet, dass ich mich, mit dem, mir bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziere und dass mein anatomischen und soziales Geschlecht übereinstimmen. “cis” ist somit das Gegenteil von “trans”.